Brief an Magda “Mehr Zank- als Tankstellen in Deutschland!“

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Brief an Magda “Mehr Zank- als Tankstellen in Deutschland!“
Liebe Magda,
Du schreibst:
„Die Genossen waren schreckliche Kleinbürger“ (www.freitag.de/community/blogs/magda/antwortbrief-an-joachim-petrick )
dazu fehlt mir der entschlüsselnde Nebensatz, „ …… aber aus vollem Herzen!“

Du erwähnst den Soziologen Wolfgang Engler, der in seinem Buch "Die Ostdeutschen" interessant dargestellt hat und schreibst:
„Auch mir geht es ein bisschen nach Schuberts Winterreise: "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.“

Dazu fällt mir ergänzend ein:
„"Fremd bin ich mit Elan & Furor eingezogen, fremd zieh ich matt der Elan, der Furor erloschen, auf mich zurückgeworfen, wieder aus.“
Ich komme deshalb auf diese Ergänzung, weil der ganze innere Aufruhr über kleine Vergehen in Staat und Gesellschaft der DDR, die Wahrnehmung der großen Vergehen, Unterlassungen mit dem Ergebnis verblassen lässt, dass eine wirkliche Enttäuschung über das weltweit beachtete wie fehlgeschlagene Experiment DDR bisher wenig Raum für Adressaten noch Begegnungen findet.
So werden weder Alltagsleben noch Alltagstheorien in der DDR ausgegraben konserviert, archiviert der Nachwelt erhalten, sondern die DDR bleibt als tauglicher Hammer erhalten, gegenseitig sichelnd, sich per Wut der Knute „DDR“ einzudreschen, wie es die „Rote Socken Kampagne“ der CDU/SU in mehreren Bundestagswahlkämpfen belegt.
Der Generalsekretär der CDU Herr Pofalla meint jetzt sogar im Bundestagswahlkampf 2009 die „Roten Socken stinken“, weil ihm der Zuwachs an Wähler/innen- Stimmen der Linkspartei im Saarland, in Thüringen gen Himmel stinkt. Inzwischen ist, wie einst aus dem diskriminierend tückisch gemeinten Begriff der Briten “Made in Germany“ aus dem Begriff „Stinkend rote Socken“ das Markenzeichen „Rote Socken der Duft des Wahlsieges!“ worden!, oder?.
Aber das ist eine andere Geschichte.

Eigentlich geht es ja mit dem Begriff DDR und Bundesrepublik historisch asymmetrisch zu, wie diesen meine Tante Else, eine verstorbene Pastorenwitwe aus Güstrow plastisch auf das Verhältnis von Gläubigen und Ungläubigen, Theisten, Atheisten unverfälscht zu übertragen wusste.
Das ging so:
1985 war ich, ohne das an die große Glocke zu hängen, aus Frust über ein Gemeindefest und sonstig angesammelten Ärger über den Klerus aus der evangelischen Amtskirche ausgetreten.
Tante Else war aus Güstrow in Hamburg zu Besuch, lernte einen Freund von mir kennen, der Tante Else gegenüber offensiv bekannte:
“Ich bin aus der Kirche ausgetreten“
Worauf Tante Else ansatzlos aufschrie:
“Ja!, junger Mann!, wollen Sie denn außerhalb der Kirchen- Friedhofsmauer begraben liegen?“.

Genau dieser Ausruf meiner Tante Else “Gott habe sie selig!“ beschreibt für mich das Hintergrundsrauschen des Urknalls der deutschen Teilung und Wiedervereinigung.
Wer sich auch nur ansatzweise differenziert mit der Geschichte der DDR, ihren Aufbrüchen, Abbrüchen, Hoffnungen, Enttäuschungen, Auslassungen, Unterlassungen, Erfindungsgeist, Überlebensstrategien ihrer Bürger/innen interessiert befasst, wird, egal, ob er in Güstrow, Ober- oder Unterammergau, Emden, Wismar, Hamburg, Görlitz, München, Weimar wohnt, allein wg. „Interesses an der DDR“ „außerhalb der kirchlichen Friedhofsmauern“ den Rest seiner Ewigkeit begraben sein.
Die Ironie dieser Geschichte ist, dass es insbesondere Menschen aus dem kirchlichen Raum sind, die dieses Interesse an der Geschichte der DDR bekunden
Du schreibst schmissig gekonnt pointiert, wie Jürgen von der Lippe, der noch für jede gute Point, angeblich nicht nur eine dicke Lippe riskiert, sondern auch Freundschaften:
„Was ich oftmals nicht verstehe, ist die Wehleidigkeit mancher Bürgerrechtler. Es kostet in jedem System etwas, wenn man sich deutlich dagegen wendet. Bei mir war es diese Jugendweihe-Geschichte, die mir den Studienplatz erst einmal verwehrte. Aber manche führen sich so auf, als hätten sie vor allen Oppositionsaktivitäten eine "Demokratie-Ausfall-Versicherung" abgeschlossen, die sie jetzt einklagen

Dabei sehe ich die Gefahr, dass aus Opfern Täter werden.
Warum?,
weil den Bürgerbewegten der DDR durch die Wiedervereinigung am 03. Oktober 1990 endgültig der Boden der Gestaltungsmacht unter den Füssen weggezogen, diese in dem Gefühl zurückließ, in der bundesdeutschen Gesellschaft um ihre Nestwärme betrogen zu sein.
Die von Dir identifizierte Wehleidigkeit mancher Bürgerrechtler/innen erinnert mich an das ostpreußische Jammersyndrom, wenn Klienten/innen zu therapeutischen Sitzungen kommen, sich, ganz Jammer Experten, geschickt, wehleidig einpiepsen, um sich einzunisten. Was diesen Menschen in gefühlter Not nicht selten gelingt, worauf diese dann im gerade gewonnen eigenen Nest zu stänkern beginnen, damit ihre Duftmarke nachhaltig erhalten bleibt.
Manchen Bürgerrechtlern/innen aber wird bis heute das Einnisten in der bundesdeutschen Gesellschaft, gerade in den neuen Bundesländern mit dem Ergebnis verweigert, dass sie auf ihre Wehleidigkeit medial als Experten festgelegt, in dieser ohne Aussicht verweilen, jemals in die Nestbau- Phase gesellschaftlicher Stänkerei, Stunk & Zank, überzugehen.
Was allein daran zu ermessen ist, dass es in Deutschland mehr Tank- als Zankstellen gibt.

Wenn ich es recht überlege, gibt es, trotz täglich wachsender Anlässe zu Stunk & Zank“ in ganz Deutschland nur eine Zankstelle, nämlich die in Leipzig!, oder?
Die einzige westdeutsche Stunkstelle bzw. Stunksitzung des alternativen Karnevals in Köln wurde längst in zankfern, amouröse Mitternachtsspitzen verdunkelt umgetauft.

Weiter schreibst Du erhellend:
Dieses Auf sich geworfen sein durch die Veränderungen in der Gesellschaft. Das ist eine interessante Wahrnehmung. Darin lag ja auch eine Einladung zum "Wahnsinn".
Da sagst Du was.
Am 10. November 1989 saß ich in der Westberliner U- Bahn Richtung Osloer Straße, in einem unglaublich überfüllten Waggon, um weiter mit dem Bus zum Grenzübergang Bornholmer Straße, nach Pankow in Ostberlin zu gehen.
In der U-Bahn erklang schallend von einem Waggon zum anderen grölend ohne absehbares Ende in der Wende die Lola Welle:
“Alarm“ Alarm! Der helle Wahn, ist der helle Wahn in der Untergrund – Bahn. Wir kommen euch besuchen und gehen auch wieder, Reisen buchen!“.

Es lag in dieser übergangslosen Wende keine Einladung zu Wahn, es war der Wahn, dass ich mich fragte, wenn die Berliner Mauer so perplex Blick auf einen Merkzettel des Günter Schabowski durch denselben fallen kann, war dann der ganze Mauerbau nur die letzte fett bekrenzte Beute Budenzauber eines deutsch- deutsch inszenierten Nachkriegs- Theaters zum Nachteil einer bestimmten deutschen, wie europäischen Bevölkerungsgruppe, um anderen Teilen der Bevölkerung in Deutschland, Europa einen zeitlich begrenzten Zugewinn Vorteil zu sichern?
Zu Deinem letzten Satz in Deinem Brief an mich:
„Ganz am Schluss und nebenbei: Ich erinnere mich an eine DDR-Bildungsveranstaltung mit einem Spezialisten über Informationsentwicklungen der Zukunft. Der sagte damals: "Genossen" (der sprach alle mit Genossen an, wie Mielke), wenn sich die Informationstechnologie so weiter entwickelt, haben wir keine Chance mehr. Wie Recht er hatte.“
Fällt mir, um im Bild des Zurückgeworfenseins auf sich, zu bleiben, die Facette ein:
“Wenn wir keine Chance mehr haben,
sind wie die Chance!“, oder?

Beste Grüsse aus Hamburg
tschüss
JP

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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