"NIE WIEDER KRIEG", wenn ja, bitte woanders

Zabern-Affäre 1914 Die Beschimpfung der elsässischen Zivilbevölkerung durch einen deutschen Leutnant führt 1913/ 1914 innenpolitisch zu einer Krise im Deutschen Kaiserreich zu Berlin.

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Ein Krieg mit weltweit formierten Allianzen zwischen europäischen Ländern? Erscheint heute eigentlich undenkbar oder, zwischen den Zeilen versteckt, Kreide fressend verklausuliert als rhetorisch reine Frage, wer wird heute zu Europa gezählt, wer nicht?, z B. Russland nicht?, die Türkei nicht?

Der Historiker Ernst Piper erkennt durchaus Parallelen zwischen der Eskalation von einst im Sommer 1914 und dem aktuellen Krisen Szenario Europas.

Der Historiker Ernst Piper warnt vor dem Beharren auf nationalen Interessen, vor den orchestriert global aufgestellten Marktinteressen aller europäisch- angloamerikanischen Länder mit hegemonialem Anspruch warnt er nicht.

Das gerade beginnende "1914" Jahrhundert Gedenken", das Erinnern hat bereits jetzt eine Fülle neuer Bücher über den Ersten Weltkrieg hervorgebracht. Eines der historisch zupackenden stammt aus der Feder von Christopher Clark mit dem Titel "Die Schlafwandler". Als Resümee kommt Clark auf die Herausforderungen zu sprechen, mit denen die Europäische Union sich derzeit "schlafwandelnd" konfrontiert erlebt. Dieser Bezug Christopher Clarks zur Gegenwart ist kein Zufall.

Wie so oft in der Geschichte, sind nicht Ereignisse an sich das Problem, sondern die Art und Weisen des Umgangs mit diesen.
So auch das Ereignis des Attentats auf den österreichisch- ungarischen Thronfolger in Sarajewo im Sommer 1914.

Die Reichen, Vermögenden der herrschende Klasse in den europäisch- amerikanischen Großmächten haben die Rahmen ihrer Weltträume mit kolossal kolonialen Bestrebungen und Tendenzen erst schemenhaft ins Werk gesetzt und wissen nun, 1914 einander gegenseitig blockierend, ohne Heiter politikverdrossen, auf gehobenem Niveau militaristisch gelangweilt, hochgerüstet bis zur Halskrause, nicht weiter

Die respektlosen Einfälle der Eliten bis in höchste Ränge nehmen dramaitisch zu.

Kaiser Wilhelm II gefällt sich, parlamentsverdrossen gelangweit, darin, im vollen Wichs mit Säbel und bei Tsching Tarrassa Bumm und Marschtritt Getöse, schwadronierend, Weltgeschichte ganz so zu inszenieren, wie Karl May seine Abenteuer in fiktiver Wildnis erfindet.

Seine Majestät der Kaiser langweilt sich als Wilhem II und reitet mit Kara Ben Nemsi und Halef durch die Wüste Arabiens, und muss, zu seinem und dem seiner Begleitung Leidwesen, gewahr werden, dass die versprochenen orientalischen Abenteuer sich, trotz kaiserlichem Oberbefehlstandsgehabe, widersetzlich, nicht einstellen und als reine Fatima Morgana "Wolkenkukucksheim" seiner Tagträume erweisen.

Kaiser Wilhelm II hat sich sozusagen selber bei seinem "heldenmütigen" Karl May Schulterstück Portopee Schneid gepackt und sich selbst, fern der Heimat, gar nicht verstohlen, in die Wüste befohlen, wo er, seinen hochadeligen Elan zu ungeahnten Jux- und Dollerei Ufern treibt und es zu bemerkenswert ausgesucht undiplomatischen Taktlosigkeiten auf diplomatischem Parkett bringt.

Diese Taktlosigkeit auf diplomatischem Parkett auf höchster Herrscherebene, gepaart mit der "Haudrauf" Flottenpolitik seines Großadmirals von Tirpitz verheißt seiner Majestät spätestens 1914 nach "Popart" in spätrömischer Dekadenz über die Westerwelle bis zur Westerplatte vor Danzig hinaus ein Abenteuer, wie es nicht einmal ein Karl May bieten kann.

Ob Karl May seine Schmach als Romanzier und Pazifist geahnt, deshalb bereits am Vorabend des Ersten Weltkrieges im Jahr 1912 ins legendäre Gras zu beißen sich versprach, das er so schneidig romantisch in Arabien zu beschreiben wusste?, bleibt im Dunkeln.

Doch Kaiser Wilhelm II bleibt seinem Karl May postmortem in Nibelungentreue verbunden und versteht das, was da 1914 heraufzieht, als ob ihn sein majestätisches Fell am linken Arm juckt, als das endlich zu seinen Lebzeiten eingelöste Karl-May-Abenteuer großen Stils der Weltgeltung in der Gattung

"Blitz & Donnerwetter"

als Grundlage eines Geschäftsmodell ewigen Kaiserwetters:

"DER ERSTE WELTKRIEG"

Kaiser Wilhelm II gibt sich vor dem Deutschen Reichstag, nachdem dieser mehrheitlich seiner Kriegsanleihe zugestimmt hat, ungeladen mit folgenden Worten die Ehre:

"ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Patrioten unseres geliebten deutschen Vaterlandes"

Prinz Philipp zu Großbrtannien sucht noch heute bisweilen den Anschluss an diese gezielt aristokratischen Taktlosigkeiten von damals zu pflegen, wenn er einem dunkelhäutigen Regierenden in Afrika, am Bankett zu seinen Ehren, queenssize bestens gelaunt, entgegen ruft.

"Alter Junge!, Du waren wohl zu lange in der Sonne"

Atmosphärisch zu diesen robust aufgestellt schneidigen Taktlosigkeiten hochadeliger- Herrschaftskreise am Vorabend des Ersten Weltkrieges auf diplomatischem Parkett, die jeden Etagenadel vor Neid erblassen lässt, passt 1913/1914 die sogenannte

"Zabern-Affäre"

auf unterster militärischer Leutnantsebene, wie die Faust aufs Auge global verhinderter Geschichte des Proletariats im Frieden bildungs- und vermögensnaher Entwicklung.

"Unsere Leutnants macht uns keiner nach"

heißt es in dem Roman "Der Untertan" von Heinrich Mann aus dem Munde einer ebenda schneidig depütiert Entlobten eines Garde Leutnants, unverdrossen, voller Stolz.

Die Beschimpfung der elsässischen Zivilbevölkerung durch einen, schneidig säbelrasselnd, auftretenden deutschen Leutnant, wie er im "Buche" steht, führt 1913/14 zu einer innenpolitisch alarmierenden Krise im Deutschen Reichstag des Kaiserreiches zu Berlin.

Der 20-jährige Leutnant Günter Freiherr von Forstner (1893-1915) stellte am 28. Oktober 1913 in der Stadt Zabern (frz.: Saverne) vor seinen kaiserlich einberufenen Rekruten eine "Ehrensold" Prämie für jeden niedergesäbelten, niedergestochenen "Wackes", in Aussicht.
"Wackes" war damals ein Schimpfwort für die elsässische Bevölkerung

Regionale Zeitungen im seit 1871 vom gerade damals erst gegründeten II. Deutschen Reich großmachtsüchtig annektierten Elsaß-Lothringen galt dieser Vorfall berechtigt als Skandal- Schlagzeile mit den Deutschenhass befeuernden Hintergrundinformationen.

Die Empörung der heimischen Bevölkerung über das mehrheitlich als Besatzungsmacht empfundene und auftrtende deutsche Militärregiime verstärkte sich, als der militärische Jungspund Leutnant Forstner nicht etwa strafversetzt wurde, sondern, gemäß ausdrücklich bemühtem "Ehrenkodex des kaiserlichen Militärs", unangefochten von deutschen Stellen, auf seinem Posten verblieb.

Statt nun innezuhalten und alles zutun, um die Bevölkerung wieder hinreichend gewogen zu stimmen, setzte das deutsche Militärregime in Zabern seine Willkürakte provozierend ausweitend fort

Der örtliche Regimentskommandeur Oberst Adolf von Reuter (1857-1926) ließ am 28. November 1913, ohne Absprache mit der Zivilverwaltung, eine friedlich protestierende Menschenmenge darunter viele zufällig anwesende Passanten willkürlich in Gewahrsam nehmen.

Nicht nur das.

Über die Stadt Zabern wurde der Belagerungszustand verhängt, bewaffnete Militärangehörige patrouillierten in den Straßen.

Leutnant Forstner selbst schlug am 2. Dezember angeblich aus Notwehr einen Schustergesellen, der ihn verhöhnt hatte, mit dem Säbel nieder.

Kronprinz Wilhelm kommentierte die Vorfälle potzblitz in einem Telegramm mit den Worten

"Immer feste druff!".

Als der Wortlaut dieses Telegramms durch einen Whistleblower an die Öffentlichkeit gelangte, wurden zahlreiche elsässische Postbeamte wegen angeblicher Indiskretion strafversetzt. Diese Vorfälle schürten die Proteste innerhalb der elsässischen und in Teilen der deutschen Bevölkerung vor allem in Zabern.

Im Deutschen Reichstag löste, nicht die "Zabern Affäre" an sich, aber die Kritik am Vorgehen des Militärs in Zabern heftige Debatten aus. Am 4. Dezember 1913 sprach der Reichstag mit den Stimmen des Zentrums, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), der Nationalliberalen und der Fortschrittlichen Volkspartei mit 293 gegen 54 Stimmen erfolgreich ein Misstrauensvotum gegen Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg aus.

Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg hatte die Vorfälle in Zabern demonstrativ verharmlost und heruntergespielt, gab ausdrücklich, in dieser Zeit voller angeblicher lauernder Gefahren und Feinde des Reiches, dem Militär grundsätzlich und vor allem in Zabern den Vorrang vor der Zivilverwaltung.

Was für eine versammelte Zivilcourage im Deutschen Reichstag!

Aber es kam anders:

Da der Reichskanzler jedoch letztendlich allein vom Vertrauen des Kaisers abhängig war und nur von diesem berufen und entlassen werden konnte, hatte das Misstrauensvotum keinerlei politische Konsequenzen.

Die Proteste im Deutschen Reich gegen das Vorgehen des Militärs in Zabern hielten bis Januar 1914 an, um dann nach dem Prozess gegen Forstner jedoch allmählich sang- und klanglos aus dem Blick der veröffentlichten Meinung zu entschwinden.

In dem Prozess vom 5. bis zum 10. Januar 1914 wurde Leutnant Forstner, der wegen Körperverletzung und unrechtmäßigem Waffengebrauch angeklagt war, in zweiter Instanz, auf Grundlage einer preußischen Order aus dem Jahre 1820, freigesprochen.

Die Order gestand dem Militär ein Selbsthilferecht bei Störung der Ordnung zu, sollte in diesem falle die französisch beherrschte Zivilverwaltung nicht willens oder außerstande sein, die Ordnung wiederherzustellen.

Die Schuld für die Vorfälle in Zabern lag laut dem Gerichtsurteil bei der Zivilverwaltung, die dort für Ordnung hätte sorgen müssen.

Dei rechtlich durchstechende Diktion des Urteils rief einen neuen Konflikt über die Rechtslage im Deutschen Reich hervor. Im Reichstag und in der Öffentlichkeit wurde, wenn auch bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 1918 vergeblich, heftig über Rang und das Verhältnis von ziviler und militärischer Gewalt daheim und in durch deutsche Militärs annektierten, besetzten Gebieten gestritten.
JP


http://www.deutschlandradiokultur.de/wie-kaiser-wilhelm-mit-kara-ben-nemsi-auszog-das-fuerchten.964.de.html?dram:article_id=272487
02.02.2014, 18:30 Uhr
Wie Kaiser Wilhelm mit Kara Ben Nemsi auszog, das Fürchten zu lernen

http://www.deutschlandradiokultur.de/europa-warnung-vor-nationalismus.1005.de.html?dram:article_id=273100
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Warnung vor Nationalismus

Warum August Bebel Recht behalten sollte

Von Jürgen Schmidt

http://www.deutschlandradiokultur.de/geschichte-der-egoismus-lebt-noch-immer.1005.de.html?dram:article_id=273530
Beitrag vom 03.01.2014
GESCHICHTE
Der Egoismus lebt noch immer

Erster Weltkrieg sollte Europas Regierungen eine Warnung sein

Von Ernst Piper

https://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/1914-2014-krisen-ueber-alles-in-der-welt
JOACHIM PETRICK 30.12.2013 | 19:49
1914-2014 "Krisen über alles in der Welt!"

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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