Jelineks Wutstück, ein unwirtlicher Ort

Theaterkritik Lässt Wut, die auf vergeblicher Suche namenloser Täter im Raum "Schutzbefohlener" nicht weichen will, traumatisierte Opfer von Flucht,beraten und verladen zurück?

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Elfriede Jelineks Wutstück "Die Schutzbefohlenen", ein unwirtlicher Ort

Verbraucht sich Wut, die vor lauter Empörung über das "Ihr" auf vergeblicher Suche namenloser Täter im Raum "Schutzbefohlener" nicht weichen will, dazu das "Wir" mit der Folge vergisst, dass traumatisierte Opfer von Flucht, Verfolgung, Vertreibung, beraten und verladen allein zurückbleiben?

Gestern bebte ich mit meiner Frau als Zuschauer zwei Stunden lang, ohne Pause, noch Unterlass, jeglicher Beinfreiheit Parkett Reihe 15 entmündigt, eingemeindet, Szene um Szene, in dem Drama

"Die Schutzbefohlenen"

von Elfriede Jelinek in der brachialen Inzenierung von Nicolas Stemann mit seinen vertrauten Thalia-Protagonisten Felix Knopp, Daniel Lommatzsch, Sebastian Rudolph, dem Klagechor mit Lampedusaflüchltingen als bemühten "Expertendarstellern".

Elfriede Jellinek hat den antik flehenden Klage- Oberton in Aischylos griechischem Drama "Die Schutzbefohlenen" durchaus adaptiert.

Gleichwohl unterlegt Jelinek, den Stier Europa wütend bei seinen ewig "jungfräulichen" Hörnern packend, ihrem Drama eine eurozentristisch Tonlage nach Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" Machart 1967 mit Wiener Schmäh, schrillen Klängen einer Melange aus Zynismus, Ironie, Sarkasmus, Groteske, im Sauseschritt fidelem Klamauk, dass mir als Flüchtlingskind, Jahrgang 1944, angst und bange um mein eigenes und das Seelenheil der europäischen Dublin-II-Abkommen traumatisierten Opfer, die Lampedusaflüchlinge als Laiendarsteller im Klagechor wird.

Bleiben diese armen Menschen als Komarsen dieses Wutstückes nicht einem Wechselbad der Gefühle aus dem Erdulden, Erleiden bürokratisch verwirrender Zuwendung von Pontius bis Pilatus und zurück, Rosinenbomber- Geschenken, die aus dem weit geöffneten Himmelstor auf offener Thalia- Bühne mit Hoher Luft nach oben gefahrenreich namenlos herniederprasseln, dem Gelächter des Kapitals, dem Herabsehen, Hohn und Spott ausgesetzt?

Dieses "Jelineckisch" Wiener Schmäh- Sprach Idiom scheint mir weder der Thematik, noch der Elebniswelt der Lampedusaflüchtlinge aus Afrika, Arabien, Kaukasien, Naher- , Mittlerer Osten in Hamburg Sankt Pauli Reeperbahn zugeneigt.

In Hamburg spricht man anders als in Wien. In Hamburg sagt man seit der Franzosentid, 1806- 1812 , ohne Ansehehn der Person

"Tschüss"

Elfriede Jelinek geht es gewiss nicht um die Töchter des Danaos in der Antike, die von ihren Müttern, Vätern befohlen, in Ägypten ihre Vettern wohlfeil heiraten sollen, aber gerade noch geborgen im griechischen Argos Asyl landen, weil dieser Deal, aus Mangel an Mitgift, oder frühem Tod der versprochenen Bräutigame scheitert?

In "Die Schutzbefohlenen" schwillt die Klage eines Flüchtlingschors an und ab, der aber beklagt nicht die Abwesenheit von Heimat, aus der ein jeder Sänger, eine jede Sängerin verfolgt, gejagt, vertrieben, all ihr Restvermögen zurücklassend, vor dem Angesicht der Welt sehenden Auges entrechtet, flohen, sondern, dass ihnen, den Gliedern des Flüchtlingklagechors das Unterwegssein im Nirgendwo nun, mit Brief und Siegel gestempelt, als unzureichende Ersatz- Heimat für alle ihre Restlebenstage verordnet scheint.

Papst Franziskus, kaum im Amt "Habemus Papam!" , eilte 2013 auf die italienische Insel Lampedusa und nannte das Sterben der Flüchltinge auf dem Mittelmeer vor den Küsten Afrikas, Europas un geschminkt eine Schande, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Massenmord

Theaterregisseur Nicolas Stemann macht 2013 dort mit ungestümen Elan weiter, wo er 2009 mit Elfriede Jelineks Finanzkrisen- "Ballade"

"Die Kontrakte des Kaufmanns"

zum "Großen Wurf" angesetzt hatte.

Die Fallstricke aus dem Mannheimer Welttheatertreffen 2013 für das Repräsentationstheater schlechthin liegen bei Nicolas Stemanns Inszenierung "

Die Schutzbefohlenen"

von Elfriede Jelinek mit dem nebligen Duft des Vorsatzes weiter mit Bedacht "Hab Obacht" in jeder Ecke, jedem Planquadrat der Thalia- Bühne herum und laden, steinig gewogen, zum Stolpern ein, wollen kaum gemieden sein.

Aus der in Mannheim 2013 dräunenden Masse der Flüchltinge im Bühnen- Hintergrund wird in Hamburg 2015 auf der Thalia- Bühne ein "So als ob" Totengesang- Massengrab aus fliesenflach eingeebneten "Stolperstein Körpern" eben noch sich bewegender Seelen an der Rampe hin zum Publikum.

Die eingebneten "Stolperstein- Körper" vermögen des eiligen Spaziergängers aufrechten Fuss und Tritt im Vorbeigehen kaum zu stören. Oder doch?

Es will mich dünken, als ginge es in dem Theaterstück

"Die Schutzbefohlenen"

von Elfriede Jelinek nicht wirklich um "Schutzbefohlene", sondern um das Auswechseln von Komparsen eines

"Langzeitdauertheaterstücks" , namens

"Ausgewilderter Kapitalismsu"

als Perversion, als eine "Out of order" geratene

"unsichtbaren Hand",

wie diese Adam Smith im Wirken und Walten des Wirtschaftens schlechthin im 18. Jahrhundert zu ekennen vermeinte.

In Wirklichkeit geht es eben nicht nur in Afrika, Naher- , Mittlerer- Osten, Kaukasien, Mexico, sondern auf allen Fünf Kontinenten unserer Einen Erde um das Verschwinden von Heimat, in der Existenz, Anwesenheit, in der allein die Gegenwart eines Menschen als "Zahlungsmittel" gilt, Bestand hat und, einer gemeinsamen Zukunft zugewandt, geachtet bleibt

Was die Einen in Europa, den USA, Russland, China, Indien, Brasilen, den anderen in Afrika, Kaukasien, Amazonas- Gebiet, Naher- , Mlttlerer Osten, Balkan, der Ukraine, Mexico direkt, indirekt durch eine asymmtrische Weltwirtschaft an Heimat, unter den Füssen weg, entziehen, nehmen sie sich, nehmen sie uns, die wir uns noch beheimatet wähnen, dunkel verwirtschaftet, an heller Zukunft und Zuversicht.
JP

www.thalia-theater.de
www.lampedusa-in-hamburg.org

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/kirche-der-angst
JÖRN HAYER 11.06.2014 | 06:00

Kirche der Angst

https://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/workingpower-to-the-refugees
JOACHIM PETRICK 25.06.2014 | 23:00
Workingpower to the Refugees!

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Geschrieben von

Joachim Petrick

Aktuelles: Meine sichere Route- Refugee-Airlift - Petition "Luftbrücke für Flüchtlinge in Not" an die MdBs des Bundestages erhofft Debatte

Joachim Petrick

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