Richard von Weizsäcker, von Beruf „Zeitzeuge“ wird neunzig

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Richard von Weizsäcker, von Beruf„Zeitzeuge“ wird neunzig

Ist Richard von Weizsäcker, der "Ewige Bundespräsident", einZeitzeuge mit Ladehemmung?

Richard von Weizsäcker, einZeitzeuge mit Ladehemmung wird neunzig Jahre alt?

Besteht die Lebenslüge Richard von Weizsäcker darin, trotz Ladehemmung, der Verweigerung von Auskünften, in jeder Hinsicht als ausgewiesener "Zeitzeuge" gelten zu wollen?Richard von Weizsäcker verweigert nicht nur die Beantwortung von Interview- Fragen, sondern verbittet sich diese von Fall zu Fall in hochfahrendem Zorn als unbotmäßige "Majestätenbeleidigung".

So gestern in der Dokumentation der ARD überRichard von Weizsäcker "Für immer Bundespräsident" im zweijährig begleitenden Gespräch mit Sandra Maischberger zu hören und zu sehen.

Insbesondere verweigert sich Richard von Weizsäcker als Zeitzeuge so harmlos sich vortastenden Einstiegs- Fragen wie:

"Glauben Sie an Gott?"

"Glauben Sie an ein Leben nach dem Tode?".

Für den Zuschauer/in wirkt das dann so Mitleid erregend, wenn Richard von Weizsäcker, unterstützt, flankiert von seiner Gattin Marianne, nebst Tochter Marianne- Bearice, diese Fragen als unbotmäßig zurückweist, als ob Richard von Weizsäcker gerade noch, einem daher gelaufenen Tribunal, mit und ohne Legitimation, entkommen ist.

Dabei liegen die genannten Fragen im Zusammenhang mit seiner Person geradezu auf der Hand, wurde Richard von Weizsäcker doch bereits im Jahre 1966 für lange Zeit zum Synodal- Präsidenten des Evangelischen KirchentagesDeutschlands gewählt.

Auf die Frage nach seinem eigentlichen Beruf antwortet Richard von Weizsäcker im Gespräch mit Sandra Maischberger

"Zeitzeuge".

Gemessen daran, was Richard von Weizsäcker, Auskunft zu geben bereit ist, wirkt die Legenden bildende Berufsbezeichnung "Zeitzeuge" eher irritierend, ladegehemmt.

Vermeidet Richard von Weizsäcker die Beantwortung harmlos sich vortastender Einstiegs- Fragen deshalb so stringent konsequent, weil diese weitergehende Fragen nahelegen, wie:

"Wenn Sie an Gott glauben, wie konnte es dann geschehen dass Gott die Vernichtung der Juden auf europäischem Boden durch das NS- Regime von 1933- 45 zuließ?

Wie konnte es dann sein,dass Ihr Vater Ernst von Weizsäcker als Staatssekretär im Reichs- Außenamt (AA)im März 1942 die Anfrage aus dem Führerhauptquartier, ob es Bedenken des AA gegen die Deportation von 6000 französischen oder staatenlosen Juden nach Auschwitz gebe, prekär patriotisch hochfahrend in Augenhöhe nicht nur mit "keine Bedenken" beantwortet sondern mit dem paraphierenden Rechtskonstrukt Zusatz "kein Einspruch" den Führer Erlass gegenzeichnet, als ob es hier mit allen Rechten Dingen zuging.

Der Spiegel deutet in seiner Titelgeschichte "Die Weizsäckers" (11- 64- 2010) auf der Seite 73 diesen Zusatz "kein Einspruch" statt "keine Bedenken" im Gegensatz zu meiner Einschätzung, als Indiz, dass sich Ernst von Weizsäcker als Staatssekretär im Reichs- Außenamt (AA) bemüht hat, soweit es im Bereich seiner Möglichkeiten bestand,den Kreis der deportierten Juden einzugrenzen.

Solche Fragen, geschweige denn Einschätzungen, verbieten sich scheinbar bis heute gegenüber dem Zeitzeugen Richard von Weizsäcker, der seinen Vater Ernst von Weizsäcker vor dem Kriegsverbrecher Tribunal in Nürnberg "Komplex AA/ Wilhelmstraße" 1946 mit verteidigt hat.

Richard von Weizsäcker insistiert bis heute darauf, sein Vater sei damalsals Zeuge des Nürnberger Gerichtshof geladen gewesen, ihm sei als Zeuge der Anklage wie Verteidigung "Freies Geleit", aus dem Vatikanstaatnach Nürnberg kommend, garantiert zugesichert worden, um ihn dann unter Bruch des allgemeinen Völkerrechts, wie es Winston Churchill empört im britischen Unterhaus betont habe, als Angeklagten in Untersuchungshaft zu nehmen.

Wenn die historische Faktenlage bis heute in den Köpfen vieler Deutscher als Leere die Relevanz von Zeitzeugnis entfaltet, ist Richard von Weizsäcker im reinsten Sinne des Wortes ein Zeitzeuge, der andere Zeitzeugen/innen mit seiner Leere wundersam verzaubern kann.

Woher nimmt Richard von Weizsäcker diese Kraft, diesen Elanzum "Immer Präsidenten"Bundes Zauber?

Vielleicht liegt der Schlüssel zu dem Rätsel der Kraft, des Elans Richard von Weizsäcker, in dem Hinweis seines Sohnes Fritz, der seinen ewig lächelnden Vater auf Kinder- und Jugendbildern, während alle anderen "Ganz wie Vater Ernst" überaus ernst dreinschauen, als den wohlgeraten spitzbübisch aufgelegten Hofnarren der Familie Ernst von Weizsäcker betitelt.

Ist es der Zauber des wohlgeratenen Hofnarren der Familie Ernst von Weizsäcker, der lebenslang im Gewande des ewigen Repräsentanten, im Hochamt des Kaisers, Königs, Präsidenten Richard I, volksnah nicht nur von Wolfgang Neuss berlinernd „Richie“ gerufen wie selbstredend und selbstverständlich ohne weitere Wort, Fragen und Antworten, in uneingeschränkter Solidarität der neuen Demokratie in Deutschland dienen will und kann, wie einst sein Vater Ernst von Weizsäcker selbstverständlich dem NS- Regime dienen konnte und wollte, weil es dies das heilige wie eilig eherne Gesetz der Weizsäcker Dynastie befahl und weiterhin zum Wohl des Deutschen Volkes, Europas, der Welt befiehlt?

Vater Ernst von Weizsäcker fand sich selbstverständlich 1919 bereit, einen derMörder von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Kapitänleutnant Horst von Pflugk- Harttungund mit ihm die Liquidierung vorhandener Personal- Potentiale der gerade ausgerufenen neuen Deutschen Demokratie illoyal zu decken und zur Flucht zu raten.

Richard von Weizsäcker selber verfällt noch heute in diese aristokratisch herrschaftlich hochfahrende Tonlage, wenn es um den vermeintlich wie wirklichen Knebelvertrag von Versaille im Juni 1919 geht:

"Dieser Vertrag da aus den Vororten von Paris!"

Diesen gutsherrlich schneidigen Zungenschlag habe ich lange nicht mehr vernommen.

Das alles mindert ohne jeden Zweifel keinesfalls die vorhandenen und weiterwirkenden Verdienste des Bundespräsidenten a. D. Richard von Weizsäcker seit seiner bis heute viel beachteten und ergreifenden Rede im Deutschen Bundestag am08. Mai 1985 im Gedenken an die Bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches vom 08. Mai 1945.

Richard von Weizsäcker ist das lebende Beispiel, wie sich unter dem Eise des Kalten Krieges, auf eine Zimmertemperatur von 17 Grad Celsius herunter geregelt, nicht zwingend, Altvordern Prägungen verfestigen, sondern, siehe Perestroika, Glasnost, orbi et gorbi, überraschend nachhaltig belastbar, neue Prägungen bilden.

Für einen lebenslang "Tanzenden Krieger“ für die Völkerverständigung, die Einheit Deutschlands, Europas, den Frieden in der Welt wie Richard von Weizsäcker ist das Wort Liebe als ein Ganzes nicht existent, weil er allem und jedem ein Stückchen Liebe zuzuordnen bzw. abzuringen gedenkt.

Zeit für Selbstreflektion ist solch einem "Tanzenden Krieger" der Versöhnung, des Friedens der Entwicklung wie Richard von Weizsäcker, den Blick fest auf Ziele am Horizont zugewandt,nicht gegeben.

Äußerungen wie 1989 nach dem Berliner Mauerfall:

"..in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen..." klingen in der Tonlage Richard von Weizsäcker friedensstiftend, obgleich diese Äußerung inhaltlich nicht ganz frei von einer angedeuteten Klage wieDrohung ist:

"Frieden in der Welt kann es nur geben, wenn Europa vereint ist!".

Oder die Äußerung Richard von Weizsäckers zum selben Anlass 1989:

"Der Aufbruch der bewegten Bürger/innen in der DDR führte zur Befreiung von erzwungener Lüge" klingt aus anderem Munde, wie ein nacheilendes Alibi für eine vierzigjährige Gesellschaftslüge, während

Richard von Weizsäcker seineLebenslüge, ein "Auskunft gebender Zeitzeuge" von hohen gradenzu sein, weiter genährt scheint?

In Japan lässt Richard von Weizsäcker sich zu dem lockeren Spruch über den ehemaligen Weltbank- Präsidenten Wolwowitz aus den USA von Sandra Maischberger hinreißen:

"Der habe nicht nur ein Loch in der Socke, sondern auch im Kopf!".

Es ist zu fürchten, dass dieser, gewitzt gemeinte, lockere Spruch Richard von Weizsäckers weniger über den ehemaligen Kurzzeit- Weltbank- Präsidenten Wolwowitz aus den USA aussagt, als über Richard von Weizsäcker selber, wenn es um seine persönliche Erinnerungskultur als Zeitzeuge von eigenen Gnaden geht.

Darin ist der Jubilar Richard von Weizsäcker, der am 15. April 2010 neunzig Jahre alt wird, vermutlich, wenig fleißig, seine Erinnerungen konkretisiert aufzufrischen, wie er dies an anderer Stelle von sich, im Vergleich mit dem Fleiß des Altkanzler Helmut Schmidt, ganzheitlich meint.

Seine Fähigkeit zur Verdrängung, wird ihm in dieser Dokumentationvon einem seiner Söhne sogar als Verdienst, ja als Talent zum gesunden. Leben im Hier und Jetzt bescheinigt.

Solche direkten Fragen verbieten sich gegenüber Richard von Weizsäcker weiterhin, durch ihm nahestehende Freunde/innen, Familienangehörige gefragt und ungefragt, abgeschirmt wie gebrieft, wie von selbst.

Eine kaum merklich, aber spürbar unterdrückte Erschütterung ist bei Richard von Weizsäcker zu registrieren, als er in der ARD- Dokumentation auf die Frage von Sandra Maischberger, wie und wann er als Kind Schwimmen gelernt habe, antwortet:

"Das sei 1928 auf einem Sommerurlaub in Südtirol passiert, da habe sein Vater ihn als achtjährigen Jungen ohne Schwimmweste auf einen See in tieferes Wasser mit genommen, um ihn dann, unabgesprochen, zu verkünden;

"Jetzt musst Du alleine bis zum Ufer zurück schwimmen".

Da habe der achtjährige Richard voller Bangen gesagt:

"Aber Papa!, ich kann doch gar nicht schwimmen!"

Worauf sein Vater geantwortet habe:

"Wenn Du nicht schwimmst, holen Dich die Ungeheuer des Sees und fressen Dich auf".

Das sei doch irgendwie brutal von seinem Vater gegenüber der bangen Seele seines achtjährigen Sohnes Richards gewesen.

JP


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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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