Bundeswehreinsätze straflos gestellt?

Immunität Wozu brauchen Soldaten*nnem bei Auslandseinsätzen in Syrien, Afghanistan, Ausbildungsmissionen Immunität gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag?

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Wozu brauchen Soldaten*nnen und zivile Angehörige der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen im Kosovo, Syrien, Afghanistan, Kongo, Ausbildungsmissionen in Mali selbst gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Immunität?

Ein Kampfbomber Einsatz der Anti- IS-Koalition in Syrien mit vielen zivilen Opfern mit deutscher Beteiligung durch AWACS Bundeswehr Aufklärungstornados führte im Deutschen Bundestag zu Fragen der Opposition an die Bundesregierung. Die Untersuchung dazu zog sich hin, um sich dann still und leise im Sande zu verlaufen

BERLIN taz | Mit einem Satz ist der Fall erledigt. Das Hauptquartier der Operation Inherent Resolve hat ihn Anfang Juli auf seiner Internetseite veröffentlicht. Unscheinbar und verschachtelt, unter Punkt 77 des monatlichen Berichts über zivile Opfer. „20. März, nahe Al-Mansura, Syrien“, steht da. „Nach Überprüfung der verfügbaren Informationen und Videoaufnahmen wurde befunden, dass die Beweislage nicht ausreicht, um festzustellen, dass bei diesem Angriff Zivilisten zu Schaden kamen.“

Sang- und klanglos verschwindet so ein Fall, womöglich als Verschlussache, in auf 30 Jahre und mehr versiegelten Akten?

Vor vier Monaten war das noch anders. Da wurde die Bundesregierung mit einer dringlichen Abfolge unangenehmer Fragen konfrontiert.

Zeitnah zum Kampfeinsatz aus der Luft unter deutscher Beteiligung hatten Aktivisten der Zivilgesellschaft vor Ort in Syrien berichtet, die Raketen der US-geführten Anti-IS-Koalition hätten ein stillgelegt aber von Binnenflüchtlinge bewohntes Schulgebäude getroffen. Es seien Dutzende von ihnen zu Tode gekommen, Unzählige verletzt. Die Angaben reichten von 33 bis 420 Toten.

Ende März war das Verteidigungsministerium aufgefordert, dem Bundestag Bericht zu erstatten, in dem festgestellt wurde, dass die Bundeswehr den Alliierten am Tag vor dem Angriff Luftbilder geliefert hatte. Tornados der Bundesluftwaffe hatten gezielt, vermutlich auftragsgemäß, das inkriminierte Gebäude überflogen, ohne nach Vorlage der hochauflösenden Bilder Alarm zu schlagen oder Entwarnung zu geben, dass dort nicht der IS, sondern Binnenflüchtlinge Not-Quartier genommen hatten.

Das sei bisher so vereinbarte Praxis gewesen, dass die Bundesluftwaffe den Partnern der Anti- IS-Koalition Bilder liefert, ohne diese zu deuten, noch zu kommentieren, wird es später heißen.

Es war der erste öffentlich gewordene Fall seit Beginn des Anti-IS-Kriegs, bei dem Deutschland mutmaßlich in einen fatalen Fehlschlag mit sogenannten "Kollateralschäden" involviert ist. Teile der Medien berichteten eingehend.

Die Bundesregierung verlegte sich von Anfang an in ihren Antworten auf Anfragen darauf, dass die Angaben über zivile Opfer nicht gesichert seien. Unternham aber offensichtlich auch nichts, diese Unsicherheit zu beenden. Bei weiteren Fragen von Journalisten und Abgeordneten enthielt sich die Bundesregierung inhaltlicher Antworten und verwies durchgehend auf angeblich laufende „sehr sorgfältige“ Untersuchung der Alliierten im Operationshauptquartier.

Nachdem diese Untersuchungen jetzt von berufen zuständiger Seite mit einem Satz lakonisch für abgeschlossen erklärt wurden, verweist die Bundesregierung den Fall als vollständig und umfänglich erledigt zu den Akten.

Dabei betont die Bundesregierung in ihren Verlautbarungen ausdrücklich "sündenstolz", dass sie über die konkreten Untersuchungsschritte und Ergebnisse nahezu keine Kenntnisse habe. „Deutsche Soldatinnen und Soldaten sind nicht in die Untersuchungen eingebunden, daher kann ich dazu keine Angaben machen“, erkklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums, lt. taz Bericht. Über die veröffentlichten Informationen hinaus liegen uns keine eigenen Erkenntnisse zu dieser Untersuchung vor“.

Das entspricht der Arbeitsteilung, die Deutschland seit Beginn des Einsatzes im Januar 2016 bei Bundesluftwaffen Aufklärungseinsätzen über Syrien, dem Nordirak konsequent unkommentiert befolgt. Die Alliierten geben Luftaufnahmen von Gebieten in Syrien und dem Irak in Auftrag, die Bundesluftwaffe lässt ihre Aufklärungstornados AWACS starten und liefert die Aufnahmen ans Hauptquartier der Anti- IS-Koalition.

Wenn die Partnerstaaten mit Hilfe der hochauflösenden Bilder ihre Kampfeinsätze aus der Luft planen, sitzen keine Bundeswehrangehörigen mit am Tisch. Die Bundesregierung weiß nach eigenen Angaben nicht, wie ihre Verbündeten die Aufnahmen zu verwenden gedenken.

Ein plausibler Grund, warum sich Deutschland nach Ablieferung der bestellten Bilder aus den weiteren Planungen von Kampfeinsätzen heraushält, könnte darin liegen, dass Bundeswehrangehörige, gleich, was vor Ort bei Kampfeinsätzen an Kollateralschäden mit zivilen Opfern geschieht, nichts an Rechtsfolgen zu fürchten hat, weil Deutschland für sich in Anspruch nimmt, wie andere Partnerländer der Anti-IS-Koalition auch, ungeachtet der Ratifizierung der Anerkennung des Internationalen Strafgerichtshofes Den Haag durch den Deutschen Bundestag, dass Bundeswehrangehörige bei Auslandseinsätzen, Ausbildungsmissionen vor Ort Immunität besitzen.

Kann darauf ein Segen liegen?, wohl eher nicht. Denn wie sollen sich Zivilgesellschaften in Krisen- , Kriegsgebieten, zerfallenen Staaten in ihrem Unrechtsempfinden gestärkt fühlen, wenn ihnen der Klageweg im Fall von Schäden an Leib und Leben, Vermögen, Hab und Gut durch unverhältnismäßige Kampfeinsätze der Anti- IS-Koalition selbst vor dem Internationalen Strafgerichtshof Den Haag grundsätzlich verschlossen bleibt

Omid Nouripour, MdB Die Grünen, kritisiert, lt. taz, diese Praxis:

Die Opposition im Bundestag kritisiert diese Praxis. „Es ist einfach feige, wenn die Bundesregierung die Augen verschließt und immer nur sagt: Wir erheben die Daten, aber was mit ihnen passiert, interessiert uns nicht“ und erläutert, .Aufklärung des Falls sei allein schon deswegen nötig, weil jedes zivile Opfer vor Ort zur Radikalisierung in der Bevölkerung beitrage.

Die Bundesregierung will aber, lt.Tobias Schulze in der taz, keine Konsequenzen ziehen. Schon jetzt seien es gerade die deutschen Luftbilder, durch die die Anti-IS-Koalition militärische von zivilen Zielen unterscheiden könne, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Und weiter: „Für uns und für die gesamte Koalition gegen den IS hat der Schutz der Zivilbevölkerung eine herausragende Bedeutung.“

Steht das nicht eklatant im Widerspruch zu der Stimmenthaltung der Bundeswehr als deutsche Parlamentsarmee bei der Kommentierung, Deutung, Nutzung der von ihr abgelieferten Bilder an die Anti-IS-Koalition in Wahrnehmung deutscher Mitverantwortung für den weiteren Verlauf von Kampfeinsätzen?

Schlussbemerkung:

Die Bundesregierung sieht wohl keinlerlei Anlass, die Deutungshoheit im Rahmen der Anti IS- Koalition über die von deutschen Piloten in Bundeswehr AWACs Tornados estellten Bilder, Daten bei der Planung und Durchführung von Kampfseinsätzen zu behalten, weil sie, angesichts der Tatsache, dass Deutschland, ungeachtet der Anerkennung des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag durch die Bundesregierung, den Deutschen Bundestag, es durchsetzen konnte, dass Bundeswehrangehörige in Auslandseinsätzen, Ausbildungsmissionen durch Immunität "völkerrechtlich" wie zwischenstaatlich unanfechtbar gestellt bleiben, gleich in welche Verbrechen sie verwickelt sein könnten und von seiten der Zivilgesellschaft vor Ort keinerlei Klagen befürchten muss.

- siehe über 120 Zivilisten unter den Toten vor Kundus/Hindukush/Afghanistan am 6.9.2009, aufgrund eines unangemessenen Befehls des Bundeswehr Obersten Georg Klein -

Das ist nach meinem Empfinden ein unhaltbarer Zustand, der zu willkürlichen Kampfeinsätzen, Ausweitung von Kampfzonen einlädt. Da sollte die Opposition im Deutschen Bundestag sich Gehör verschaffen, diesen Misstand abzuschaffen

Geht es um moralische Ansprüche?, wohl eher nicht. Geht es nicht vielmehr um ordnungspolitische Standards und Ansprüche bei uns daheim?

Droht nicht durch die Immunität von Bundeswehrangehörigen bei Auslandseinsätzen die Gefahr, korrumpierenden Strukturen vor Ort und bei uns in Deutschland Tür und Tor zu öffnen, Vergehen aller Art in Gesellschaft, Militär, Polizei, Politik, Wirtschaft, Medien bis hin zur Tötung von Zivilisten straflos zu stellen? Wobei es nicht einmal mehr eines Hinweises auf Ausnahmezustände bedarf?


JP

https://www.taz.de/Bundeswehr-Einsatz-ueber-Syrien/!5429813/
Bundeswehr-Einsatz über Syrien
27. 7. 2017

Tobias Schulze

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Geschrieben von

Joachim Petrick

Aktuelles: Meine sichere Route- Refugee-Airlift - Petition "Luftbrücke für Flüchtlinge in Not" an die MdBs des Bundestages erhofft Debatte

Joachim Petrick

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