Joachim Gaucks zaghaftes Gespür für Europa

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich, nach knapp einem Jahr Amtszeit, in die Arena "Großer Reden" zu "Großen Themen" in Anwesenheit von 200 Gästen, im Schloss Bellevue gewagt.

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Bundespräsident Joachim Gaucks ordentliche Rede, die scheinbar nichts an Optionen ausschließt, nichts wirklich einräumt, statt eine "Große Erzählung" Bundespräsident Joachim Gaucks zur Vergangeneheit, Gegenwart und Zukunft Europas anzustimmen.

Kommentar zu Bundespräsident Joachim Gaucks Rede am 22. Februar 2013 im Schloss Bellevue.

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich endlich, nach knapp einem Jahr Amtszeit, in die Arena "Großer Reden" zu "Großen Themen" in Anwesenheit von 200, verlesen, geladenen Gästen, im Schloss Bellevue in Berlin gewagt.

Das ist gut so!

Das Thema seiner Rede war "Europa".

Joachim Gaucks redliches Bemühen in seiner Rede, die Anwesenden im Schloss Bellevue und das Publikum draussen, daheim an den Bildschirmen, Radios für das Thema "Europa" zu erwärmen, war unverkennbar spürbar.

Deshalb erscheint es mir umso verwunderlicher, wie verzagt Bundespräsident Joachim Gauck bei diesem Thema seiner Wahl zu Werke ging, für das die Agenda über den Tag hinaus, wie Willy Brandt zu sagen pflegte, mit Händen zu greifen ist.

War es ein Flashback traumatisierender Erfahrungen aus seiner Lebenszeit während 40 Jahren Existenz der DDR im Kalten Krieg?, die ihn so verschüchtert, vergeblich nach thematisch zündenden Inhalten, Aspekten und Begrifflichkeiten Europas im Konzert der Völker der Welt über den Tag hinaus ringen ließ?

Möglicherweise tappt Bundespräsident Joachim Gauck hier in die Falle seines undialektischen Verständnisses von Europa während des Kalten Krieges, indem für ihn Osteuropa von 1949- 1989 aus dem Projekt Europas westeuropäischer Prägung, unter Inkaufnahme der gesamteuropäischen Spaltung, der Teilung der Welt in Ost- und Westblöcke, bis heute merkwürdig ausgeschlossen gilt.

Dabei war das Eine Europa im Osten ohne die Existenz des anderen Europa im Westen als gesamteuropäischer Prozess nicht vorstellbar.

Das Ei, aus dem erst, 1919 nach dem Ersten Weltkrieg (1914- 1918) dannn 1945 nach dem zweiten Weltkrieg (1939- 1945) die Schlange des Spaltpilzes Europas und der Welt kroch, lebt noch.

Ist es diese Gefahrenlage, ist es der europäisch lauernde Spaltpilz, der Bundespräsident Joachim Gauck, um den Preis der "Selbstverleungung" von vierzig Jahren Existenz der DDR, so "eingeschüchtert" in seiner Rede zu Europa agieren läßt?

Da ist nichts mehr von seinem sprachlichen Impetus, anlässlich seiner Inaugurationsrede als Bundespräsident vor einem Jahr (2012) in Anlehnung an eine Redewendung von Willy Brandt

"Mehr Demokratie wagen!"

zu spüren, die da lautete:

"Mehr Europa wagen!"

Selbst Gedankeneinschübe, die Bundespräsident Joachim Gaucks intellektuell vorhandenen Elan ansatzweise ahnen lassen, blitzen nur kurz auf, um dann als vorauseilend historischer Blackout wirkungslos zu verpuffen.

"Wenn die Wirtschaft verschmilzt, verschmilzt irgendwann auch die Politik. Übrigens sagte Walther Rathenau das schon 1913, vor genau 100 Jahren. Wo einst Staaten um Ressourcen und um die Hegemonie stritten, wächst Frieden durch gegenseitige Verflechtung."

Bundespräsident Joachim Gauck erwähnt ausgerechnet in diesem Zusammenhang, den er selber anbietet, das Unglück der Völker Jugoslawiens, des Balkans, Griechenlands nach dem Mauerfall von Berlin am 09. November 1989, aufgrund des Fehlens und Versagens europäischer Gesamtpolitik in Fragen der Sicherheit, Integrität, Wirtschaft, Kultur, Entwicklung, Währung mit keinem Wort, wenn er sagt:

Allerdings wurde damals Europa recht bald zu einem Konzept nur für Westeuropa. Im Kalten Krieg zerfiel der Kontinent in zwei politische Lager. Doch mochten Ost- und Mittelosteuropa über 40 Jahre abgeschnitten sein, so lebten seine Bewohner doch im Geiste in Europa. Sie hatten es eigentlich nie verlassen. Für sie und auch für mich war 1989/90 unser überzeugtes Ja zu dem freien, demokratischen, wohlhabenden Europa so etwas wie der zweite Gründungsakt Europas, ein nachgeholter Beitritt für jenen Teil des Kontinents, der einfach nicht von Anfang an dabei sein konnte. Es war zugleich eine qualitative Erweiterung für Europa. So, wie Europa nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem ein Friedensprojekt gewesen war, so war es nach 1989 vor allem ein Freiheitsprojekt."

Warum fehlt es Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede an Mut, nicht nur den gutwillig freiheitlichen Europäer hervorzukehren, sondern mit Trennschärfe gerade als deutscher Bürger in hohem Amtud Würden, Ross und Reiter zu nennen, wenn es um bundesdeutsches Versagen in der europäische Politik der letzten Jahre geht?

Da wäre vor allem an den vorsätzlichen Bruch der Maastrich Verträge (Stabiltätsgesetze) durch die rotgrüne Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Aussenminister Joschka Fischer im Rahmen der volkswirtschaftlichen Implementierung der Agenda2010/Hartz IV Gesetze im Jahre 2003 zu erinnern, die europaweit irreversibel die Büchse der Pandorra staatlicher Verschuldungspolitik im Namen von Scheinkonjunkturen in unterschiedlichen Bereichen geöffent hat.

Ganz nebensächlich, aber nicht unbedeutend ist anzumerken, dass Bundespräsident Joachim Gauck, als gebe es den Rest der Gäste aus aller Welt gar nicht, nur die Europäer unter seinen Gästen begrüßt.

Auch wenn Bundespräsident Joachim Gauck zum Ende seiner rede stramm an uns Europärer appellieert, will bei mir doch kein echter Elan für Europa aufkommen, wenn er sagt:

"Sehr geehrte Damen und Herren, mehr Europa fordert: mehr Mut bei allen! Europa braucht jetzt keine Bedenkenträger, sondern Bannerträger, keine Zauderer, sondern Zupacker, keine Getriebenen, sondern Gestalter,"

Klingt das nicht eher nach "Packen wir die Decke drüber" und nichts wie weg?, auch wenn Bundespräsident Joachim Gauck an anderer Stelle seiner Rede die wachsende Bedeutung starker Zivilgesellschaften in den einzelnen Ländern Europas für die Entwicklung der Demokratie in Europa hervorhebt?

Dass die Gründung des Zweiten Deutsches Reiches (1871- 1918) durch den königlich- preussischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck über einen Krieg mit dem Kaiserreich Frankreich mit deutschen Kleinstaaten zustande kam, begreift Bundespräsident Joachim Gauck bis heute nicht als weitere verpasste Gelegenheit nach der europaweiten Bürgerlichen Revolution von 1848, die kontinentale Einheit Europas herbeizuführen, gerade weil damals deutsche Königs- und Fürstenhäuser als Landesherren, selbst im Königreich Preußen, historisch belegt, viel mehr europäisch, transatlantisch, denn kaiserlich, gar deutschnational dachten und orientiert waren

Trotzdem.

Irgendwie, ich weiss noch nicht wie, lag da durchaus Segen auf Joachim Gaucks Rede mit dem Thema seiner Wahl "Europa", auch wenn viel von Wirtschaft, Währung, Sicherheit, Globalisierung, freiheitlicher Wettbewerb, aber kein Wort zu sozialen Standards in Europa bei Joachim Gaucks Rede Eingang fand, der Segen, von einigen guten Geistern verlassen, als ziemlich schräge Lufthoheit über dem Saal Parkett im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, unter der Decke hing.

Wer. wie Bundespräsident Joachim Gauck seine Rede zum Thema "Europa" so offen in alle Richtungen formuliert, muss sich nicht nur die Frage gefallen lassen, ob er thematisch noch ganz dicht ist, sondern die Frage beantworten, ob er als deutscher Bundespräsident, weg von der Idee eines föderativen Europas, wie es diese der rotgrüne Aussenministera. D. Joschka Fischer noch im Jahre 2000 in seiner Humboldr Rede favorisiert, nun übergangslos ganz im Sinne der Briten und zum Wohlgefallen der regierenden US- Administration unter US- Präsident Barack Obama, Europa als transatlantisch reine Freihandelszone kommunizieren will?
JP

http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2013/02/130222-Europa.html
Rede zu Perspektiven der europäischen Idee
Schloss Bellevue, 22. Februar 2013

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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