Kain: "Soll ich meines Bruder Hüter sein?"

Polenabschiebung Die Ereignisse des 28. Oktober 1938 in Hamburg- Altona, die unter dem Begriff "Polenausweisung" dokumentiert sind, stellen sich, historisch belegt, folgendermaßen dar:

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Polenausweisung am 28. Oktober 1938
Abschiebung von jüdischen Polen aus dem Dritten Reich am 28. Oktober 1938 ins Niemandsland und Nirgendwo.

Am 28. Oktober 2012 jährt sich in Hamburg- Altona ein erschreckend verstörendes Ereignis zum 74. Mal des Gedenkens.
Propst Dr. Horst Gorski nahm am 2. September 2012, 13. Sonntag nach Trinitatis in der Christianskirche zu Hamburg- Altona, Stadteil Ottensen in seiner Predigt über 1 Moses, 4, 1- 16 unter der Fragestellung Kains zu diesem menschenverachtenden Ereignis von damals Bezug:
"Soll ich meines Bruder Hüter sein?"

Die Ereignisse des 28. Oktober 1938 in Hamburg- Altona, die unter dem Begriff "Polenausweisung" adminstrativ polizeilich subsumniert sind, stellen sich aus den vorliegenden Dokumenten in Archiven folgendermaßen dar:

Polenausweisung
„Vom Hamburg- Altonaer Bahnhof – wurden am Freitag, dem 28. Oktober 1938, mehr als achthundert jüdische Polen aus Hamburg – Männer, Frauen und Kinder – durch die Gestapo und andere Polizeikräfte zunächst aus Sammellagern auf LKWs zum Bahnhof Altona verbracht, danach in Waggons der Deutschen Reichsbahn verladen, an die polnische Grenze ins Niemandland zwischen dem Dritten Reich und Polen abgeschoben.

Die polnischen Juden, wie es in den Akten heißt, wurden am selben Tage, frühmorgens, in aller Hergottsfrühe, verhaftet, Kinder wurden von Polizisten direkt aus dem Schulunterricht für den Transport abgeholt, in Sammellagern ihren Eltern, Müttern, Vätern zugeführt.

Von dort transportierte die GESTAPO diese wehrlos armen Menschen mit Lastwagen zum Bahnhof Altona. Mit einem Sonderzug mussten sie Hamburg noch am selben Abend verlassen.

Der Grund war einmal, die vormals durchaus freundlichen diplomatischen Verhältnisse zwischen den beiden Nachbar- Staaten, dem Dritten Reich und dem von einer Militärjunta regierten Polen, hatte sich nach einem Amtswechel im reichsdeutschen Außenministerium (1932- 1938 Freiherr Konstantin von Neurath, 1938- 1945 der Sektbaron Joachim von Ribbentrop) ein Paradigmenwechsel vollzogen, weil sich das faschistische Polen einem deutsch- polnisch- italienisch- spanischen Bündnis gegen die UdSSR mit weitgehenden Durchmarschrechten für die Deutsche Wehrmacht in Polern verweigerte, zum anderen hatte die polnische Regierung per unabdinglich unverhandelbarem Dekret verkünden lassen, dass die bis zum 30. Oktober 1938 gültigen Pässe von polnischen Juden im Dritten Reich nicht mehr verlängert würden, was einer Ausbürgerung auf kaltem Wege gleichkam.

Diesem staatenlos gewordenen Personenkreis, der im gesamten Dritten Reich etwa 18.000 Menschen betraf, von denen wiederum etwa 800 Personen in Hamburg- Altona lebten, wurde nach dem 30, Oktober 1938 eine Einreise in das, von einer faschistischen Miltärjunta regierte Polen, lt. Dekret, gegen bestehendes Völkerrecht und diplomatisch international konsularische Gepflogenheiten, mit absehbaren Folgen verweigert.

18.000 Menschen wurden am 28. Oktober 1938 aus dem Geltungsbereich des Dritten Reiches in das Niemandsland zwischen dem Dritten Deutschen Reich und Polen verbracht, ohne Versorgung mit Nahrung, Trinkwasser, Medikamente, Unterkunft, sich elendig selber überlassen.

Weder Polen, noch das Dritte Deutsche Reich fühlten sich für diese Menschen, deren polnische Pässe noch bis zum 30. Oktober 1938 gültig blieben, zuständig.

Viele von diesen Menschen sind bereits in den Tagen ab dem 28. Oktober 1938 und an folgenden Tagen, Wochen, Monaten verladen, von der Weltöffenlichkeit vergessen, entkräftet, verdurstend, verhungernd, im Niemandsland zwischen dem damaligen Deutschen Reich und Polen gestorben-

Die meisten der Überlebenden sind später in den KZs des vom reichdeutschen NS- Staat besetzten Polen umgekommen.

Was hat das furchtbare Ereignis vom 28. Oktober in Hamburg- Altona und andernorts im Dritten Reich alles mit der alttestamentarischen Geschichte von Kain und seinem Bruder Abel zutun?

Propst Dr. Horst Gorski bot in seiner Predigt eine Antwort zum Gedenken an:
"Jawohl!,
wir sind und bleiben Hüter unserer Schwestern, Brüder, gleich welcher Abstammung, geich welchem Status an Staats- und Religionszugehörigkeit, an Staaten- , Relgionslosigkeit diese zugeordnet sind.".

Welcher dramatisch aktuelle Bezug mir in der Predigt von Propst Dr. Horst Gorski gefehlt hat, ist die Tatsache, dass auch unser Deutscher Rechtsstaat eine "Legalität", angestrengt, wie damals das Dritte Reich am 28. Oktober 1938, nachwievor zu bedienen weiss, an deren Vollzugsende Menschen staatenlos, in Asylhaft genommen sind, abgeschoben werden, oder bereits auf dem Weg nach Europa, Deutschland, u. a. auf seeuntauglichen Booten im Mittelmeer, im Atlantik vor italienischen, spanischen, griechischen, türkischen Küsten verdursten, verhungern, ertrinken.

In alttestamentarischen Berichten um die Brüder

"Kain und Abel"

geht es sehr wohl um wirklichen Brudermord, aber auch um einen Brudermord im direkten Sinne, eines "So als ob Morde", aufgrund von fehlender Achtsamkeit Kains gegenüber der Lebenslage seines Bruders Abel, der als Hirte, seine Lämmer, Schafe auf die Weiden Kains treibt.

Kain, der als Ackermann seine Felder bestellt, vor dem Abfraß und Zertrampeln durch allerlei Getier, darunter Schafe, Lämmer bewahren will , weist seinen Bruder Abel, den Hirten, samt Lämmern, Schafen, im Zorn von seinen Feldern, Wiesen, Weideland, um die Ernte dessen, was er auf seinen Feldern, Weiden, Wiesen gesät, sicher einzubringen.

Dadurch ist Abel, der Hirte, volller unberechenbarer Gefahrenlagen, mit seinen Schafen, Lämmern auf Wiesen, Weiden, Felder fremder Hirten- und Ackermännerstämme, deren Duldung und Gnade, angewiesen.

Es kommt, wie es alttestamentarisch belegt ist, Abel kommt, von namenlosert Hand erschlagen, zu Tode.

Es ist, als ob Kain seine Bruder Abel erschlagen hat, auch wenn ihn nicht direkt erschlug, denn er hatte, pflichtvergessen, die Aufgabe, Hüter seines Bruders Abel zu sein, auf dem Zeitgeist- Altar seiner "Rechtschaffenheit" geopfert.

Gott spricht zu Kain "Wo ist Dein Bruder Abel?,

( http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/1_mose/4/ )

9 Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel?
Kain sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?
10 Gott aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Bluts deines Bruders schreit zu mir von der Erde. (Psalm 9.13) (Matthäus 23.35) (Hebräer 12.24)
11 Und nun verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen.

In dieser biblischen Erzählung der Brüder

"Kain und Abel"

klingt seit Menschheitsgedenken das an, was immer wieder geschieht, wenn sich Wendezeiten, so oder so, vollziehen.
Damals im Alten Testament ging es um den Übergang vom Nomadenwesen des Volkes Israel zum seßhaften Volk Israel, das Ackerbau und Viehzucht betreibt.

Während Abel als Hirte noch ganz ein Mann des Nomadenwesenrechts war, wendete sich Kain zum Mann des Ackerbaurechts, ohne dieses "Rechtschaffen" wirklich, unter dem Segen Gottes, mit all seinen Folgen und Wirkungen für Brüder und Schwestern auslotend, im Volke Israel eindeutig und überzeugend zu kommuinizieren.

Kennen wir Deutschen, Europäer, seit der Teilung, wie auch der Wiederveinigung Deutschlands, Europas solche Prozesse ungestümer Unachstamkeit beim "Rechtschaffen" nicht auch?

"Wer da ohne Fehl noch Tadel ist, werfe den ersten Stein des Anstosses!"

Ist die Menschheit nicht gegenwärtig besonders aktiv dabei, nicht nur die Waren- , Finanz- , Dienstleistungsmärkte global zu deregulieren?, sondern auch das Bewußtsein dessen, was bisher Recht war, was bereits ohne rechtlche Grundlage zu Gunsten hier, zu Lasten da, praktiziert, pragmatisch durchregiert wird?

Wie kann es da sein, dass, angesichts von regionalen, globalen Katastrophen, ökonomischen Krisen, die vor Ort mit Hungersnöten einhergehen, unsrere Vorstellungen von Staatsrecht, Staatszugehörigkeit im Ernstfall von Not, Elend, Siechtum, drohend früher Tod, nicht ebenso dereguliert sind?

JP


Monika Rulfs/ mk (www.kirche-hamburg.dejj

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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