Hubert Fichte, der Allesaussprechenkönner
Frühkindiche Prägungen in Kriegen: Wenn Angst nicht Seele auffrißt, sondern Reibungswärme erzeugt, denn wer Angst spürt, lebt noch.
Hubert Fichtes Universum behausen Gestrauchelte, Entrwurzelte, Gestrandete, Gammler, Strichjungen, traumatisierte Kriegsversehrte, neurotisch Verwahrloste, Exil- und Kriegsheimkehrer, Flüchtlinge, Vertriebene, Verfolgte, Holocaust- Überlebende, Psychiatrieerfahrene, missbraucht entlaufene Heimzöglinge, Halbstarke, Trinker, Morphinisten und Prostituierte. Sie hatten vom Leben frühreif viel erwartet aber bereits in jungen Jahren unterm Strich nichts bekommen, außer Futter für ihre Lebensangst, vergeblich das Weite in bindungsarm wechselnd sexuellen Beziehungen zu suchen.
Hubert Fichte, ein zarter und empfindsamer Chronist, schaut ihnen aus´fs Maul, öffnete ihnen in Interveiws den Mund.
Welche Bedeutung hat Hubert Fichte? fragt Hans-Emil Schuster, Hamburg im Jahr den Literaturpapst der Faz Marcel Reich- Ranicki
Das wichtigste Buch dieses Autors isei sein Roman „Die Palette“ aus dem Jahr 1968, gibt Reich- Ranicki zur Antwort.
Hubert Fichte gruppert in seinen Roman "Die Palette " um das Kellerlokal in der Hamburger ABC- Straße, visavi Pik- As, das legendäre Nachasyl für Gestrandete, Trunkenbolde, Schnapsdrosseln, Obdachlose im Hamburg der Vorkriegs- , Kriegs- und Nachkriegszeit mit seinen innerstädtischen Trümmerlandschaften, das sich dadruch prekär auszeichnet, dass es keine Betten, Britschen, Bänke zum Schlafen gab, sondern ein Seil, das durch den "Schlafsaal gespannt war, das sich die Schlafsuchende unter die Schulter klemmten und wie betäubt die Nacht durchhängtenm bis Morgens um Acht, der Hauswart das Seil entkoppelte und rief "Aufstehen" und alle, noch schlaftrunken zu Boden stürzend, sich Blessuren holten.
Das Zentrum des Romans "Die Palette" ist also ein Kellerlokal, eben die „Palette“. Dort trifft sich Fichtes episches Personal: Gammler, Gauner und Ganoven, Nutten, Strichjungen und Zuhälter, Alkoholiker und Narkomanen, Desperados und Selbstmörder, Clochards und entlassene Häftlinge. Was sich in der ,Palette’ abspielt, ist ganz bestimmt nicht vom Feinsten, sondrn der Gang, Klang, Gesang der Hefe des Volkes. Aber nicht Ecklokal als Stammkneipe mit ein Lang zwei Kurz, sondern mit Jazz und Tanz. Doch der, mit dessen Augen hier das Leben gehört, geschaut wird, ist ein zarter und sammet weicher Hubert Fichte, nicht verzärtelt aber empfindsam und verletzlich.
Oszillierend von Berichterstaatung des Chronisten mit betontem Understatement zu Innerlichkeit jammervoll schluchzender Klage, auf dem schmalen Grat zwischen drastischer Metropol- Hafenpoesie und überbordender Sentimentalität larviert Hubert Fichte, sich selbst häutend, bei erfindungsreichem Charme und Grazie. Elegisch geraten Fichte seine Figuren, die er ja nicht erfinden muss, denn er findet sie vor.
Als wollte Hubert Fichte dem Hamburger, Alltags- Käse an der Waterkant nach 1945 die Löcher heraus piefen, greift er kühn ins Klischee, wie es damals auch andere in Lübeck, Kiel, Wismar, Rostock, Stralsund, Saßnitz, Bremen, Emden, Flensburg, tun, zu Sätzen wie:
, Ich wollte mal die wahre, die geistige Liebe kennenlernen und lernte nur die käufliche Liebe kennen.“
Zur geistigen Liebe, die körperlich.ihren saftigen Ein- und Ausgang sucht, sind die Kellergeister geistlicher Getränke da unaufgefordert gern und stets dienstbare Geister.
Die Liebe sucht nicht nur das willige Objekt ihrer obskuren Begierde, ihren Ausdruck, sondern ihren Ort, Raum, warum da nicht auch im dichtgedrängt reibungssatten Miteinander der Kellerbar "Die Palette" bei Bier, Coca Cola, Wein Tanz und Jazz, bei allgemeiner Wohungsnot, dem Kuppelparagrafen der Adenauer- Ära, und nicht zu vergessen, den Strafgesetzbuch § 175 aus der Kaiserzeit gegen gleichgeschlechtliche Liebe
Die Gäste der Kellerbar sehnen sich nach verlässlich schnellem Glück durch Wiedererkennen. Hubert Fichte baut sich als "Jäckie", der "Schwarze Engel" , seine Freundin Leonore Mau als "irma" in den Erzählstoff "Die Palette" ein
Um zum Augenblick zu sagen, verweile doch, du bist so schön, wären sie bereit, jeden Pakt auf Erden zu unterzeichnen, meint Reich- Ranicki (1920- 2013), Nur ist leider nirgendwo ein Mephisto zu sehen. So nehmen sie Preludin und Pervitin, und die Walpurgisnacht, die ihnen niemand bieten will, bereiten sie sich selber, mitten in der würdigen Hansestadt Hamburg - so gut sie es können. Freilich können sie es nicht. Denn sie sind nicht reif - weder für die Liebe noch für das Leben überhaupt. Daher ist ihre ganze Sexualität unendlich traurig und allen Anstrengungen zum Trotz auch langweilig. Daher fehlt ihren Orgien jegliche Pikanterie, ihre Spiele geraten makaber, ihre Erprobungsriten muten lächerlich an und kindisch.".
Hier irrt der "Dichter" Reich- Ranicki, wenn auch sein Hinweis auf Preludin und Pervitin als Durchhalte- und Power- Droge der Deutschen Wehrmacht zutreffend ist, wenn Captagon noch dazu gerechnet wird, denn Hubert Fichte (1936- 1986) steht mit seinen Generationsgenossen, zu denen Freimut Duve, Jahrgang 1936, Peggy Parnass, Jahrgang1934, Ulrike Meinhof (1934- 1976) in Hamburg, so gut wie Fritz Raddatz (1930- 2015) in Berlin und viele andere gehören, fest im Leben, wie er es von Kindesbeinen kennt "Wer Angst hat, lebt noch" , die als Kinder wissentlich, unwissentlich ein gefährliches Geheimnis in sich tragen, jüdische Wurzeln zu haben.
Das Leben von Kindern, Pubertären, die in adrenalingesteuerter Vor , Kriegs- und Nachkriegszeit, Kaltem Krieg emotional missbraucht, hypersexualisiert zu jedem Minimalkontakt mit Älteren aufgelegt sind, wenn sie nur ein bisschen Freundlichkeit, gar Achtsamkeit, menschliche Wärme erfahren. Denn die sind damals im nornalen gesellschaftlichen Alltag des Wiederaufbaus hüben und drüben für viele Heranwachsende als Schlüsselkinder, meist gefallenen, ermordeten, abwesenden Vätern, der Unfähigkeit über deren Abwesenheit zu trauern (Alexander Mitscherlich 1908- 1982) , der vaterlos skeptischen Generation (Helmut Schelsky 1912- 1984 ), eine nahezu unerschwingliche Währung, außer.....?
- Fritz Raddatz schreibt in seinen Erinnerungen "Unruhestifter" 2003 davon, dass er mit anderen Jünglichen während des Krieges 1944/45 in Berlin auf dem weitläufigen Gelände rund um den S- und Fern- Bahnhof Westkreuz, wissbegierig wartende Wehrmachtssoldaten mit Marschbefehl Richtung Ostfront im Tornister zu finden wusste, die ihnen gegen sexuelle Dienste Zigaretten und Sonstiges an Dingen des Genusses und täglichen Bedarfs zukommen ließen.
Die notgeil beim Masturbieren in aller Seelenruhe rauchten. Die Dienste bestanden nach Raddatz Bericht meist darin, am Spalier nackt entblößter Landser- Schwänze unter Bahnbrücken entlang, aus kriegsbedingt stressgeplagt blutleer schlaffen Schläuchen vergeblicher Fleischeslust durch fingerfertig flinke Handreichungen unschuldig den strammen Max gewienert und gemolken bis zum Samenerguss herbei zu zaubern -
Freimut Duve berichtet in seinem autobiografisch angelegten Buch
"Vom Krieg in der Seele"
Eichborn Verlag, 1994, Seite 36, 37, 63, dass er Jahrzehnte später vom Schicksal Hubert Fichtes in einem Interview mit ihm von dessen Doppelung erfahren habe, die seiner als Halbjude gleicht. Hubert Fichtes Vater war jüdischer Theatermann in Hamburg, der 1938 nach Schweden entschwinden konnte und unauffindbar blieb, während er bei seiner Mutter blieb, die ihn in ein Waisenhaus nach Süddeutschland schickte. 1943 sei er nach Hamburg zurückgekommen, nach der Zerstörung Hamburgs am 27. Jui des Jahres durch das britische Bomberunternehmen "Gomorrha" sei er bis zum Kriegsende nach Schlesien verschickt worden, später bei seinen Großeltern in Hamburg aufgewachsen, wie Freimut Duve.. Die Mütter beider hätten nur wenige Straßen voneinander in Hamburg gelebt, hätten sich in einer kleinen Gruppe der verbotenen Anthroposophen kennengelernt, seien wochenends mit ihren Kindern mit dieser Gruppe heimlich zu illegalen Vereinstreffen in Heidebauernhöfen Niedersachsens gewandert.
"Diese Generation der Kriegskinder, Mitte der dreißiger Jahre geboren, hatte sehr viel Ähnliches erlebt, das sie aber, anders als die Nachkriegskinder , die APO-Studenten , selten als kollektive Erfahrung dargestellt findet." schreibt Duve auf Seite 37 mit Hinweis auf den Kirchenmusiker und Autor Helmut Krüger, Jahrgang 1926, und dessen Buch "Der halbe Stern", 1994.
Der halbe Stern steht als Synonym für "Halbjude" bei permanenten Schuldgefühlen gegenüber deportierten Volljuden, gemäß Nürnberger Rassengesetze 1935, in ständiger Angst, doch noch als Mischling deportiert zu werden.
Hubert Fichte weiss den episch breiten Erzählstrom zufälliger Gesprächspartner/innen meisterhaft protokolliert zu kanalisieren, zu sezieren. Das will wohl und muss in Zeiten des Aufbaus so sein, wo jedes Detail gleich wesentlich wie unwesentlich ist. Da heißt es, sich bis in Nuancen freier Assoziation zu ergehen, treiben zu lassen, dem bis dato vermeintlich Unerhörten, dem Unausgesprochenen, der Schamlosigkeit Audienz zu geben, vom Details befeuert fasziniert eingefangen zu sein bis hin zu Gefühlen flutender Überwältigung. Wo Anfangen, wo Aufhören Allesaussprechenkönnen?
Fichte rührt seinen Roman aus vielen einzelnen Wahrnehmungen über Momentaufnahmen zusammen, eingeschoben knappe, nie langatmig ausschweifende Reflexionen gesellen sich dazu, unmittelbare Einlassungen seiner Figuren und seien es nur Dialogfetzen, alles wirkt wortwörtlich fleißig zu Protokoll gegeben.
Marcel Reich- Ranicki fragt 2012 Hubert Fichtes Roman
"Die Palette":
"Was tun wir alle miteinander uns an?
- "..... kann Fichte streckenweise nicht entgehen: der Gefahr der Monotonie. Sie macht sich vor allem da bemerkbar, wo er Material sammelt, statt es zu verwerten. Doch welche Bedenken es auch sein mögen, zu denen Fichtes Sprache Anlass gibt - der fundamentale Impuls, der ihre Fragwürdigkeit mitverschuldet hat und dem sie zugleich ihre Qualität verdankt, ist unübersehbar: „In Maulbec hatte er eines Nachts geträumt von dem Allesaussprechenkönnen: ,Ich werde jetzt alles sagen. Ich muß jetzt reden, reden und jetzt dies noch und das noch . . . Wellen von Worten. Die eine ist noch nicht zurückgeflutet, da schlägt die nächste schon drauf’.
Es ehrt Fichte, dass er in dem Bedürfnis, alles auszusprechen, vor nichts zurückgeschreckt ist." -
Der fundamentale Impuls, der poetische Furor, der Hubert Fichte als Kriegskind erst auf Betriebstemperatur bringt, ist keine Fragwürdigkeit, wie Reich- Ranicki meint, kein Selbstverschulden, kein Unvermögen, Unzuläglichkeit, sondern kündet von einer dunklen Zeit voll Bangen, wo das normal ausgeprochene Wort, ein Ticket für den Fahrstuhl zum Schafott, für Heranwachsende die Fahrkarte in ein geschlosenes Heim für Schwererziehbare, gar in ein Strafbataillon an der Front sein konnte.
- Das Alleinstellungsmerkmal der Hubert Fichte Jahrgänge ist, sie haben nicht nur daheim, sondern selbst im öffentlichen Raum z. B. im Kellerlokal "Palette" noch hautnah mit Kriegsversehrten, Bein- und Armamputierten an Krücken, Einäugigen, die mit ihrem Glasauge Murmel spielten, gelebt.
Mit Beginn der 68er Jahre waren diese Kriegsversehrten an Leib und Seele im öffentlichen Raum und Bewusstsein plötzlich verschwunden. als hätte es sie nie gegeben, Mein kriegsversehrter Vater starb 1966 an den Spätfolgen und unzulänglicher Behandlung seiner Verwundung.
Was Rudi Dutschke für die 68er, war Hubert Fichte für diese Freimut Duve Jahrgänge und gleichzeitg wollte er als Zeitgefangener bindungslos über diese hinaus wirken, wodurch er sich, wenn Du mich fragst, in gewisser Weise autonom und unkenntlich zu machen suchte, -
So hat sich Hubert Fichte sein Medium gesucht, wo er sich in einem intim geschützten Raum als Allesaussprechenkönner ausprobieren konnte. Gefunden hat er diesen Raum in Briefen an seine 20 Jahre ältere Freundin, dann Frau, die zu Lebzeiten hochangesehene Fotografin Leonore Mau (1916- 2013) in Hamburg- Blankenese.
Hubert Fichte war von Kopf bis Fuss, vom Scheitel bis zur Sohle, auf Mitgefühl eingestellt. Auch wenn er drastisch schroff schreibt, wie im Mai 1962 aus Agadir in Marokko an seine Leonore, meint er es doch als praktizierender Allesaussprechenkönner aufmunternd herzensgut.
„Ich ficke viel und hoffe von Dir das gleiche“, und fährt fort: „Ich habe ein paar gute Geschichten. Suhrkamp will mein Stück nicht. Der Arsch! Ich war niedergeschlagen.“
Zum Ende des Briefes lässt Fichte dann den eindeutig doppeldeutigen Maiskolben grüßen und schließt mit „Vive la Trance Hubert“. Aus Anmerkungen ist zu erfahren, zu jener Zeit hing in Leonore Maus Wohnung in Hamburg- Blankenes ein Maiskolben an der Wand, der auch in Fichtes Werk wiederholt in doppelter Funktion vorkommt.
- Beate Uhse, die Wehrmachts- Fliegerin a. D. in Mission über dem Bodensee praktizierenden Sexus voller Dildos lässt dort apparativ grüßen, wo Oswald Kolle nie hinkommt. -
Die Briefe seiner Leonore an ihn konnten im Nachlass Hubert Fichtes nicht gefunden werden, weil er kurz vor seinem Tod testamentarisch verfügte, so als ob er sämtlich persönliche Spuren tilgen wollte, alle privaten Notizen, Briefe, Unvollendetes zu vernichten.
Seine Briefe an Leonore in der Zeit von 1962 1986 sind dagegen erhalten geblieben und wurden nun durch den Fischerverlag veröffentlicht.
Hubert Fichte starb im März 1986 im Hamburger Hafenkrankenhaus, sein Leichnam liegt auf dem Friedhof Hamburg- Nienstedten begraben.
JP
"Heilige Schamlosigkeit"
Volker Weidermann
Aktueller Spiegel 31- 128- 2016
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/fragen-sie-reich-ranicki/fragen-sie-reich-ranicki-der-traum-vom-allesaussprechenkoennen-11788468.html
Fragen Sie Reich-Ranicki
Der Traum vom Allesaussprechenkönnen
http://www.taz.de/Briefe-von-Schriftsteller-Hubert-Fichte/!5322834/
Briefe von Schriftsteller Hubert Fichte
1. 8. 2016
CORD RIECHELMANN
Kommentare 14
Thanks. Diese Erinnerung ist wichtig, selbst wenn Fichte nur gegen die Waende donnern konnte, die er am Ende nicht missen mochte, um immer was zum Donnern zu haben. Arno Schmidt war aus der gleichen Generation und hat es auch nicht geschafft, das selbst geschaffene Asyl zu verlassen. Grass, Boell und die anderen Grossschreiber haben sich um Insassen des Zeitgefaengnis kaum gekuemmert.
An Fichte zu erinnern ist grossartig. Danke.
Deinen Hinweis auf Arno Schmidt, Jahrgang 1914 wie mein Vater, finde ich besonders interessant, der war ja eher eine Vaterfigur mit Erfahrungen als Frontsoldat für Hubert Fichte, Jahrgang 1935, der mit anderen seiner Jahrgänge zwischen all die Frontsoldaten, Flakhelfer Jahränge fiel und doch den Krieg im kindlich vollen Bewusstsein wahrgenommen, als Alltag gelebt hat.
Arno Schmidt (1914- 1979) hat doch tatsächlich in den späten fünfziger Jahren ein unsäglich schräges Palaver gegen Hermann Hesse (1877- 1962) als Deutscher in der neutralen Schweiz angeszettelt, der solle gefälligst die Klappe halten, der könne doch über Krieg, Front- und Noterfahrungen der Nachkriegszeit gar nicht mitreden, weil ihm diese fehlten.
Das Alleinstellungsmerkmal der Hubert Fichte Jahrgänge ist, sie haben nicht nur daheim sondern selbst im öffentlichen Raum z. B. im Kellerlokal "Palette" noch hautnah mit Kriegsversehrten, Bein- und Armamputierten an Krücken, Einäugigen, die mit ihrem Glasauge Murmel spielten, gelebt.
Mit Beginn der 68erJjahre waren diese Kriegsversehrten an Leib und Seele im öffentlichen Raum und Bewusstsein plötzlich verschwunden. als hätte es sie nie gegeben, Mein kriegsversehrter Vater starb 1966 an den Spätfolgen und unzulänglicher Behandlung seiner Verwundung.
Was Rudi Durtschke für die 68er, war Hubert Fichte für diese Freimut Duve Jahrgänge und gleichzeitg wollte er als Zeitgefangener bindungslos über diese hinaus wirken, wodurch er sich, wenn Du mich fragst, in gewisser Weise autonom und unkenntlich zu machen suchte,
Zu A.S. nur kurz. Der war gegen alle "Dichter". Und bei Hesse hat er mal (ausnahmsweise) Recht. Allein schon wegen der Stufen sollte man diesen Autor auf den Index setzen. :)
Generell: Ich denke fast alle Menschen, die den 2. Weltkrieg bewusst erlebt haben (als Kinder oder als Erwachsene) konnten aus diesem "Erlebnis-Gefaengnis nicht mehr entkommen. Und das lag nicht nur an den Kriegsversehrten, den Truemmergrundstuecken, den Erzaehlungen und den missglueckenden Verarbeitungen. (Dazu zaehlte auch die Palette, die ich noch 'gesehen' habe.)
Dieser Krieg ist m.E. bis heute nicht verarbeitet.
Als AutorIn sich auf dieses Gefaengnis zu beziehen, das in "Kultur" umzuschreiben ist m.E. niemandem gelungen. Im Briefwechsel zwischen Bachmann und Celan kann man das mit Haenden greifen, obwohls niemals gesagt wird. Auch A.S. hat's aufgegeben und stattdessen sich auf Joyce gestuerzt.
Fichte hat die als Kind erlebte Anarchie ins erwachsene Leben fortgesetzt. Seine Literatur blieb deshalb "Stueck-Werk". Trotz aller groben Verzweiflung, ein "Werk" konnte daraus nicht werden.
Wer das alles damals miterlebt hat und zeitgenoessiche Literatur fuer wichtig hielt, kann sich an die 50er und 60er Jahre nur mit Grausen erinnern. Vor allem an die ungeheure Wut der Autoren, wie auch die wuetendenden Reaktionen der Gesellschaft.
"Zu A.S. nur kurz. Der war gegen alle "Dichter". Und bei Hesse hat er mal (ausnahmsweise) Recht. Allein schon wegen der Stufen sollte man diesen Autor auf den Index setzen. :)"
Das klingt lakonisch und zugleich bagatellisiernd lustig, auch wenn es hier im Text nicht wirklich der Wahrheitsfindung dient, noch sonstwie weiterhilft, will ich meinen, ist doch Hubert Fichte mit seinem in der Ferne das Nahe, im Nahen das Ferne zu suchen, Hermann Hesse wohl näher als Arno Schmidt, oder?
Was findest Du an Hermann Hesses "Stufen Gedicht", mit A, S. gedacht, verboten sein ?
http://www.lyrikwelt.de/gedichte/hesseg1.htm
Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde
"Trotz aller groben Verzweiflung, ein "Werk" konnte daraus nicht werden"
Was ist Werk, was Stückwerk?
Letztendlich kommt am Ende bei aller Anstrengung von Zusammenhängen mit Zeitläuften heraus, dass es sich ab irgendwann um persönliche Teilleistungsschwächen im Wahrnehmungs- und Reflektionsvermögen handelt,
Warum sollte Hesse m.E. auf den Index? Weil er Kitsch geschrieben hat. Das ist eine Meinung, keine Tatsachenbehauptung. Darueber Diskutieren mag ich nicht.
Fichte hat sich seines Namens wuerdig erwiesen und kein Wort Kitsch geschrieben. (ich muesste mal wieder was von dem lesen. Meine Bibliothek ist weg, aber irgendwo gibt's den Fichte noch, denke ich.)
Stueckwerk und Werk sind auch wieder sehr persoehnliche Kategorien fuer Artisten.
Manche Autoren koennen auf Grund ihrer Lebensereignisse nur Stueck-Werke hinterlassen. Das wohl beruehmteste Beispiel ist m.E. Buechner.
Fichte wollte provozieren und hat genau so geschrieben. Das war in seiner Zeit wichtiger heute im Dauergeschwaetz. (schon wieder so ne private Einschaetzung.)
"Das ist eine Meinung, keine Tatsachenbehauptung. Darueber Diskutieren mag ich nicht. "
Okay!
über Geschmack lässt sich nicht wirklich gut streiten. Die Hesse Hype konnte ich auch nicht so recht nachvollziehen, gleichwohl finde ich manche Poesie von ihm überaus gelungen.und immer wieder lesenswert
Im Fall Arnold Schmidt versus Hermann Hesse geht es aber 1955, angesichts Neugründung der Bundeswehr, Nato- Mitgliedschaft der Bundesrepublik, Debatte über Martin Niemöllers, hochdekoriert ehemaliger U- Boot Kommendant im WKI, danach Pastor in Berlin- Dahlem, Mitglied der Bekennenden Kirche, KZ- Häftling, Wort
"Soldaten seien Mörder",
um Dialogverweigerung und die Herabsetzung des Urteilsvermögens Hesses durch Schmidt.
Das brauchst Du ja trotzdem nicht gutheißen, auch wenn Du seine Werke kitschig findest. Lass das Suhrkamp nicht hören. Bei Deinen Kenntnissen und Erfahrungen mit fernösticher Philosophie und Meditation muss Dir ja auch Goethe, Nietzsche eigentlich ein poetischer Graus sein? oder?
Hier noch ein biografisches Detail zu Hubert Fichte.
Freimut Duve berichtet in seinem autobiografisch angelegten Buch
"Vom Krieg in der Seele"
Eichborn Verlag, 1994, Seite 36, 37, 63, dass er Jahrzehnte später vom Schicksal Hubert Fichtes in einem Interview mit ihm von dessen Doppelung erfahren habe, die seiner als Halbjude gleicht. Hubert Fichtes Vater war jüdischer Theatermann in Hamburg, der 1938 nach Schweden entschwinden konnte und unauffindbar blieb, während er bei seiner Mutter blieb, die ihn in ein Waisenhaus nach Süddeutschland schickte. 1943 sei er nach Hamburg zurückgekommen, nach der Zerstörung Hamburgs am 27. Jui des Jahres durch das britische Bomberunternehmen "Gomorrha" sei er bis zum Kriegsende nach Schlesien verschickt worden, später bei seinen Großeltern in Hamburg aufgewachsen, wie Freimut Duve.. Die Mütter beider hätten nur wenige Straßen voneinander in Hamburg gelebt, hätten sich in einer kleinen Gruppe der verbotenen Anthroposophen kennengelernt, seien wochenends mit ihren Kindern mit dieser Gruppe heimlich zu illegalen Vereinstreffen in Heidebauernhöfen Niedersachsens gewandert.
"Diese Generation der Kriegskinder, Mitte der dreißiger Jahre geboren, hatte sehr viel Ähnliches erlebt, das sie aber, anders als die Nachkriegskinder , die APO-Studenten , selten als kollektive Erfahrung dargestellt findet." schreibt Duve auf Seite 37 mit Hinweis auf den Kirchenmusiker und Autor Helmut Krüger, Jahrgang 1926, und dessen Buch "Der halbe Stern", 1994.
Der halbe Stern steht als Synonym für "Halbjude" bei permanenten Schuldgefühlen gegenüber deportierten Volljuden, gemäß Nürnberger Rassengesetze 1935, in ständiger Angst, doch noch als Mischling deportiert zu werden.
"u A.S. nur kurz. Der war gegen alle "Dichter". Und bei Hesse hat er mal (ausnahmsweise) Recht. Allein schon wegen der Stufen sollte man diesen Autor auf den Index setzen. :)"
Ich mumaße, das war kein Zwist zwischen Autoren, sondern ein klassischer Fall von Vater- Sohn Konflikt, Arno Schmidt 1914 geboren, Hermann Hesse 1877 geboren, den A-S. sich an Konrad Adenauer geboren 1876, den katholisch kalten krieger nicht auszutragen traute und deshalb sein Mütchen am Pszifisten Hermann Hesse durch Sprechverbote und Zensur zu kühlen suchte
Bist Du ein waschechter Arno Schmidt Fan wie dessen Mentor und Förderer jan Philipp Reemtsma?
Angelika Schrobsdorff ist gestorben. Die hat auch gegen die Enge angeschrieben. Für sie findet sich kein Wort, nirgends.
Homosoziale Reproduktion - auch bei den Künstlern.
"Angelika Schrobsdorff ist gestorben. Die hat auch gegen die Enge angeschrieben. Für sie findet sich kein Wort, nirgends."
Obgleich auch sie ihre Leser fan Gemeinde hat, gehört sie wohl zu jener Generation im erweiterten Sinne, von der Freimut Duve 1994 schreibt, ....inzwischen gibt es ja etliche Bücher über die Kriegskinder Generation u. a. von Sabine Bode "
Die vergessene Generation"
Was an Büchern kennst Du denn von Angelika Schrobsdorff ?
Bist Du ein waschechter Arno Schmidt Fan wie dessen Mentor und Förderer jan Philipp Reemtsma?
Wenn Du meinst, ob ich ein Abonent des "Bargfelder Boten" war: Ja, ich war ein Fan von Arno Schmidt. ("waschecht" eher nicht. Man bleicht ja aus mit den Jahren.) Ich habe die meisten seiner Sachen in drei oder manchmal vier Ausgaben, noch immer in den drei Metall-Kisten mit meinen letzten Buechern. Sonst fast Ausgaben aus dem 19.Jahrhundert. Chamisso und so. Nein kein Nieztsche, auch kein Goethe. Dafuer aber Buechner.
Von Zettels-Traum habe ich einen Raubdruck, den's mal in der Heinrich Heine Buchhandlung in Westberlin am Zoo gab, usw. Ja, AS konnte ich nicht weggeben. JP hat in den letzten Lebensjahren und nach seinem Tod viel fuer AS getan. Hat auch selbst ein respektables Buch ueber seine Gefangenschaft im Erpresser-Keller geschrieben. usw.
Nur weil Du gefragt hast.
Adenauer hat AS durchaus angegriffen und um zu provozieren Gutes ueber die DDR geschrieben.
Hesses betuliche "Schreibe" konnte AS nicht aushalten. Er war mehr fuers handfeste. Lederstrumpf und so.
Joyce war dann sein Vorbild. Schade, dass AS keine Zeit mehr hatte, Finnegans Wake zu uebersetzen. Wenn man kein native speaker ist, hat man fast keine Chance FW zu verstehen. Ich hab's aufgegeben.
Ich mach einen Blog dazu.
Schamfreies Weiten der Enge - guter Gott. Da ist ja alles drin. Sigi hätte seine Freude dran.
"Sigi hätte seine Freude dran."
Wer ist Sigi?