Joachim Seyppel << kaputt heiler Typ>>

Nachruf Der Autor, Publizist Joachim Seyppel <<Der Asphalt Literat>> ist am 25. Dezember 2012 in Wismar mit 93 Jahren verstorben

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

In seinen letzten literarischen Marginalen im Neuen Deutschland vom November 2011 wählt Joachim Seyppel im Stenogramm Tagebuch- Stil eine fiebernde Tonlage der Hast und Unduldsamkeit mit sich selber:

"Oft gewisse Personen beleidigt, kränkbar schöne Frauen, zu viele Mädchen betrogen, die allerunschuldigsten Irrtümer zu spät eingesehen, nie eine grade Linie verfolgt, geschwankt, gezögert, umgefallen, zu spät begriffen".

Und doch scheint Joachim Seyppel bis in die letzten Tage seines hohen Alters wie ein Seefahrtsmann mit festem Tritt auf den schwankenden Planken seines Lebenskahn zu stehen.

Nun ist Joachim Seyppel, zuletzt in einem Pflegeheim in Wismar lebend, am 25, Dezember 2012, dem 1. Weihnachtstag, nach allem Anschein im Einklang mit sich, samt seinem Lebenskahn für immer in den ewigen Jagd Tiefen seiner Gedanken Meere versunken.

Joachim Seyppel war sosehr der unentwegt engagierte Greis, wie er es zeitlebens , zuerst als Schüler im Grunewald Gymnasium in Berlin bis zu seinem Abitur im Jahre 1938 war, dann als "jugendbewegter Vagabund" und Student bis zu seiner Promotion in Literatur an der UNI Rostock in den ersten Jahren des Krieges bis 1943 blieb.

Wo Jaochim Seyppel anderen als ein Ausbund an Heimatlosigkeit erscheinen mochte, als ein Pendler zwischen den Welten, zwischen Ost und West, zwischen West- und Ostberlin, zwischen Hamburg und Haiti, zwischen den USA und der Bundesrepublik, war er sich seiner Inneren Heimat in diesen aufgewühlten, zerrisssenen Zeiten der Teilung der Welt, Europas, Deutschands nach dem Zweiten Weltkrieg in Blöcke umsomehr gewiss.

Eigentlich ein unerklärliches Wunder und Rätsel, dass Joachim Seyppel als Pendler zwischen den Welten so wenige Weggefährten hatte, wie den Schauspieler Wolfgang Kieling, letztendlich auch Wolf Biermann

Schnell wurde Joachim Seyppel im Jahre 1973, dem Jahr des Antritts von Günter Gaus als Erstem Ständigen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in Ostberlin, aber auch das Jahr des todbringenden Putsches gegen den frei gewählten Präsidenten Salvadore Allende in Chile, unterstelt, er habe durch seine Übersiedlung nach Ostberlin in den 14. Stock eines gerade neu erstellten Plattenbaus in Marzahn, unverbesserlich, Partei für die DDR ergriffen.

Was für ein Trugschluss. Joachim Seyppel war einer jenen Persönlichkeiten in Deutschland, die seismogafisch den damaligen frischen Wind und Duft von Politikwechsel rochen, die Günter Gaus in seiner Arbeit bestärken wollten, für die es in Wirklichkeit niemals ein Hüben und Drüben gab, für die es vor allem Eines gab, einen deutschen Politik- , Kultur- , Sprach- Gestaltungsraum.

Manche wollen das bis heute selbst bei ihren Nachrufen auf Joachim Seyppel noch nicht begreifen.

Joachim Seyppel, 1919 in Berlin geboren, richtete sich von Jugend mit Elan an seiner Empörung gegenüber Grenzregimen auf, die aus dem Boden hervorschossen, seien es nationale, politische, kulturelle, wissenschaftliche, literarische Grenzen

Joachim Seyppel war einer jenen frisch und munteren Prototypen, die Pate für das standen, was deren Söhne und Töchter später, 68er bewegt "Hinterfragen" nannten.

Was anderen wie störrischer Eigensinn vorkommen mochte, war Joachim Seyppel lebenslang sicherer Kompass in einem Umfeld voller Verlockungen, verheißungsvoller Verführungen, blendender Desinformation.

Da wollte Joachim Seyppel lieber bei seinem Stiefel und Leisten als Sysiphos in moderner Gestalt des "kaputten Typs", des "Asphalt Literaten" bleiben.

Was für ein Beharrungsvermögen muss ein Mensch aufbringen, um seinen Lebenskahn, auf den offenen Ozeanen ohne Aussicht auf Horizonte, allein mit seinem Inneren Kompass durch steife Brisen, gefahrenreiche Stürme, hohe Wellengänge, hier und da, sicher an Küsten, Ufer, rettend, in Häfen zu lenken?

Joachim Seyppel war so ein Mensch.

Von 1949 bis 1961 lebte Joachim Seyppel als Dozent für deutsche Literatur in den USA.

1961 in Westberlin kurz nach dem Mauerbau zurückgekehrt, schrieb er sein überaus kritisches USA- Buch

>>Columbus, Bluejeans oder Das Reich der falschen Bilder>>,

1973 übersiedelte Joachim Seyppel für sechs Jahre in die DDR.
Wobei DDR ein großes Wort ist und Ostberlin als deren Hauptstadt ein ganz besonderer Ort zum Leben und Wohnen für Kulturschaffende beim deutsch- deutschen Gedankenaustausch war.

Im Plattenbau, 14. Etage, schreibt Jaochim Seyppel als Aufrreger seinen satirischen Roman
>>Die Wohnmaschin>>.

1976 unterschreibt Joachim Seyppel, mit Jurek Becker, Manfed Krug, Stephan Hermlin, Stefan Heym, Volker Braun, Bettina Wegner, Klaus Schlesinger, Günter de Bruyn u. a. einen Aufruf gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns durch die DDR- Behörden.

1979 erfolgt beim so genannten Berliner Schandtribunal Joachim Seyppels Ausschluss aus dem DDR- Schriftstellerverband, unter Leitung Hermann Kants, der einen Dieter Noll ermutigte, von<<kaputten Typen>> zu schreiben gemeint waren Joachim Seyppel, Sefan Heym, Rolf Schneider.

Joachim Seyppel erklärte darauf offensiv seinen Dissenz mit der öffiziellen Kultur- und Medienpolitik der DDR.

Die Folge war, dass immer weniger Beiträge von ihm in den DDR- Medien, Fernsehen, Rundfunk, im gesamten DDR- Kuturbetrieb angefragt wurde, was einem indirekten Berufsverbot gleichkam.

Inzwischen hatten sich die deutsch- deutschen Verhältnisse aber soweit, auch dank der Früchte der inständigen Arbeit Günter Gaus, entspannt, dass Joachim Seyppel die neue unbürokratische Transit Praxis zuteil wurde und er ein dreijähriges Ausreisevisum in die Bundesrepublik Deutschland bekam.

Joachim Seyppel siedelte sich in Hamburg an, um dort als Autor gefragt, u. a. Beiträge beim Hamburger Abendbaltt, der Süddeutschen, unterzubringen

In Hamburg schrieb Joachim Seyppel mit einem angriffslustig mokanten Lächeln zwischen den Zeilen das Buch

>>Ich bin ein kaputter Typ>>.

Wer dieses Buch nicht genau liest, könnte meinen, Joachim Seyppel indenfiziere sich mit seinen Aggressoren im DDR- Schriftstellerverband, die 1979 seinen Ausschluss betrieben hatten.

Wer Joachim Seyppel durch seine Bücher nicht besser kennte, wäre versucht, seine Redewendunge, wie

"Ach wir Nebeleheimer"

als drastischen Sarkasmus des Alters zu identifizieren.

Das sind diese mitnichten, sondern ein weiteres Indiz, dass Joachim Seyppel als Fahrensmann weiter seinen Lebenskahn in sichere Häfen steuern wollte und dazu, gar meilenweit laut hörbar, Töne von sich gebend, auch schon einmal, zum Nebelhorn griff.

Sprache, voran Redewendungen waren für Joachim Seyppel, lebenslang, nicht einfache Instrumente der Verständigung, der menschlichen Kommunikation, sondern erjagte Beute.

Wobei die Frage naheliegt, wer hat hier, von Fall zu Fall, wen als Pointe erbeutet?

Wer da meint, Joachim Seyppel sei suboptimal ins Scheitern vergafft, wie andere in ihren Orgasmus verliebt sind, der irrt.

Scheitern erlebte Joachim Seyppel durchweg als ein Grounding, das man begrüssen, das man verdammen kann, das einen aber, egal wie, zur Urteilskraft führt.

Joachim Seyppels Schreibstil war der eines Geschwindschrittläufers, der, wie ein Peter Scholl- Latour als leidenschaftlich engagierter Erzähler in seine Kriegs- Berichterstatter Rolle zurück strebte, ohne sich in Schützengräben ducken zu müssen.

Joachim Seyppel der ohnehin kantig gebaute Mann betonte noch seine Kantigkeit als sein kleidsames Gewand.

So ertrug Joachim Seyppel in seinem kantigen Gewand den medial befeuert mondänen Rummel um die Gruppe 47 nur schwer.

Erleicherterung verschaffte er sich, indem er die Gruppe 47 als
<<Avantgarde des Mittelmaße>> titulierend vorführte.

Joachim Seyppel griff aufgebracht zur Glosse zwischen zwei Buchdeckeln gegenüber dem angeblichen Nazistaat BRD

>>Als der Führer den Krieg gewann oder Wir sagen Ja zur Bundesrepublik«

Dieses Buch erschien nur in der DDR, im dortigen Aufbau- Verlag.

Was Joachim Seyppel wiederum, der 1982 von der DDR ausgebürgert worden war, als Parteinahme für die DDR gegen die Bundesrepublik Deutschland in den westdeutschen Medien angekreidet wurde

Was manche Joachim Seyppel vorhalten, er habe Feindschaft, die er angeblich, lustbetont, zu stiften vermochte, als einen Gradmesser des verstörungspflichtigen Schriftstellers gehegt und gepflegt, war im Grunde etwas ganz Einfaches, nämlich Jaochim Seyppels Sinn und Elan für investigative Erzählungen gegen den matten Strich der Meanstream Medien

So in den Medien gebrieft und gelagert, liegt es für manche Autoren nahe, Joachim Seyppel selbst noch in Nachrufen, als unrmüdlicher Autor bis ins hohe Alter seine gelegentlichen Neigungen zu Friedfertigkeit als Provokation auszulegen

Vor allem, wenn, wie im Jahre 1998 geschehen, Joachim Seyppel seinen einstigen Widersachern in der DDR im Neuen Deutschland versöhnlich schreibt:

>>Für mein Gefühl können wir ohne gegenseitige Schuldzuweisung leben<<

Joachim Seyppel ist mit 93 Jahren verstorben.
JP

http://www.tagesspiegel.de/kultur/zum-tod-von-joachim-seyppel-grenzgaenger-zwischen-west-und-ost/7565584.html

Zum Tod von Joachim Seyppel Grenzgänger zwischen West und Ost
28.12.2012 00:00 Uhrvon Katrin Hillgruber

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Joachim Petrick

Aktuelles: Meine sichere Route- Refugee-Airlift - Petition "Luftbrücke für Flüchtlinge in Not" an die MdBs des Bundestages erhofft Debatte

Joachim Petrick

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden