Christa Wolfs Selbstanzeige als Stein Klauberin

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Christa Wolfs Selbstanzeige als Stein Klauberin

Wahrscheinlich hat Christa Wolfs neuer Roman Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud weniger mit Literatur im herkömmlichen Sinne zu tun, sondern mehr mit der Schockstarre nach dem Zweiten Weltkrieg, dem vorzugsweise nicht durch Sprüche- Klopfen, sondern Steine Klopfen im geteilten deutschen, europäischen Himmel und Hölle,beizukommen war, um der betonierten Entsprechung der Schockstarre den Mauern des Kalten Krieges als Trümmerfrau, Mauerspecht/in den einen oder anderen Stein als den ureigenen befreiend in den Jahren von 1949- 89 zu klauben, als wäre es ein klirrend klingender Nieren- , Gallenstein der Seele.

Die Jahrgänge um 1927 bedienen sich lesenswert der Bücherwiese als Zugang zu ihrem eigenen „Flakhelfer/innen- „ Psycho- Haushalt, siehe Günter Grass von Marcel Reich Ranicki im Wochenmagazin der Spiegel öffentliche zerrissenem Werk „Fonti“.

Günter Grass ist übrigens als gelernter Steinmetz und Bildhauer ganz nahe an den Stones bis heute dran.

Auf eine Frage, warum Christa Wolf die DDR nicht verlassen habe, antwortete Wolf, sie habe bis zuletzt das Gefühl gehabt, gebraucht zu werden – von ihren Leserinnen und Lesern.

Mich bewegt mehr die Frage, wozu haben wir unter dem geteilten Himmel Europas die DDR gebraucht, um unseren eigenen gespaltenen Gemütsverfassungen, denunzähligen Emigranten in aller Welt ein Angebot für die Rückkehr im Hüben und Drüben, im Sowohl als Auch,zu machen?

Als Hamburger Jung, Jahrgang 1944,entsprach das Lebens- Alltagstempo in der DDR der Fünfziger, Sechziger, noch Siebziger Jahre mehr meinem Gemütshaushalt als das in Hektik sich Atem ringend ausbreitende Leben und Alltag in Hamburg, dem zuerst die traumatisierten, Morphinabhängigen Kriegsversehrten, Hinterbliebenen, mehr und mehr bis 1968 aus dem öffentlichen leben, Bewusstseinder Medien verbannten,zum Opfer wurden?

Bewundert und bestaunt habe ich da die Mobilität von Kriegsversehrten in der DDR, die, anders als in der Bundesrepublik, wie mir scheinen wollte, auf Krankenschein über ein Dreirad- Leicht KFZ verfügten und dieses auch, wie selbstverständlich, im Straßenverkehr benutzten.

War da nicht offensichtlich das Drüben die erspürte wie gefühlte Kehrseite vom Hüben und umgekehrt?

Die DDR ein Schau- und Spürfenster für die wirkliche Rest- Gefühlsweltlage der Deutschen nach dem Kriege?

Ist nicht jedes Jahrzehnt seit 1949, für sich genommen, 1959, 1969, 1979. 1989.1999 unterschiedlich, im Hüben und Drüben,gefühlt ein übervolles Jahrhundert?

These:

„Nicht die Leser/innen in der DDR brauchten Christan Wolf.

Christa Wolf brauchte sowohl die DDR als auch die Bundesrepublik Seelenarbeit, wie wir die DDR wie wir die Bundesrepublik bis heute, im Üben des Hüben und Drüben vereinigt, als Seelenarbeit bedürfen, ob wir wollen oder nicht.

Die ostelbisch Ackerbau Landschaft gilt nicht nur in Christa Wolfs neuem Roman als karg bepflanzt.

Das war schon zu Theodor Fontanes Zeiten und davor so.

"Gemütskarg wie Gefühlskarg" eine Wahrnehmung.

"Gefühlskalt" eine Wertung.

Deshalb gefällt mir Christa Wolfs Begriff "gefühlskarg" in ihrem neuen Roman bei der Beschreibung ihrer ostelbischen Großmutter besser, weil dieser in der weiter eingehenden Wahrnehmung und Wertung Optionen offen lässt.
Ist doch Christa Wolf eher Opfer ihrer ostelbisch großmütterlichen Prägungen
“Einem Junker „Fein“ der Staatsmacht darf man/frau keine Bitte verwehren, ohne sich selber zu entehren“
bei ihrem Ausflug in die Kaderschmiede der STASI (1959- 62), denn Opfer der gesellschaftlich vorliegenden ideologischen Verhältnisse in der DDR der Fünfziger, Sechziger Jahre?
Christa Wolf beschreibt, wie unsicher sie sich als Weiße inmitten der schwarzen Gemeinde während ihres USA- Aufenthaltes 1992- 93 fühlte:
„dann aber setzte ein Chor ein, "alle begannen im Takt des Liedes zu klatschen, ich zögerte, hatte das Im-Takt-Klatschen immer verweigert, dann klatschte auch ich, es war nicht peinlich."
„das Im- Takt- Klatschen“ galt in der DDR- Nomenklatur, proletarisch wie intellektuell, als verpönt, peinlich, übertrieben und unerwünscht. Entsprechend peinfern taktlos rein fielen dann auch die Reden der Ulbrichts, Honecker, Stoph sprach taktfrei zum Mittag, Kant im Konsum Alltag ostelbisch gemütskarg HO bekrenzt aus.
In der DDR wurde geguckt, ab wann geklatscht werden durfte, um sich dann mit gedämpft taktfrei anschwellenden Klatschen in den ersten Protokollarischen Vorgabe- Klatsch Auftakt taktlos einzureihen.
Auch das taktlose Klatschen im öffentlichen Raum der DDR- Nomenklatur, wie dem DDR- Schriftstellerverband, wollte auf „Kante“, erst gelernt, dann als alltäglich mittägliche „Kann- Bestimmung“ gekonnt sein.
Erst als Egon Krenz das öffentliche Kampf- Klatschen am 04. November 1989 im SED Takt einführen wollte, um einen Jubel bis ins DDR Koma auszulösen, zerstob die Berliner Mauer am 09. November 1989 Zettelstraum Weise leise, erst auf einen Schabowski, dann auf einen „Gysi“ „Modrow“ in ein ideologisch verheddertes Nichts, in Schall und Rauch, als wäre die DDR, außer Beton, Stacheldrahtverhau- Spesen, seit dem Berliner Mauer Bau am 13. August 1961 nie gewesen:
„Niemand will eine Mauer bauen, nur deshalb bauen wir sie ja!“
( so in etwa Walter Ulbricht nach einer Ostberliner Pressekonferenz am 11. August 1961 in kleinem geheimen Kreis) .
Noch in den späten Siebziger Jahren des Bleiernen deutsch- deutschen Herbstes des Zwanzigsten Jahrhunderts hat mich meine Ostberliner Freundin als Hamburger auf Tanzflächen im Cafe Nord, Cafe Moskau ausgebremst, wenn ich ausgelassen im Power- Tanzkampfstil beim Rock and Soul losgelegt, und mich entgeistert angeschaut, mir unauffällig ins Ohr geraunt “Du bist peinlich. So auffällig tanzen doch nur Irre“.

In den Achtziger Jahren wendete sich das Verhalten meiner Ostberliner Freundin meinem Raumgreifenden „Auf der Stelle Rucki Zucki Tanz“ gegenüber, aus mir unerfindlichen Gründen, ins krasse Gegenteil..

Wenn ich wieder einmal so „irre“ auf den Tanzflächen im Cafe Nord, Plenterwald, Cafe Moskau, Klärchens Ballhaus Muskel, Hüften zuckend, hüpfend rockte, hörte meine Freundin auf der Tanzfläche stehenden Fußes unvermittelt unverwandt mit ihrem Tanzen auf, stellte sich vor mir hin und klatschte staatsfraulich genau, ohne zu übertreiben, als wäre ich Staatsgast der DDR, dem, neben Narrenfreiheit, die Welt alles erlaubt.
Das war irgendwie auch nicht der wahre Tanz Bär Jakob.

Einmal passierte es da im Cafe Nord doch tatsächlich, dass der Diskjockey zu mir hin rief:
“Sanitäter!“, da vorne tanzt sich ein „Oldie but Goldie“ La Paloma ins Koma?“

JP

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Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud, Christa Wolf, Suhrkamp, Berlin 2010, 416 S., 24,80 €

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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