Martin Walsers glaubensfreie Gottes Sehnsucht

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Was hat der Prozess des Lesens mit der Sehnsucht nach dem Wort Gott gemeinsam?

Wo das Wort Gott im Alltag der Menschen ganz fehlt, erkennt Martin Walser einen folgenschweren Mangel, gleich ob die Menschen an Gott glauben oder nicht glauben.

Am Anfang kamen sie, wie eine aufsteigend anschwellende Welle, kam die Unzahl an Mengen unartikulierbar guter wie weniger guter Wörter, stiegen in den Lebenssäften der Menschen, Tiere, Pflanzen, Elemente immer wieder, als Wasserstände verebbend, flutend, hoch und nieder, bis als wundersam rätselhaft verschlüsseltes Strandgut nur ein Wort in allen Wörter als ordnende Kraft übrigblieb, das Wort "Gott".

Am Anfang war also noch nicht das Wort an sich, sondern das Sehnen nach dem einen Wort in allen Wörtern, ob sie nun gut oder weniger gut waren, nach dem Wort "Gott", um sich allein mit diesem Sehnen aller anderen Worte, alltagstauglich, umgangssprachlich buchstabiert, konjugiert, dekliniert, zu bemächtigen.

Das Wort Gott ist den Menschen, Tieren, Pflanzen, Elementen ein Vereinfacher ihrers Da- und Fernseins, damit sie all ihr Sinnen & Trachten für die Bewältigung der alltäglichen Aufgaben im Für- und Miteinander ihrer Existenzen auf Erden frei zu Verfügung haben.

Da die Menschen, Tiere, Pflanzen, Elemente von der Komplexität ihrer Herkunft, ihrer Geburt aber, in Wehen die schmerzensreich die Neigung auf die Erde gebären, nicht das Einfache, sondern das Komplexe im Leben zu suchen, sannen vor allem die Menschen darauf, Gott, ohne Sinn für das Einfache im Leben, nur in theologisch komplex komplizierter Gewissheit oder gar nicht zu verstehen.

Glauben, der nicht schmerzt, kann kein Glaube sein, war und ist diese theologisch angereichert aufgefächerte Devise.

Das Ergebnis ist bis heute, dass den Menschen klerikal mehr an Glauben im Sinne alltagstauglich sozialer Vereinfachung ihres Lebens ausgetrieben, denn nahegbracht wurde und wird.

Früher begegneten die Menschen, ob sie es wollten oder nicht, bei all ihren alltäglichen Angelegenheiten im Für- und Miteinader, auf Schritt und Triit, allerorten, unter den fernsichtigen Augen, den großen Ohren von bestallten Glaubenswächtern, den Symbolen und dem Wort Gottes.

Manchen Menschen kam da seit dem Zeitalter der Aufklärung in Europa, Amrika, Australien, der Gebrauch des Wortes Gott schon inflationär vor.

Heute bedarf es dagegen nicht selten eines erheblichen Reiseaufwands, um auf dem persönlichen Lebenspfad, auf bestimmten Pfaden als Pilger/in dem Wort Gott als Vereinfacher im Sinne eines, behütend, annehmend, alltagstauglich gegenseitigen Verständnisses zu begegnen, weil sich die Welt- Kirchen mit ihrem Personal mehr und mehr als Vertreter ganz anderer, gar kapitaler, Interessen an gehortetem Kircheneigentum, Vermögen an Werten, Gütern, Dienstleistungen, Beraterdiensten, hochpreisigem Grund & Boden, Immobilien als Filetstücke in den Ballungsgebieten unserer Welt, verdeckt an den Finanzmärkten, aus Steueroasen, wie dem Vatikan, heraus, auf Mehrwert spekulierend, als Bildungsträger in Sachen Glauben in den unscheinbaren Hintergrund der Gesellschaften zurückgezogen, oder ganz im verrücktmachenden Gelächter des Kapitals aufgelöst haben.,

Die Vorstellung, dass das Wort Gott ohne Gottesgewissheiten im Glauben Bestand haben könnte, lag und liegt nachwievor, durch klerikale Regeln bestimmter Glaubenskongreationen hinterlegt, außerhalb des ausgebildeten wie intuitiv frei assoziierenden Wahrnehungsvermögens vieler Menschen.

Dabei ist es unerhbeblich, ob die Menschen an das Wort Gott glauben oder nicht.

In der Literatur unser Gegenwart begegnen wir, vor allem im transatlantischen Raum, dem Wort Gott eher nur beiläufig zwischen den Zeilen.

Genau da platzt Martin Walser nun mit dem ganzen Ungestüm seines Schriftsteller- Dasein, im vorgerückten Alter von über achtzig Jahren, in den allgemeinen Gottes Wahrnehmungsbetrieb herein und erklärt in seinem Buch "Muttersohn",
seinem Essay
"Letzte Rechtfertigungen"
schlicht und ergreifend, er bedürfe keiner Gottes Glaubensgewissheiten, um nach dem Wort Gott in seinem Alltag zu suchen. Ihm reiche das Sehnen, die Sehnsucht nach dem Wort Gott im Alltag der Menschen, Tiere, Pflanzen, Elemente.

Martin Walser betont, dass er selber nicht an Gott glaubt, gleichwohl aber seit Kindesbeinen ein ganz unerklärlich unbestimmtes Sehnen nach dem Wort Gott in seinem Alltag verspürt.

Martin Walser meint, ihm fehle etwas, wenn im Alltag, in der Kultur, in der Politik, der Wirtschaft, der Finanzwelt unserer Gesellschaften nicht mehr nach dem Wort Gott gefragt wird.

Darin erkennt Martin Walser zwangsläufig einen seelisch- geistigen Mangel der Menschen im Umgang miteinander.

Der Mensch lebt in einem Dreieck- Beziehungsverhltnis vom eigenen Ich, dem DU und als Dritten im Bunde mit dem Wort Gott, gleich ob der Mensch an Gott glaubt oder nicht, läßt Martin Walser sich verständlich hörbar eindringlich wortmächtig vernehmen.

Allein aus der Übung, die Ungleichgewichte in diesem Beziehungsdreieck, tagein, tagaus, in Balance zu halten, erwächst den Menschen im Laufe ihres Lebens ein unbändiges Gefühl pränataler Quellen in der Ahnenreihe, bedingunglos in der Welt geliebt zu sein.
Menschen, die sich in diesen guten Mächten des Geborgen- und Geliebtseins aufgehoben fühlen, werden weniger auf ein Rechthaben, ein Rechtfertigen des eigenen und des Lebens Fremder , denn auf ein Rechtschaffen pochen.

Gott ist keine Medizin, die ein wohldosiertes Gift enthält, um seine heilende Wirkung zu entfalten.
Gott ist ein Wort für Gefühle des Sehnens nach Bestimmten wie Unbestimmten, was in unserer Welt, unserem Alltag unserer Kultur, unserer Poltik, Wirtschaft, Finanzwelt fehlt, ohne dass wir Menschen die Erfüllung dieser Sehnsucht selber oder durch Gott als unseren Treuhänder befehlen lassen könnten, gleich ob wir an das Wort Gott glauben oder nicht.

Für Martin Walser entfaltet allein die Sehnsucht nach dem Wort Gott einen bestimmbaren Geschmack von Erfüllung, ohne dass es noch irgendwelcher Gottesgewissheiten für ihn bedarf.

Alles was da an Erfüllung bei der Suche nach dem Wort Gott mehr an Sinnstiftung sei, erweise sich womöglich im Laufe eines Lebens als weniger belastbare Sinnstiftung.

Ist es nicht mit der Gottessuche, der Sehnsucht nach dem Wort Gott, wie mit dem Prozess des Lesens?,
frage ich Sie, frage ich Dich jetzt einmal mit Martin Walser, lieber/e Leser/in.

So erschließt uns Martin Walser auf seine wunderbare Art ein ganz neues und vor allem weites Feld an Problemen in Glaubensfragen, an Fragen, Aspekten bei der Suche nach dem Wort Gott oder dessen Verwerfung, das wir so vorher nicht kannten.

Gibt uns Martin Walser mit seinem Begriff des
"Sehnens nach dem Wort Gott"
womöglich einen Schlüssel in die Hand, um unseren ganz persönlichen Glaubenscode aufzuschließen oder zuzuschließen, weil wir Fragen des Glaubens wie Nichtglaubens nun endlich, befristet wie unbefristet, in aller Demut und Bescheidenheit für eine ganz privat Innere Angelegenheit halten können?

Sehnsucht erkennt keine Kirchen Sehnsucht erkennt nur sich und Seinesgleichen an Gefühlen..

Wer erst einmal, zweimal, dann immer öfter, mit dem Prozess des Lesens, wie mit der Suche nach dem Wort Gott, begonnen hat, verspürt unversehens den Geschmack einer Erfüllung seiner Sehnsucht auf der Zunge, gleich ob er an Gott glaubt oder nicht, gleich ob ihm die Lektüre des Buches gefällt oder nicht.

Können wir Menschen überhaupt Bücher, Gott lesen, lesen wir Menschen nicht nur uns selber?,
wobei uns das Lesen von Büchern, die Sehnsucht nach dem Wort Gott hilft?

JP

Buchtipp:

Martin Walser
Muttersohn
Rowohlt 2011, 24.95 €
ISBN-10: 3498073788
ISBN-13: 978-3498073787

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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