Je suis pas Charlie/ Je ne suis pas Charlie

Charlie Hebdo- Anschlag In diesem Beitrag geht es um Kritik an dem taz Artikel Daniel Bax „Charlie Hebdo“-Anschlag" vom 7. Januar 2016 zum Jahresgedenken an den Terroranschlag in Paris

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Ihre Freitag-Redaktion

In der taz, Ausgabe vom 7. Januar 2016, seitenlanger Flut wohlmeinenden Gedenkens

"Je suis pas Charlie"

an den ersten Jahrestag des Massakers in Paris am 7. Januar 2015 löckt Daniel Bax mit seinem

"Je ne suis pas Charlie"

dürre zwei Spalten lang den Stachel gegen die uneingeschränkt Wohlmeinenden. Das verdient Aufmerksamkeit, verdient Respekt vor seiner Rolle des "Advocatus diaboli".

In der Wirkung stellt Daniel Bax taz Kommentar " „Charlie Hebdo“-Anschlag" für mich allerdings auf verstörende Weise ein parodoxes Unternehmen dar, das den Leser als Ratlosen bewirbt, einstellt und als solchen, historisch unbelehrt, aus dem zeitgeschichtlichen Zusammenhang gerissen, ohne Erbarmen zurückläßt.

Die Geschichte der Satire, Karikaturen in Europa nimmt im England des 17. Jahrhunderts nach der "Bürgerlichen Revolution", 1688, der formalen Entmachtung des britischen Könighauses, der Gründung des Zwei- Kammer-Systems mit dem Ober- und Unterhaus, Fahrt gegen jedwede Art säkularen, klerikalen Throne, Despoten, Popen, Fürsten, Könige, Kaiser, Päpste mit schriftstellerisch frivol pikanten bis dreisten Stilmitteln bildhafter Darstellungen nicht nur Analphabeten zum "Wohlgefallen" wie "Missfallen" aus dem Leben der Monarchie, des Klerus auf, den Untertanen gegen fortbestehende Unterdrückung Mut zum Zunge Zeigen zu machen, den Arsch als Zeichen der Missachtung, statt des Hutes als Zeichen der Huldigung, dem Gessler Hut zum Gruß, blank zu ziehen.

Wenn Charlie Hebdo in dieser europäischen Tradition, Herrscher, König, Kaiser, Papst, Religionsstifter, Mohammed persiflieren, karikieren, geschieht dies nicht, um in Europa lebende Muslime/a in ihrem Glauben als Minderheit herabzusetzen, wie dies Daniel Bax nahelegt.

Es geschieht, ganz im Gegenteil, mit dem Ziel, Muslima/en in Europa und andernorts zu ermutigen, gegen säkulare, klerikale Despoten in ihren islamisch beherrschten Herkunftsländern, sogenannten Gottesstaaten, die in grotesk unverhältnismäßigem Strafverlangen die Fatwa ( 1979 iranische Fatwa gegen den britisch- iranischen Schriftsteller Salman Rushdie) nach Art mittelalterlicher Vogelfreiheit, Bann & Acht, gegen Personen zu deren strafloser Tötung ausrufen, jede Furcht vor dem Herren beiseite zu legen und wenigstens hier auf sicherem Boden Europas aus Solidarität mit den Angeklagten dort in genannten Ländern, Zunge zu zeigen.

Das und dazu macht Daniel Bax mit keiner Zeile seines Komentars kenntlich, dass viele islamische Moschee- Gemeinden europaweit am finanziellen Tropf slamischer Staaten, voran Saudi- Arabien, Katar, Oman hängen, von dort immer noch Imame gestellt bekommen

Selbst bei dem kleinsten Anlaß geringster Abweichung im Lobgesang Allahs, im Lobe des Prophenten Mohammeds werden in diesen Gottesstaaten, Kalifaten drastische Strafen verhängt, auf öffentlichen Plätzen cora Publikum vollzogen.

Wer womöglich gar vom Glauben abgefallen gilt, den Glauben gewechselt hat oder weltlichen, klerikalen Fürsten, Scheichs, Königen gegenüber, die sich anmmaßend mit dem unanfechtbaren Namen Mohammeds zu schmücken suchen, eine Majestätsbeleidigung "wagt", wird auf öffentlichen Plätzen mit konstruierten Bezügen zum Koran, zur Sharia auf groteske Weise unverhältnismäßig drastisch bestraft, wenn nicht hinrichgerichtet.

Frauen, die als "Ehebrecherinnen" gelten, werden nachwievor in diesen Ländern cora Publikum gesteinigt.

Auf diesem Hintergrund betrachtet, vermag ich Daniel Bax Wort:

"Mit autoritärer Pose erklären sie gläubigen Muslimen, man könne auf ihre religiösen Gefühle leider keine Rücksicht nehmen ......... Mohammed-Karikaturen aber sind keine Kritik an religiösem Fundamentalismus – sie machen sich über den Glauben religiöser Muslime lustig, die in Frankreich nun mal eine diskriminierte Minderheit sind."

nur als historische Fehlinterpretation identifizieren, die die Despoten in Saudiarabien, Katar, Oman, Jemen, Sudan, IS u. a. islamischen Staaten eher schützt, statt, neben kritischen muslimischen Minderheiten in Frankreich, jenen solidarisch zur Seite zu stehen, die in genannten Ländern wegen Häresie vor Gerichten stehen, denen unverhältnismäßig drastische Strafen, wie 1000 Peitschenhiebe, die sofortige Hinrichtung cora Publikum droht.

Gegen solcher Art Groteske maßlosen Strafbegehrens im Namen Allahs und seines Propheten Mohammed durch weltliche Scheichs und Warlords bleibt das bildhaft Drastische in den Karikaturen Charlie Hebdos was es ist, der Stein des kleinen Davids gegen das blank gezogene Schwert des Riesen Goliaths und sonst nichts.

Diese Art mittelalterliche Willkür der Despoten in Saudiarabien, Katar, dem Jemen, Iran, Omar, dem IS über ihre "Untertanen" stellt die real groteske Karikatur des Glaubens an Allah und seinen Propheten Mohammed dar.

Auf welche Gefahr Daniel Bax zu recht hinweist, auch wenn er diese expressis verbis nicht direkt benennt, dass Regierende in Frankreich, unter dem embeded Beifall weiter Teile der Medien, "Charlie Hebdo" nach dem terroristischen Anschlag am 7 Januar 2015 mit 12 Opfern aus dunklem Grund mit dem Ruf

"Je suis Charlie"

von ganz rechts bis ganz links für militärische Interventionen in Syrien gegen den IS zu vereinnahmen suchen, die anlasslose Hausdurchsuchungen, Hausarrest ohne gerichtichen Beschluss hinnimmt, um jede Kritik gegen diese militär- interventionistische Überreaktion Frankreichs von vornherein im Keim zu ersticken.

Andererseits führt Danile Bax sich mit dem folgenden Satz in Angelegenheit der Satire. Karikaturen selber historisch unkundig vor, denn geschichtlich singuläre Ereignisse und seien sie noch so schrecklich, wie der Holocaust, taugen nicht wirklich als personalisierbarer Stoff für Satire, Karikaturen den Mächtigen zum Hohn und Spott, schon gar nicht, wenn diese, wie im genannten iranischen Fall, der reinen Hetzpropaganda gegen das Judentum, den Staat Israel und der Negierung des Holocaust dienen sollen.
:
"Oder warum hat keine deutsche Zeitung die berüchtigten Holocaust-Karikaturen aus dem Iran nachgedruckt, wenn es doch angeblich darum geht, alles verspotten zu dürfen?"

Auch der Satz Daniel Bax

"„Charlie Hebdo“ war angeblich respektlos gegen alles, was heilig ist. Umso fragwürdiger ist die Pietät der vielen, die gedenken."

gibt fatal zu denken.

Ist es Pietät, posthumer Kult, Sakralisierung des Gedenkens, ist es gebannte Ratlosigkeit, gepaartr mit Schockstarre, angesichts des Schreckens, die vom Springer Verlag über DIE ZEIT, Neues Deutschland, Den Freitag bis zur taz alle im Gedenken an den 7. Januar 2015 weiterhin erschüttert in das Lied einstimmen lässt

"Je suis pas Charlie"?

Sind dort an jenem Tag in Paris nicht Mitarbeiter des Satire Magazins Charlie Hebdo im Gefühl ihrer "Unsterblichkeit", im Streben gegen alles respektlos zu sein und doch in Redaktionssitzungen zu spüren, sie sind es nicht wirklich, schon gar nicht gegen sich selber, aus ihrem Leben gerissen, ermordet worden?

Sind wir nun mit diesem seltsam bemüht angelegten Kommentar Daniel Bax eingeladen, den Opfern vom 7. Januar 2015 vorzuhalten, was ihnen nun wirklich im Namen der Meinungs- und Pressefreiheit nicht in Gänze gelungen ist, gegen Jedermann und alles, vor allem sofort und gleichzeitig gegen sich selber, ohne Ansehen der Person, noch politischen, religiösen Lage im Irgendwo respektlos gewesen zu sein?

Gehen in diesem querfrontsartig, gutgemeint, aufgebracht bis hämischen und letztendlich doch daneben geratenen Kommentar nicht menschliche Dimensionen pietätlos über die Wupper zum Gerichtsort, zur Hinrichtungsstätte auf der Insel der tödlich "Gerichteten"?, weil dem Kommentator Daniel Bax die physische Vernichtung der Opfer vom 7. Januar 2015 nicht reicht, soll sich die Vernichtung beruflicher Professsion posthum moralin dazu gesellen?

Worin Daniel Bax n. m. E. richtig liegt, die Opfer werden zu „Märtyrern der Meinungsfreiheit“ stilisiert, für den Krieg Frankreichs, Deutschlands, Englands, der EU in Nahost instrumentalisiert und können sich als Opfer des Internationalen Terrors nicht mehr dagegen wehren.

Wahre Wertschätzung Charlie Hebdos fühlt sich anders an.

Wir sind es, die Charlie Hebdo vor dieser Vereinnahmung durch human- militärische Interventionisten aller politischen Farben in Europa schützen sollten.

Alles in allem, ist zu sagen, was Daniel Bax zu recht am Magazin Charlie Hebdo kritisiert, das ist beachtens- und bedenkenswert, geht aber, recht bedacht, doch weit über dieses Magazin selber in Fragen von Meinungs- und Pressefreiheit hinaus. Und braucht weit mehr Öffentlichen Raum und vor allem keine unselig heillos schuldhafte Verstrickung in das Trauern und Gedenken der Opfer.
JP

http://www.taz.de/Kommentar-%E2%80%9ECharlie-Hebdo%E2%80%9C-Anschlag/!5261492/
Kommentar „Charlie Hebdo“-Anschlag
7. 1. 2016
DANIEL BAX
Je ne suis pas Charlie
„Charlie Hebdo“ war angeblich respektlos gegen alles, was heilig ist. Umso fragwürdiger ist die Pietät der vielen, die gedenken.

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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