Jakob Augsteins "Sabotage Karambolage"

Mutbürger Jakob Augstein geht den Weg des Mutbürgers, der fragt, redet, antwortet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. "Unperfekt zu wirken, unvollendet unterwegs zu sein".

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Jakob Augstein, der "Unperfekte", der „Unvollendete“

Perfekt der Welt zu begegnen, Wahrheiten und Klarheiten zu verkünden und zu vertreten, kann ein jeder, wenn er sich denn für perfekt hält.

Jakob Augstein geht mit seinem Buch "Sabotage", Hanser Verlag, einen anderen Weg, den Weg des Mutbürgers, der fragt, redet, antwortet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

"Unperfekt zu wirken, unvollendet unterwegs zu sein".

Jakob Augsteins Botschaft scheint robust und, erfrischend, frech zu sein:

„Nobody ist perfekt!“

Dieser Bürgermut von Mehrheiten zum "Unperfekten", "Unvollendeten" ist es, von dem gesellschaftlich breit angelegte Diskurse wirklich leben,.

Von Diskussen leben, die dazu taugen, unserer Demokratie den Rückhalt in der Gesellschaft zu erstreiten, zu erhalten und zu festigen, den diese für ihr täglich neues Gelingen braucht.

Der wahre Jakob Augstein findet in seinen Interviews statt

Jakob Augsteins journalistische Stärken sind Interviews, Gespräche, Dialoge.

Was am Jakob Augstein wahr, was klar ist, zeigt sich in der Person Jakob Augsteins am ehesten in seinen Interviews, Gesprächen, zu denen er andere Personen lädt.

In seinem neuen Buch "Sabotage" sind zwei aufschlussreiche Interviews, eines mit dem Sozialwissenschaftler und Philosophen Oskar Negt, eines mit dem Soziologen und Historiker Wolfgang Kraushaar nachzulesen.

Mich interessiert an dieser Stelle das Interview Jakob Augssteins mit Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung des Professors Jan- Philipp Reemtsma ab der Seite 184 in seinem neuen Buch "Sabotage" , Hanser Verlag,

aus einem ganz bestimmten Grund, den ich später im Verlauf erläutern werde.

Wolfgang Kraushaar(WK):

"Die sogenannte Systemfrage wird in unserem parlamentarischen System- wenn man mal von Teilen der Linkspartei absieht, die in dieser Hinsicht nicht als kreditwürdig gilt- gar nicht mehr gestellt"

Jakob Augstein hakt, noch bevor er selber überhaupt die Systemfrage gestellt hat, geschweige denn die gesellschaftspolitische Kreditwürdigkeit der Linkspartei, moderierend, wieder ausbalanciert, mit dieser Frage nach:

"Darf man diese Frage mit Gewalt beantworten?“

Jetzt befinden sich beide Gesprächspartner in einem Dilemma, tun aber so, als ob es das nicht gebe, indem Wolfgang Kraushaar Jakob Augstein entgegnet:

"Nein, das darf man nicht. Wenn Sie mich vor vierzig Jahren gefragt hätten, wäre meine Antwort vermutlich anders ausgefallen. Die sogenannte Gewaltfrage ist allerdings immer noch ein schwieriges Thema. Unsere bürgerliche Demokratie wäre ja ohne den Einsatz von Gewalt nie entstanden. Die Französische Reolution und der Sieg der Alliierten anderthalb Jahrhunderte später waren nun einmal mit einer entschiedenen Form der Gewaltanwendung verbunden. Ich glaube im übrigen nicht, dass sich bei uns nach dem Zweiten Weltkrieg aus eigenen Kräften eine parlamentarische Demokratie entwickelt hätte. Mit anderen Worten, wir verdanken unser demokratisches System dem Einsatz von Gewalt. Das ist ganz unbestreitbar".

Ist das wirklich unbestreitbar?

Jakob Augstein lässt diese Feststellung Wolfgang Kraushaar unkommentiert durchgehen.

Das finde ich unbefriedigend, weil der Feststellung Kraushaars der große historische Bogen fehlt.

Der große Bogen besteht darin, dass es, nach dem epochalen Sichelschnitt durch das Ende des Ersten Weltkrieges 1918, dem Zerfall und Verschwinden von etlichen Despotien, Monarchien in Europa, dem Einleiten des Endes des Kolonialismus, dem Frühling des politischen Pazifismus in aller Welt, viel weniger um das gewaltsame Erkämpfen von Demokratie, sondern um das widerständlich friedenssichernde Durchhalten und Festhalten an Demokratie, damals 1933, dann nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945, wie heute, geht.

Das ist es etwas anderes. als militärische Gewalt, die zum Taufpaten einer westdeutsch geliehenen Demokratie, zu Lasten der Deutschen in der sowjetischen Zone wurde, während Osteuropa in vordemokratisch despotische Zustände zurückfiel.

Ist etwas anderes. als die Militarisierung der Außenpolitik der damaligen Großmächte, ab 1933, im Wege des rüstungspolitischen New Deals, wie der Staaten in den heutigen Wirtschafts- und Verteidigungsbündnissen, voran in der NATO, weil die wirklichen Zusammenhängen, aus denen Finanz- und Wirtschaftskrisen, Kriege, humane Katastrophen entstehen weiter verhangen und eingenebelt bleiben.

Seit 1918 werden keine wirklich erklärten Eroberungskriege mehr geführt.

Es werden "nur" noch Finanzkriege im Namen der Hegemonie von Währungen beim Zugriff auf das Vermögen die Ressourcen der Völker mit den Mitteln der Geldmengenausweitung der Zentral- und Notenbanken zur Kreditschöpfung auf dem Wege zu geliehenem Wachstum im zivilen und militärisch-industriellen Komplex entwickelter und weniger entwickelter Länder der Welt geführt.

Zwischenzeitlich human- militärische Interventionen, im Kosovo, Afghanistan, Irak, Mali und andernorts, unterstreichen den Charakter dieser unerklärt fortgesetzten Welt- Finanzkriege.

Wolfgang Kraushaar bekennt sich in dem Gespräch mit Jakob Augstein als geläuterter Demokrat der deutschen Gegenwart, dem heute, anders als früher, die Gewaltenteilung wichtig, das Gewaltmonopol in der Verantwortung des Staaten richtig erscheint.

Jakob Augstein fragt: "Was ist das Gewaltmonopol?"(S. 185)

Die Antwort von Wolfgang Kraushaar nährt Jakob Augsteins nächste, blitzgescheite, Frage:

"Dann ist die strukturelle Gewalt des Systems, die nicht dem staatlichen Monopol unterliegt, auch legitim?"

WK: "Was meinen Sie damit? Ich glaube hier wird etwas durcheinander geworfen. Wenn wir so im Ungefähren diskutieren, wissen wir nicht, ob wir von einer akteursbezogenen oder einer strukturellen Gewalt reden, die angeblich in den Verhältnissen sedimentiert ist. Also, was meinen Sie damit?

An dieser Stelle will ich mein besonderes Interesse an diesem Gespräch der beiden erläutern.

In Asien gibt es bei Debatten das Phänomen, dass die im eigentlichen Sinne ausbleiben, weil z. B. in Japan das Gebot herrscht, bringe Dein Gegenüber niemals in Gesellschaft, in Gesprächen in die Verlegenheit, unfreundlich gegen Dich zu sein.

Auf diesem kulturhistorischen Hintergrund liegt nahe, dass dieses Prinzip, wenn auch in anderem Gewande, nach 1945 Eingang in die Debattenkultur Europas, Amerikas gefunden hat, und unter dem Talar des Begriffs von Herbert Marcuse "Repressive Toleranz" selbst an unerwarteter Stelle überraschen tiefschürfende Urstände feiert.

Bring in politisch korrekten Debatten, Talkshows Dein Gegenüber niemals in die Verlegenheit, klar un direkt auf Fragen antworten zu müssen, weil Deine Fragen in "Meias Res" zielend, das Ungefähre meiden.

Was ist in dem Gespräch zwischen Jakob Augstein und Wolfgang Kraushaar passiert?

Jakob Augstein stellt Wolfgang Kraushaar, blitzgescheit, seine Frage nach der "strukturellen Gewalt", die an Klarheit und Erhellung im Gefähren kaum zu überbieten ist.

Wolfgang Kraushaar findet diese Frage von Jakob Augstein zu klar zu direkt und wendet, willentlich, unwillentlich, trickreich eine geläufige Intervention an.

Er gibt sich einerseits tolerant gegenüber der Frage, die er auf keinen Fall, wenn, dann nicht so direkt beantworten will, versetzt Jakob Augstein andererseits mit dem konstruierten Hinweis

"Wenn wir so im Ungefähren diskutieren......." (S. 185)

einen, milde kränkend, repressiv wirkenden Schlag ins argumentative Kontor und schon pariert Jakob Augstein, wiederum, ebenfalls systemisch willentlich, unwillentlich, im Sinne "Repressiver Toleranz", wie an der nun folgenden Rechtfertigung im Ungefähren seiner vorher eindeutigen Frage leicht zu erkennen ist.

JA: "Ich meine jene Umstände, die einen Teil der Leute zu Beherrschten machen und ihnen die Möglichkeit nehmen, mit demokratischen Mitteln an diesen etwas zu ändern. Diese Leute sind ohnmächtig, kann man sie dann nicht als Opfer von Gewalt beschreiben?"

Wolfgang Kraushaar strebte an dieser Stelle des Gespräches n. m. E. unabdinglich tolerant wirkend, ins Ungefähre, auch wenn er von Jakob Augstein, repressiv, das Gegenteil einfordert, und hat nun wundersam, wie Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel auf Bundespressekonferenzen, von Zauberhand, Gelegenheit, im Modus und Duktus vollendeter Entschiedenheit, blendend, auf Ungefähres zu antworten.

WK: "Das würde ich ablehnen........"

Dabei zielte die Frage von Jakob Augstein n. m. E. eindeutig auf Formen der strukturellen Gewalt, die nicht mehr von Staaten, Nationen, nicht einmal von Wirtschafts- und Verteidigungsbündnissen bestimmt werden, wie der NATO, EU, sondern, am Haushaltsrecht von nationalen Parlamenten vorbei, von systemisch vernetzten Globalplayern, ökonomischen NGOs, informelle G- 8 Treffen, OECD, IWF, Weltbank, WTO, UNO.

Eine verpasste Gelegenheit sich diesen Fragen, eingehend, zu widmen, auch wenn nicht gleich schlüssig Antworten auf dem Tisch liegen. Wolfgang Kraushaar fehte n. m. E. an Mut, an Zivilcourage gegen den wissenschaftlichen Mainstream seines Genres, Jakob Augstein dagegen nicht.

War das nicht eine beispielhafte Gesprächs- Situation für Jakob Augstein als Moderator den Mut von Gesprächspartner mit einem, ermunternd, leichten Schlag auf den Hinterkopf wecken, oder mit einem Farbbeutel Marke „Osram- oder Narva- Glühbirne“, traktierend, Farbtöne geben möchte, bis dem, singend, die Ohren klingen?

In wie vielen Talkshows habe ich Jakob Augstein schon erlebt und, angesichts vagabundierender Tendenzen „Repressiver Toleranz“ im Gesprächsverlauf, erstaunt, seine disziplinierte Art der Fragen und Antworten, zur Kenntnis genommen.

Langsam wir mir klar, um was Jakob Augstein wirklich, strebend, ringt, sich und andere zu „unperfekten“, „unvollendeten“ Fragen und Antworten einzuladen.Da nimmt Jakob Augstein gerne in Kauf, von dem altklugen taz Kolumnisten, Andreas Fanizadeh, „überfordertes Erstsemester“ gescholten zu werden.

Wolfgang Kraushaar hat Jakob Augsteins Einladung in diesem Gespräch nicht erreicht, wenn ja, hat er diese, bis ihm, mit besseren und direkteren Antworten, auch die dazugehörige Zivilcourage erwachst, tunlichst ignoriert,

JP

Jakob Augstein: "Sabotage - Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen", Carl Hanser Verlag, 304 Seiten, 18,90 Euro, ISBN: 978-3-446-24443-6

http://www.taz.de/Jakob-Augstein-uebt-Kapitalismuskritik/!122091/
Jakob Augstein übt Kapitalismuskritik
Schwafeln, bis der Arzt kommt
19. 08. 2013
Andreas Fanizadeh

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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