Hannah Arendts "Holzweg"

Politische Theorie Hannah Arendt hat sich seit ihrer Flucht aus Nazi- Deutschland im Jahre 1933, von der Philosophie weg, mit sozial engagiertem Elan zur politischen Theorie hingewendet

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Hannah Arendt (1906- 1975) hat sich spätestens seit ihrer Flucht aus Nazi- Deutschland im Jahre 1933, von der Philosophie weg, mit sozial engagiertem Elan zur politischen Theorie hingewendet, weil ihr die Intellektuellen im allgemeinen wie die Philosophen im Besonderen in Deutschland, Europa zu einfallsreich, zu verblümt, zu kreativ in ihrer Urteilskraft über die NS- Herrschaft waren.

Der Schock im Jahre 1933 sei nicht die Machtergreifung der Nazis in Deutschlnd gewesen. Dass die Nazis Feinde der Judenheit waren, war ja seit Jahren bekannt.
Nein!, ihr Schock sei damals gewesen, dass sich vormalige Weggefährten/innen in Wissenschaft, Kultur, Politik, Journalismus, Wirtschaft, Gesellschaft auf eine akademisch ergebnisorientierte Spekulation des Für und Wider der Optionen einließen, die die Nazi- Herrschaft möglichweise der Menschheitsgeschichte böte.

Von da ab wollte Hannah Arendt niemals mehr Philosophin, sondern politische Theoretikerin geheißen sein, auch wenn die Bemühungen, u. a. durch den jungen Günter Gaus in seinem legendären Gespräch"Zur Person" mit ihr im Jahre 1963, so schmeichelhaft unterwegs, sie genau in die Ecke der Großen Philosophen verorten wollten.

Philosophie, die nach Resulaten strebte, sei es mit einer Perspektive von Tausend Jahren, sei es mit dem Willen, die nächsten zehn Jahre "wachstumsorientiert", planend, zu bestimmen, war ihr ein Grausen, weil der Wohnsitz des Denkens nicht Resultate, sondern das Erstaunen an sich sei.
Bei diesem Ansatz ihrer "Holzwegtheorie" erwies Hannah Arendt. im Jahre 1906 in Hannover geboren, nach dem frühen Tod ihres Vaters, in Königsberg aufgewachsen, Immanuell Kant die Weihen des "Unerschütterbaren", des "Unfehlbaren" im Denken, der sich niemals auf Ergebnisse seines Denkens verlegt habe, sondern lebenslang dem Erstaunen verpflichtet blieb. So als ob solchermaßen Verpflichtungen zu etwas wie dem Erstaunen denkbar sind.

Hatte doch gerade Immanuell Kant mit seinem Begriff vom

"Kategorischen Imperativ" ,

erwachsen über die reine in die praktische Vernunft, ganz besonders im Trüben fischend, namenlose Netze ausgelegt, in denen sich Nachfolgende, wie Friedrich Hegel, Karl Marx, Friedrich Engels ganz, weniger Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche, auf System Resultate versessen, heillos strebend, verheddernd, verfangen mochten.

Das ficht Hannah Arendt aber in ihrem Urteil über Immanuell Kant als den wahren Denker nicht an.

So gut kommt bei Hannah Arendt nur noch Martin Heidegger, neben dem unabdinglich grandiosen Karl Jaspers, weg.

Bei Martin Heidegger findet Hannah Arendt mit der ganzen Wucht ihrer Persönlichkeit reichlich Futter für ihre

"Holzwegtheorie".

Wobei die Redewendung

"Sich auf dem Holzweg befinden"

durch Hannah Arendt eine wundersame Umdeutung erfährt, weil bei ihr die Begrifflichkeit des "Holzweges" mit Martin Heidegger, insperiert durch Karl Jaspers, nicht als Sackgasse, sondern als Ab- Transportweg für die gefällten Bäume im Dickicht unserer Gedankenurwälder gedacht ist.
Martin Heidegger selber sei nie auf Resulate seines Denkens aus gewesen, außer binnen befristeten zehn Monaten um das Jahr 1935, als er sich, aus der Ferne seiner

"Denkenden Stille"

kommend, auf laute Nähe zur NS- Staatsideologie eingelassen habe, läßt Hannah Arendt sich in einem Feature im Jahre 1969 zum 80zigsten Geburtstag von Martin Heidegger vernehmen.

Nach Martin Heidegger braucht Denken Ferne zur Nähe, Nähe zur Ferne und das in Weltabgeschiedenheit, bei absoluter Zurückgezogenheit und Stille, dass selbst der Ton der eigenen Stimme verstummt, damit "Innerer Raum" für das Erwachen des Erstaunens zu entstehen vermag.
Hannah Arendt, frech, frei und munter, meint mit ihrer ungstümen Urteilskraft in etwa:
"Das denkende Ich bleibt lebenslang alterlos, wird älter, ohne zu altern.

Das denkende Ich teilt sich selber und anderen nicht in Resultaten mit und strebt, eigenschaftslos, wie es ist, auch nicht danach,

Denn hier im denkenden Ich als Wohnsitz des Erstaunens bestimme eben nicht das Sein das Bewußtsein".

Dass aber selbst das Erstaunen an sich in unserer Gegenwart für Denkende die Dichte von Systemcharakter erfahren hat, indem wir, lokal und global, tagaus, tagein, ja stündlich, im Sinne ursprünglichen Denkens, allen Grund und medial viel angefettetes Futter zum Erstaunen haben, denn die gesamtmenschheitlichen Verhältnisse erhellen sich nicht in allgemeinen Denkprozessen durch persönliche Erfahrung und Anschauung, sondern nebeln sich, detailversessen abspaltend, verdunkeln ein.

Hannah Arendt verdeutlicht diesen Ansatz des Denkens folgendermaßen:

"Wenn also ein Mensch einem anderen Menschen, Angesicht zu Angesicht, gegenüber steht, kann er diesen zwar wahrnehmen, aber nicht über ihn denken.

"Banalität des Bösen" am Fall des Adolf Eichmanns entlang
Frage:

"Liegt in Zeiten, wo die persönliche Urteilskraft der Menschen als Kleinmütigkeit, als unerwünschter Eigensinn, Eigenschaft, gar Verhängnis für die Existenz von Religion, Rasse, Volk und Vaterland propagandistisch an den öffentlichen Pranger gestellt ist, dem Bösen schlechthin kein wirkliches Urteil über die Welt, zugrunde, das sich aus persönlicher Erfahrung und Anschauung nährt noch nähren darf und so, prekär salonfähig geworden, als gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeit kommuniziert wird?"

Hannah Arendt prägt als Berichterstatterin des "Adolf Eichmann" Prozesses in Jerusalem im Jahre 1961 im Auftrag des amerikanischen Magazins "New Yorker", stilbildend, den Begriff von der "Banalität des Bösen" mit dem Hinweis, dass Adolf Eichmann kein Dämon, sondern ein "Nichts" und wenn überhaupt etwas, dann vielleicht ein "Hanswurst" sei, über den sie beim Studium von 3.600 Seiten seiner Polizeiakten nicht wisse, wie oft sie gelacht, aber dass sie laut gelacht habe.

Hier gerät Hannah Arendt engagiert auf eine Gratwanderung zwischen aufklärendem Boulevardstil und Treue zu ihrem Haupthema, den Wurzeln der Urteilskraft des Menschen durch nichts außer reiner Erfahrung und Anschauung seinem Wesen nach.

Das bringt nicht nur viele Leser ihres späteren Buches

"Eichmann in Jerusalem" ,

sondern auch ehemalige Freunde, Weggefährten im Urteil über ihre Person, Werk und Schaffen ins Straucheln.

Die einen, insbesondere im deutsch- und französischsprachigen Raum, sehen, ablehend hier, unselig lobend da, im Begriff "Banalität des Bösen" eine willkommene bzw. unmenschliche Verharmlosung, gar "Bagatellisierung" der NS- Verbrechen.

Andere wiederum, eher im englischsprachigen Raum, sehen in der ruchlosen Praxis der Nazi- Ideologie, staatlich organisierte Verbrechen, bei propagierter Not und Gefahr für die Reinheit der deutschen Rasse, Führer, Volk ("Volk ohne Raum", Bestseller von Hans Grimm) und Vaterland, zur Selbstverständlichkeit erhoben, verdunkelnd, kollektiv dumpf in persönlicher Urteilskraft herabgesetzt, für alle Zeiten zu verklären.

Mit welchen ironischem Biss und Humor Hannah Arendt bei ihren Vorträgen, Artikeln, dem Verfassen ihrer Bücher unterwegs ist, läßt sich einmal mehr an folgendem Beispiel verdeutlichen:

Hannah Arendt verwahrte isch immer wieder gegen den Begriff "Verbrechen gegen die Menschlichkeit ".

Dieser Begriff klänge, als hätten die Nazis, die Stalinisten u. a. es bei ihren administrierten Verbrechen, nur an einem bestimmten Maß von Menschlichkeit gegenüber ihren Opfern fehlen lassen, mahnte Hannah Arendt in all ihrer Urteilskraft immer wieder an, lieber den Begriff

"Verbrechen gegen die Menschheit"

zu kommunizieren.

Eine andere Sache ist bei Hannah Arendt, die Sache mit den Widerrufen. Widerufe an sich gab es und konnte es für Hannah Arendt sowenig wie für Martin Heidegger, noch Immanulell Kant geben. Was es für sie und ihre Wahlverwandtschaft gab, war:

"Tag für Tag dämmere mit dem Morgen die Einheit von Leidenschaft und Denken herauf, mit Erstaunen, urteilsfreudig, ein Neudenken des schon Gedachten zu stiften"

Denn die Neigung des Systembaus rühre nicht aus dem Denken des Menschen an sich, sondern aus den Quellen des Willens und der sei eine andere Geschichte als die Geschichte des Denkens.

Bei ihrem Urteil über Adolf Eichmann als "Hanswurst" im Reich der "Banalität des Bösen" vernachlässigt Hannah Arendt das, was sie in dem legendären Gespräch mit Günter Gaus als Unterlassung nachdrücklich anklingen läßt:

Die Erforschung der Geschichte der imperial kolonialistischen Vorjahre und der Jahre des Ersten Weltkriegs (1914- 1918) selber als Fegefeuer und Vorhölle des Versuchs, verifizierend, zu identifizieren, ausgerechnet bzw. bezeichnenderweise in den entwickelten Ländern der Welt, massenwirksam die persönliche Urteilskraft der Menschen auf der Basis ihrer alltäglichen Erfahrungen und Anschauungen als Vaterlandsverrat, Illoyalität gegenüber dem Zeitgeist der sogenannten Moderne zu diskriminieren.

Hannah Arendt (lacht):

"Die Geschichte des Ersten Weltkrieges hätte ich damals als junge Studentin gerne an der UNI in Königsberg, oder war es Freiburg?, kritisch erforscht.

Ich höre noch heute die Stimme eines Professors:

"Nee! Nee! Da wird nichts draus. ich lasse mir doch nicht von Ihnen meine großen Gefühle über diese soldatisch erhaben heldische Zeit vermasseln!"
JP


http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/hr/2012/Sendung-vom-16122012-104.html
"Er war ein Hanswurst!“
Warum Hannah Arendt im Massenmörder Adolf Eichmann die "Banalität des Bösen" entdeckte
Film von Margarethe von Trottha über "Hannah Arendt" startet am 10. Januar 2013 in den Kinos



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Geschrieben von

Joachim Petrick

Aktuelles: Meine sichere Route- Refugee-Airlift - Petition "Luftbrücke für Flüchtlinge in Not" an die MdBs des Bundestages erhofft Debatte

Joachim Petrick

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