Matthias Claudius Gedenkjahr 2015

Wandsbecker Bothe Im Januar 2015 vor 200 Jahren starb der Dichter Matthias Claudius in der damaligen dänischen Stadt Wandsbeck, zwischen Lübeck und Hamburg, heute Hamburg- Wandsbek.

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"Wandsbecker Bothen"Gründer und Stifter war Heinrich- Carl Graf Schimmelmann (1724- 1782) im damals dänischen Ahrensburg, Herausgeber und Hauptredakteur im dänischen Wansbek, nahe Hamburg, war Mathias Claudius (1740- 1815).

Im Januar 2015 vor 200 Jahren verstarb der Dichter Matthias Claudius in der damaligen dänischen Stadt Wandsbeck, zwischen Lübeck, Reinfeld, Ahrensburg und Hamburg liegend, seit 1937 in Hamburg als größter Stadtbezirk Hamburg- Wandsbek eingemeindet.

Matthias Claudius, ein Poet nur scheinbar krasser Widersprüche, der die Strömungen seiner Zeit launig, gewitzt und heiter auf seine Persönlichkeit zu vereinigen suchte, dessen Poesie im deutschsprachigen Liedgut Unsterblichlickeit erlangte.

Wer war dieser Dichter, Journalist, der mit seinem poetischen Gesang:

"Der Mond ist aufgegangen"

eines der weltweit verbreitesten Abendlieder geschaffen hat?, fragt Thomas Andre im Hamburger Abendblatt vom 29. 12. 2014.

Matthias Claudius - Biographie eines Unzeitgemäßen, Martin Geck

War er das wirklich, unzeitgemäß?

Es finden sich bei Matthias Claudius, neben wunderschön harmonisch einschmeichelnd, einprägsamen Versen auch andere ganz beiläufig poetische Einfälle, Gedankengebilde, die sich bestens für den gepflegt, kulturell untadelig unterfütterten, Small Talk bei Tisch, im Salon einer Hohen Dame, im Kaffee- Hus, nahe der Hamburger Börse, im Tabakkabinett im Wandsbecker und Ahrendburger Schloss, zum gegenseitigen Wohlgefallen aller adelig, unadelig Anwesenden geben lassen.

Etwa, dass Claudius, ein Kind seiner Zeit, beim Lotto pokerte. Matthias Claudius galt in Geldangelegenheiten unter Seinesgleichen lebenslang als unzureichend sortiert und aufgestellt.

Sein Erwerbssinn war einfach zu schwach ausgebildet, ging er doch mit Herz und Seele als Schöngeist.der "brotlosen Kunst" voller Enthusiasmus und Elan eines armen aber kinderreichen Poeten nach.

Damals, wie heute, war es selten anders.

Wer dichtet, komponiert, Musik aufspielt, der ist, selbst in familiär vermögensnahen Kreisen eingehegt, arm dran. Prekariat könnte in jenem 18. Jahrhundert der Aufklärung als Begriff erfunden sein.

Und so war der 1740 im holsteinischen Reinfeld geborene Claudius zeit seines Lebens ein in Geldangelegenheiten wenig Bevorteilter, hieß es schon in ersten Nachrufen auf seinen Tod.

Dafür sei er in anderer Hinsicht reich beschenkt gewesen, denn seine Frau Rebekka gebar ihm zwölf Kinder. Auch wenn zwei von ihnen früh starben, musste solch eine Kinderschar erst einmal hinreichend versorgt werden.

Und so sammelte der Gatte, Familienvater und Poet Matthias Claudius, der am 21. Januar 1815, vor 200 Jahren, verstarb, seinen Unterhalt für sich und seine kinderreiche Familie geldwerte Gaben, am dienlichsten in Talern, bei vermögensnahen Bürgern, Blaublütigen ein, darin anderen Geistesgrößen jener Zeit gleich, hießen sie nun;

Friedrich Schiller (1759- 1805),
Johann- Wolfgang von Goethe (1749- 1832),
Friedrich- Gottfried Klopstock (1724- 1803),
Johann- Gottlieb Fichte (1762- 1814),
Heinrich von Kleist (1777- 1811),
Gotthold Ephraim Lessing (1729- 1781),
Voltaire (1694- 1778)
Jean Jaques Rousseau (1712- 1778) oder
Johann- Friedrich Herder (1744- 1803).

Damals gaben wohlgesonnene Mäzäne bei fürstlichem, königlichem Hofe, in großbürgerlichen Anwesen zu Kopenhagen, Lübeck, Leipzig, Dresden, Berlin, Weimar, Bern, Paris, Amsterdam, St. Petersburg, Köln, Frankfurt/Main, Hamburg, Ahrensburg, Marburg, Darmstadt, Wedel ihr Sponsoring als "Pensionen", was fürsorglich adrett klingt, aber nicht dazu angetan war, als Altersvorsorge. sondern den Arbeitseifer, das Wohlbehagen der Mäzäne zu fördern und allein diesem zu dienen.

Matthias Claudius, schrieb nicht nur unter seinem Klarnamen als anerkannt großer, dann gerühmter viel gelesener norddeutscher Poet und Journalist und nicht nur in seiner eigenen Schöpfung

"Dem Wandsbecker Bothen",

sondern auch unter dem Pseudonym Asmus.

Claudius war besonders freimütig davon eingenommen, wie er mit volkstümlich unverfälscht einfachen Versen, lyrischen Weisen, poetischen Wendungen die weite und große Welt, mit ihrer facettenreich vielfältig bunten Vielstimmigkeit eingefangen, zu Papier und Gehör bringen konnte.

Das gelang Claudius bis heute, wie kaum jemand sonst.

Mit seinem Abendlied "Der Mond ist aufgegangen" schuf er eines der bekanntesten Gedichte in deutscher Sprache:

- "Der Mond ist aufgegangen,/Die goldnen Sternlein prangen/Am Himmel hell und klar;/Der Wald steht schwarz und schweiget,/Und aus den Wiesen steiget/Der weiße Nebel wunderbar" –

Diese erste Strophe des so frommen wie einschmeichelnd harmonischen Abendliedes ist nicht nur Bildungshubern, sondern allem Volke hierzulande und über seine Grenzen hinaus bekannt.

Im heutigen Wandsbek kennt dieses Abendlied ohnehin ein jeder. Hier hat Matthias Claudius mehr als vierzig Jahre seines 75 Jahre währenden Lebens vor den Toren der Freien und Hansestadt Hamburg, damals außerhalb deutscher Lande. im Dänischen schöpferisch verbracht und verstand sich doch allein aufs Deutsche.

Wandsbek war damals dänisch und hieß noch Wandsbeck. Der Claudius- Familienstamm lebte in der Freien und Hansestadt Lübeck am Lübecker Steindamm.

Kurz vor seinem Ableben stand der 75- jährige Claudius 1815 unter der Obhut einer seiner geliebten Töchter in Hamburg.

Begraben wurde Matthias Claudius in Wandsbek.

Dort, wo es eine Claudius-Gesellschaft, ein Seniorenheim in der Matthias Claudius Sttraße gibt, dazu ein Matthias Claudius-Denkmal am Wandsbeker Markt und ein Matthias-Claudius-Gymnasium in der Witthöfftstraße.

Matthias Claudius ist im kulturellen Gedächtnis eng mit Wandsbek verbunden.

Matthias Claudius war, wie nicht nur viele Oberstufenschüler in Hamburg gelehrig wissen, von 1770 an der bestimmende und einzige Redakteur des legendenumwobenen

"Wandsbecker Bothen",

in dem das Weltgeschehen behandelt und verhandelt wurde, dazu angereichert Feuilletons standen – Rezensionen, Meinungen, Geistreiches, Unterhaltsames.

Als Autoren wusste der angesehene Stilist Claudius beinah alle Geistesgrößen seiner Zeit zu gewinnen, Goethe mit einem Vorabdruck seines "Die Leiden des Werthers", Herder, Leibniz gar?, zudem Klopstock und Lessing, ein Philosoph, Dramaturg und Denker, wie Claudius selbst, mit Bezug zu Hamburg.

Matthias Claudius - "sehr heiter und lebhaft"

Dieser Claudius wurde von einigen Zeitgenossen als "der simpelste Mann, der sich denken läßt" und als "sehr heiter und lebhaft" beschrieben, wie ein Poetenkollege einmal in einem Brief bekundete.

Nun, so simpel war Claudius denn freilich doch nicht, eher eine Figur, die Widersprüche seiner Zeit in sich selber wohlfeil zu überbrücken sucht, wie Martin Geck sich Matthias Claudius keck in seiner neuen Biografie "charackterananlytisch" annähert.

Die Biografie erscheint in diesen Tagen zum Matthias Claudius-Jahr 2015.

Sie gibt sich programmatisch festgelegt:

"Matthias Claudius. Biographie eines Unzeitgemäßen" (Siedler-Verlag)

Dieser "Unzeitgemäße" sei eine seltene Erscheinung, die Hochkultur und populäre Anmutung verband wie keine andere, schreibt Martin Geck.

Auch in seinen Zeitungstexten – bevor er beim "Bothen" anfing, schrieb Matthias Claudius für die "Hamburgischen Addreß-Comtoir-Nachrichten" – befleißigte er sich eines leichten und launigen Tons. Egal, über was Claudius schrieb, bildungshuberisch oder gravitätisch sei er nie gewesen.

Auch wenn er diesen in seinem Wandsbecker Bothen zu verlegen wusste, hielt Claudius doch nichts vom "Hohen Ton" der Klassiker, und die lästerten deswegen bisweilen über ihren Dichterkollegen.

Goethe, der statusbewusste Dichterfürst und Geheimrat zu Weimar, nannte etliche der Claudius-Texte einmal generalisierend herablassend abfällig "Einfaltsprätentionen".

Goethe vermochte, dem dichterischen Blick in das Hohe, Weite poetisch "verpflichtet", mit Claudius volksnahen "Einfachheitsprogramm", innerhalb dessen dieser mit kindlichem Blick in seinem Gemüte auf die Welt schaute, nichts anfangen.

Matthias Claudius gilt seinen wirklichen Biografen als ein Demokrat des Wissens und der ästhetischen Urteile. Und, wie sein Biograf Martin Geck ihn charakterisiert, schöpferisch wissbegierig, ein überaus an den Lebensumständen einfacher Leute, die zu seiner Zeit außerhalb der Stadt Fahrensleute, Landarbeiter, Manufakturarbeiter, Handwerker, Bauern waren, interessierter Epochenmensch.

Das Gegenteil eines sogenannten Schmocks, der abgehoben in seiner unterkühlten Gelehrtenstube in einem Elfenbeinturm saß und von hoher Warte aus, hochgestochen elitäre Verse, Schriften schmiedete.

Allerdings war Claudius, zumindest nach außen hin, auch jemand, der sich brave, untertänig fleißige Bürger wünschte, der, von heute aus betrachtet, in seiner Ablehnung der Französischen Revolution wenn nicht borniert und gestrig, so doch eigenbrötlerisch "weltabgewandt" erscheinen mag.

Aber selbst Friedrich Schiller, wie Friedrich Gottfried Klopstock (Ode dan die Französische Revolution "Sie und nicht wir") , Ehenbürger der Französichen Revolution und Repulik, wendete sich, im Verlauf dieser hin zum Bonapartismus, ganz ab.

Heinrich von Kleist sann gar darüber nach, bevor er sich 1811 im Grunewald vor den Toren Berlins mit einer Freudin, in inszenierter Positur erstarrt, erschoss, auf den französichen Kaiser Napoleon, den rasend wütenden Wolf, der über Europa kam, wie er ihn sah, ein Attentat zu verüben.

Mit den fortschrittlich ausgerichteten Strömungen der Aufklärung brachte Matthias Claudius als deren Unterpfand, die Mystik und Religion in volkstümliche Position. Nicht wenige Claudius Freunde wie Kritiker und Biografen meinen er tat dies zu den Strömungen der Aufklärung im krassen Widerspruch, wie Martin Geck schreibt.

In seinen späten Jahren müsse er eine beinahe launenhafte Person gewesen sein – zumindest jemand, der im Gespräch auf Schlüsselreize energisch reagierte, berichtet Martin Geck. Eine Schriftstellerin, die ihn einst besuchte, teilte danach mit, wie interessant die "muntere Laune, der einfache, doch witzreiche Ton des biederen Claudius" gewesen sei; neben interessanten "Seiten des Verstandes" erschien er jedoch auch als einer, der jenen, "der nicht an den Buchstaben der Bibel glaubt, für einen bösen Menschen hält und dessen Umgang meidet".

Fortschrittsglauben und Vernunftgedanken überließ Claudius anderen, legt Martin Geck in seiner Mathias Claudius Biografie nahe. Etwa Klopstock, dem Dichterkollegen.

Klopstock neidete den Franzosen ihren großen Ausbruch aus der Ständegesellschaft, ihr Streben nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Revolution fand zu seinem Unglück im Nachbarland und nicht in Deutschland statt. Seine Ode

"Sie, und nicht wir"

ist berühmt geworden und heute noch unvergessen– Claudius' reaktionäre Haltung sei da nur eine Randerscheinung gewesen.

Dabei unterlässt Martin Geck jede Anmutung darüber, ob Matthias Claudius nicht als junger Mann und Familienvater in dänischen Landen ein traumatisiert gebranntes Kind jener vorrevolutionären Ereignisse am königlichen Hofe Christians VI zu Kopenhagen war?, in dessen Mittelpunkt sein Generationsgenosse, der Armenarzt aus dem dänischen Altona, Johann Friedrich Struensee (1737- 1772) als Leibarzt der Königin zum Königlichen Rat berufen mit seinem Reformeifer, Abschaffung der Todesstrafe, der Leibeigenschaft, Einschränkung der Willkür des Sklavenahandels, des Frohn ohne Lohn, Knechtschaft der Bauern, Ende gutsherrlicher Gerichtsbarkeit, Öffentlicher Pranger, Anger, Prügelsstrafe, stand und dafür, im Wege höfischer Intrigen, gefiedert, geteert, gerädert, gevierteilt im Jahre 1772 unbarmherzig nach mittelalterlicher Scharfrichterordnung, entgegen allen dringlichen Appellen Voltaires und anderer Geistesgrößen Europas, mit seinem Leben büßte.

Der preussische König Friedrich II soll, ob dieses barbarischen Verfahrens, entsetzt gewesen sein, von diplomatischen Depeschen, Versuchen der Einrede, von Monarch zu Monarch, aus Berlin oder Potsdam nach Kopenhagen, gibt es allerdings keinerlei Quellen Spur in preussischen noch dänischen Archiven.

Nach dem griechischen Berg Parnassos ist in Paris der Stadtteil Montparnasse benannt, in Wedel bei Hamburg der Stadtteil Parnass, einst als Ort und Treffpunkt reiner Vollkommenheit der Poesie und Lyrik in Erinnerung an den Wedeler Theologen, evangelischen Pfarrer, Schriftsteller, Schauspieler Johann Rist (1607- 1667) im 18. Jahrhundert gegründet worden.

Ob sich wohl Matthias Claudius, von Wandsbeck, über Ahrensburg, die Dörfer Ammersbek, Hoisbüttel, Poppenbüttel an Hamburg und der Außenalster vorbei, den Mühlendamm, heute Lombardsbrücke an der Binnenalster , wg. Wegegebühren meidend, Johann- Friedrich Struensse, gemeinsam mit Friedrich- Gottfried Klopstock von Altona kommend, auf dem Wege nach Wedel, beide Dichter zum dortigen Parnass, der andere, der Armenarzt zu einem Krankenbesuch, in einer königlich- dänischen Postkutsche beim Lösen des Tickets getroffen haben?

Sich einen schlüssigen Reim auf Claudius' Einstellungen, auf seinen bunten Reigen an sich widersprechenden Überzeugungen und Neigungen zu machen, fällt auf den ersten Blick nicht leicht.

Claudius, Freimaurer, wie Außenminister der Weimarer Republik, Gustav Stresemann (1878- 1929), Altkanzler der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Schmidt, Jahrgang 1918, war, entgegen allen merkantilistisch absolutistisch einschränkenden Bestrebungen in Europa, bei seinem Eid mit eigenem Blut dem Freigeist weltweiten Handels , Wandels, Verkehrs verpflichtet, auch wenn er die Revolution in Frankreich seit 1789 von vornherein überaus distanziert betrachtete. Oder besteht, anders als für uns Heutige, für Matthias Claudius damals darin gar kein Widerspruch?

Immerhin hat der selbsternannte Vollstrecker Französischer Revolution, Napoleon Bonaparte, Kontinentaleuropa einschließlich Hamburg, außer Dänemark, aber bis Russland mit einer Handeslsperre gegen das United Kingdom (UK) belegt

Matthias Claudius zog es vor, die Mächtigen auf erhaben dichterische Weise leise ins Gebet zu nehmen, statt diesen gegen willkürliche Frohn mit Mistgabeln zu drohen, wenn er an den Kronprinzen Friedrich in einem Brief appelliert:

Wollst denn unsere Bitte hören
Sei und bleib rein
Wir sind treues Volk und schwören
Fürder treu zu sein

Wollen Deine Ruh nicht trüben
Nach der Zeiten Brauch
Wollen ehren Dich und lieben
Aber lieb uns auch-

( Quelle:"Biografie eines Unzeitgemäßen", Siedler Verlag, Martin Geck, S. 213)

Klingt da nicht eine leise Drohung an, indem Claudius, eben nicht "Der Unzeitgemäße" sondern ganz "Monadenwesen" seiner Epoche, nach Immanuel Kant, mit einem lyrischen Vers- Lächeln Richtung Herrschaft die Folterinstrumente der Französischen Revolution, der Befreiungskriege in Nordamerika gegen europäische Monarchien mit apartem Hinweis andeutet?

"In der Liebe der Herrschenden gegenüber ihren Untertanen liegt eine Bringschuld?"

Matthias Claudius Lebensmotto in alle Richtungen, die da oben, die da unte, schien zu sein:

"Ein Lächeln ist die kürzeste Entfernung zwischen zwei Menschen und überwindet diese im Nu"

gepaart mit der von Claudius gern zitierten Volksweise:

"Den leeren Schlauch bläst der Wind auf, den leeren Kopf der Dünkel."/

Am 31.08.1773 erschien aus Matthias Claudius Feder im Wandesbecker Bothen ein Gedicht , das als erste Kritik an der Sklaverei durch einen damals dänischen, heute deutschen Lyriker gilt.

Matthias Claudius

Der Schwarze in der Zuckerplantage

Weit von meinem Vaterlande
Muß ich hier verschmachten und vergehn,
Ohne Trost, in Müh' und Schande;
Ohhh die weißen Männer!! klug und schön!
Und ich hab' den Männern ohn' Erbarmen
Nichts getan.
Du im Himmel! hilf mir armen
Schwarzen Mann!

Ob das eine fein gewobene Weise Matthias Claudius war, ohne sichtbare Rebellion, still und unspektakuär des furchtbaren Strafgerichts in Kopenhagen gegen den Armenarzt aus dem dänischen Altona Johann- Friedrich Struensee (1737- 1772), der den dänischen Sklavenhandel abschaffen wollte, im Jahr davor zu gedenken?

Oder war es eines jener unaufdringlich bestimmten Bekehrungsgedichte Matthias Claudius u. a. Autoren in jenen Jahren, die mit missionarischem Eifer sich recht häufig ein Bildungsbürger Stelldichein gaben, aus einem gottesfernen Schwarzen, einem liderlichen Wilden, der versklavt, dem "Tode geweiht", vor das Antlitz Gottes tritt, einen an gläubigen Christenmenschen zu machen?


Dass Matthias Claudius ein frommer, gar frömmelnder Zeitgenosse und Familenvater vieler Kinder war, ist unstrtittig, So interessierte ihn im Wandsbecker Bothen mit keiner Silbe der Sklavenhandel übrhaupt und schon gar nicht der seines Arbeitgebers Heinrich Carl Graf Schimmelmann (1724- 1782), von der Veröffentlichung des vorliegenden Gedichts abgesehen..

An allen Ereignissen um und mit Johann- Friedrich Struensee (1737- 1772) , interessiert Claudius vor allem, publizistisch angekündigte, Sensationsberichte eines damals weithin bekannten Hauptpastoren Doktor Balthasar Münter, der den totgeweihten Struensse in seiner Todeszelle über Wochen in Kopenhagen aufsuchte, 38 Bekehrungsgespräche mit diesem führte, und alle Welt seine sensationellen Bekehrungsgeschichten, ein 312 Seiten schweres Buch, dringlich erwartete, die Struensee zum vollumfänglich geständigen Sünder machten.

Aber die Bekehrungsgeschichten zum "Fall Struensee" bleiben letztendlich aus, auch wenn Hauptpastor Münter seine Leserschaft, zu der Matthias Claudius gehört, im Dänenreich wöchentlich brieft.

Was blieb, waren larmojante Klagen des Beichtvaters Dr. Balthasar Münter in dänischen Diensten über seine undankbar harte Arbeit, über diesen ungeständig störrisch ungläubigen Sünder Johann- Friedrich Struensee, der bis zur letzten Stunde, im Angesicht des Herrn, seine Sünden nicht gestehen, weder beten noch beichten wollte

In späteren Jahren hat Matthias Claudius klerikale Bekehrungssgeschichten von Totgeweihten aus Todeszellen von Beichtvätern als sensationslüstern und lügenhaft verworfen, denen keinerlei Sinnen noch Trachten nach wahrhaftiger Spiritualität zugrunde liegt.

So schreibt Claudius im Wandsbecker Bothen nach Veröffentlichung der lang erwarteten 38 Bekehrungsgespäche des Hauptpastor Doktor Balthasar Münter mit dem Delinquenten Johann- Friedrich Struensee in Kopenhagen, im Allgemeine schwebend, ohne diese beiden auch nur andeutungsweise zu erwähnen

"Es sei also ein missliches Ding mit den Bekehrungsgeschichten, und ein recht gutes, dass die Religion zum Beweis ihrer Wahrheit der Delinquemten und ihrer Geschichten allenfalls entbehren kann. Überhaupt ist nicht zu begreifen, wozu man sich mit den Freigeistern und Zeiflern so weitläufig in Demonstrations abgibt, und von ihrer Freigeisterei und Zweifelsucht so viel Aufhebens macht.. Christus sagt ganz kurz: Wer mein Wort hält, der wird innewerden, ob meine Lehre von Gott sei" (Quelle: Martin Geck: Matthias Claudius. Biographie eines Unzeitgemäßen", S. 110)

Matthias Claudius nähert sich mit Empathie und lebhaft wacher Wißbegier niederen Schichten, der Hefe des Volkes, nicht nur, wohl aber auch, um diesen an Volksweisen reich, viele Brocken vom Munde zu klauben. Dennoch nannten ihn ausgerechnet bzw, bezeichnender Weise Unikate jener Schichten gerne spöttisch stichelnd, wohlwollend zugewandt. einen "wahren" Aristokraten, den wir uns daselbst gebacken haben.

Claudius sparte in seinen Versen, wohl bedacht, Marketing ist alles, immer wieder Loyalitätsadressen an die Obrigkeiten, Gönner, Mäzäne, nicht aus und gab sich bekennend, konservativen Kreisen zugehörig, deren Motto "Kein Licht der Vernunft, Erleuchtung von oben" lautete.

Heute sagt man dazu;

"Herr!, lass Hirn vom Himmel fallen!, mich dürstet nach reiner Belehrung über Vernunft von oben!"

Irgendwie offenbart sich uns Matthias Claudius heute, als ein Aufklärungs- und Fortschrittsskeptiker angeblicher Wirklichkeit, als seelenverwandter "Zeitgenosse" über zwei Jahrhunderte, dem Natürlichen, der Natur unmittelbar mit Leib, Seele, Geist zugewandt.

In unserer Welt der Gegenwart der Überforderungen im Alltag, Familie, Beruf, Politik, des Burn- Outs, grassierend larvierend persönlicher Depressionen, wirtschaftlicher Konjunkturtälern, Rezessioen, in der alles nicht nur gleich, sondern, unter Schlafentzug, liquid werden soll und nicht wenige, nicht nur moralisch unbahaust, obdachlos ihr Dasein, bar jeder spirituellen Ansprache, fristen, wäre Matthias Claudius ein weiterer Zweifler hohen Grades unter Zweiflern.

Womöglich würde Claudius selber als Skeptiker in Zweifel ziehen, ob sein berühmtestes Gedicht "Abendlied" in Wandsbeck entstanden ist, wo er vierzig Jahre lang, mit kurzer Unterbrechung in der Universitätsstadt Darmstadt 1776/77, mit seiner Familie lebte?

Was tatsächlich letztendlich noch nicht ergründet scheint.

Die Claudius-Forschung will nicht völlig ausschließen, dass Claudius Eindrücke für seine Naturidylle mit Mond in Darmstadt gewann. Dort lebte Claudius mit seiner Familie 1776/77, um als Beamter in einer Kommission zu arbeiten. Das Intermezzo sei ziemlich katastrophal verlaufen, schreibt Martin Geck.

Nicht unbedingt in kreativer Hinsicht; zum Beispiel schrieb er das absolutismuskritische Gedicht

"Nachricht von meiner Audienz bey'm Kaiser von Japan"

im Hessischen und auch die Verse von "Der Zahn", mit denen Claudius das Wachsen und Gedeihen seiner Tochter feiert.

Monarchen, Seeräuber, Geranien, Kaffeesatz, Bohnen, Tee, Borstenvieh und Speck des Menschen wahrer Lebenszweck. Schweine Klauen, Kinder, Zähne: Claudius spürte offenbar keinerlei Berührungsängste.

Was ihm bestimmend galt, war seine Sehnsucht nach dem Hohen Norden und sein ausgewachsener Mangel an Lust und Eifer auf ein Dasein als untertäniger Beamter im Hessischen. Hurtig kehrte Matthias Claudius mit seiner Familie nach Wandsbeck zurück.

Vermögend wurde er dort zwar nie, aber zum "auskömmlich" umhegten Poeten unsterblicher Gedichte reichte es um so mehr und so kontemplativ nun erst recht
JP

Martin Geck: Matthias Claudius. Biographie eines Unzeitgemäßen. Siedler-Verlag, 24,99 Euro

http://www.abendblatt.de/kultur-live/article135813699/Der-Wandsbeker-Bote.html
29.12.14, 06:52
BUCH-TIPP Der Wandsbeker Bote

Von Thomas Andre

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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