Sevilla1982 deutsch-französisches Gemetztel

Fussballgeschichte Der, atlethisch gebaut, bundesdeutsche Nationaltorhüter Toni Schumacher springt auf den eher schmächtigen französischen Top- Nationalspieler Patrick Battiston zu und...

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Der, atlethisch gebaut, bundesdeutsche Nationaltorhüter Toni Schumacher springt auf auf den eher schmächtigen französischen Top- Nationalspieler Patrick Battiston zu und mäht ihn mit seiner Hüfte, auf den grünen Rasen geschmettert, in die Bewusstlosigkeit hinein.
Warum?, damit der den Ball nicht mehr verfolgen kann?, während Manfred Kaltz, in "Schockstarre" versetzt, zuschaut,. als ginge ihn das alles gar nichts an.

Heute am Freitag begegnen sich Deutschland und Frankreich im Viertelfinal der Fussball WM 2014.

Die junge Blüte des gegenwärtig deutschnen Fussball Aufschwungs ist in hohen Maßen und Graden über "Spiegelneuronen" durch Frankreichs Nachwuchsförderung inspiriert.

Sevilla 1982, die Erinnerung an diese Geschichte bleibt, angesichts eines solchen WM- Fussballtages, wie heute, unvermeidlich.

Die Geschichte vom germanisch, atlethisch gebauten; Torhüter Toni Schumacher, der, wie ein gesenkter Affe, aus dem Tor stürmt, der abhebt und auf den französischen Angreifer zuspringt, der den Ball, links liegen lassend, verfehlt, nicht aber den Angreifer und Gegner.

Seine Hüfte rammt Schumacher seinem Gegenspieler Battiston ins Gesicht, der , wie vom Blitz getroffen, bewusstlios, reglos auf den Boden fällt:

Sevilla 1982, WM-Halbfinal Deutschland - Frankreich. Toni Schumacher gegen Patrick Battiston. Battiston, bewusstlos, verliert mehrere Zähne, der Toni Schumacher tönt mit blendend weiss bleckenden Zähnen:

«Wenn es nicht mehr ist, dann kaufe ich ihm gern Jacketkronen.»

Das ist Fussball- Kämpfertum- Mythos im kältesten aller kalten Sinne und zynisch dazu.

«Im eigenen Urin sollen sie ertränkt sein»

Ein hingeworfener Satz für die Archive der Fussballgeschichte. Der Zynismus eines Siegers, der sich seiner überaus sicher zu sein schien, dass ihm nichts geschehen konnte an diesem Abend damals in Sevilla 1982.

Der Schiedsrichter hat Schumacher nicht einmal verwarnt. Es war die Selbstgewissheit des Mannes, der das Elfmeterschiessen (Penaltyshoting) in einem Match entschied , wie ihn die WM nie zuvor gesehen hatte.

Zwei Mannschaften, ausgepowert, am Limit in der Verlängerungszeit, überlegene Franzosen, die den Gegner aus den Socken spielten und 3:1 führten.

Da kam, von vielen Seiten sehnsüchtig erwartet, Karl-Heinz Rummenigge ins Spiel, und François Mitterrand, Frankreichs Staatspräsident, überfiel eine dunkle Ahnung, so heißt es in den Annalen:

«Mon Dieu, Rummenisch», soll es ihm als kapitulierender Stosseufzer entfahren sein, und «Rummenisch» traf – und nach ihm Klaus Fischer, der beim Fallrückzieher scheinbar ewig, als wären ihm Flügel gewachsen, in der Luft zu schweben schien.

Zwei Jahre später, als die Ära des wenig erfolgreichen deutschen Nationaltrainers Jupp Derwall zu Ende ging, als Deutschland die EM in Frankreich bereits nach der Vorrunde verlassen musste, schrieb die Zeitung «Libération»:

«Dieses wilde Tier, das der deutsche Fussball ist, verdiente (es), im eigenen Urin ertränkt zu werden. Das deutsche Monster hat zu lange überlebt.»

Frankreich, so hiess damals der Europameister im eigenen Land – mit Michel Platini, der in fünf Spielen neun Tore schoss, ein grandioser Regisseur, Spielemacher und Vollender, wie ihn der Fussball in jener 80-ziger Jahre Dekade nur einmal hervorgebracht. Doch eines wurde dieses Fussball- Genie Platini nie: Weltmeister.

Zwei Jahre später, in Mexiko, lieferten Platinis Franzosen erneut das beste aller besten Matches des gesamten Turniers, im WM-Viertelfinal gegen Brasilien, diesmal gewannen sie das Penaltyshoting. Doch danach standen ihnen wieder die Deutschen in den Rabatten der Beete zum Erfolg, frisch ausgeruht, körperlich atlethisch stark, präsent. Frankreich verlor 0:2, und diese Niederlagen von damals, sie sollen für Platini bis heute ein lebendiger Schmerz geblieben sein.

Damals ging's noch um mehr als "nur" um Fussball in den Duellen der Nachbarn, Westdeutschland, Frankreich, die ein kompliziertes Verhältnis voller lauernder Komplexe aneinander zu fesseln scheint. Schumachers Foul genügte, um die Büchse der Pandorrha voller alter Ressentiments nach zwei Weltkriegen, in der Mitte Europas geöffnet, aufflammen zu lassen.

Ribéry, Franzose oder Bayer?

Was ist heute?

Eine sonderbare Gelassenhheit, um nicht zu sagen Gleichgültigkeit, prägt die Stimmung sowohl in Deutschland als auch in Frankreich vor dem Viertelfinal von heute am Freitag.

Diese Feststellung ist durchaus erfreulich, ja friedensstiftend, weil es diesmal tatsächlich "nur" um Fussball zu gehen scheint?

Andererseits ist die Stimmung verwunderlich, weil es sich um Nachbarn handelt, die abseits des Fussballs und einer kriegerischen Vergangenheit gegeneinander, aber auch miteinander, einen Zuber voll an Gemeinsamkeiten miteinander pflegen.

Da ist die ewig unverwüstliche Diskussion, wem er nun gehört, unser Karl der Grosse alias Charlemagne.

Dann die dokumentiert, selbst über Schützengräben 1914- 1918 hinweg, gegenseitige Wertschätzung der Intellektuellen.

Nicht zu vergessen diese fundamentale Affinität zur Technik, vor allem im Autobau, Flugzeugbau. Die einen konstruieren gern sparsame Dieselmotoren, die anderen gewaltige Zwölfzylinder, sogar Fluggerätschaften, wie ein "flügelloses Flugzeug", das bisher niemals vom Boden abhob.

Im Fussball aber scheint's dagegen auf den ersten Blick kaum andere ergreifende Gemeinsamkeiten zu geben als die Erinnerung an den unterschwelligen Konflikt von 1982 in Sevilla.

Frankreich war nie ein Sehnsuchtsort für deutsche Fussballer. Zwar suchte Pierre Littbarski sein Glück in Paris, Klaus Allofs ging nach Bordeaux, Rudi Völler nach Marseille und Franz Beckenbauer war dort sogar Trainer.

Umgekehrt waren auch Franzosen in der Bundesliga selten anzutreffende Fussballspieler.. Sie zogen, wenn überhaupt, am ehesten zum FC Bayern, die Aussenverteidiger Willy Sagnol und Bixente Lizarazu, der Goalgetter Jean-Pierre Papin. Valérien Ismaël fand über Bremen den Weg nach München. Und natürlich ist da Franck Ribéry, von dem Niemand mehr so genau zu wissen scheint, ist er noch ein Franzose, oder mittlerweile doch ein echter Bayer.

Trotz und wegem All diesem ist der französische Einfluss auf den deutschen Fussball der Gegenwart immens.

Ursache dafür mögen u. a. die Ereignisse der WM 1998 in Frankreich gewesen sein. Deutschland reiste als Favorit nach Frankreich, das Durchschnittsalter der Spieler lag nahe bei 30 Jahren. Doch die Deutschen schieden unrwartet früh aus, im Viertelfinal, mit einem 0:3 gegen Kroatien.

Es war eine Zäsur. Den WM-Titel gewann der Gastgeber Frankreich, dessen Erfolgs- Geheimnis lag in der Förderung der Jugend.

Deutsche Trainer reisten nach Clairefontaine ins Verbandszentrum, und sie inspizierten die Fussballinternate in Frankreich eingehend.

Es brauchte nur ein paar Jahre, bis das neue DFB-Know- How erste Früchte des Erfolgs präsentierte. Die Fussballer, die im WM-Viertelfinal heute auf Frankreich treffen, stammen fast alle durch die Bank aus den Leistungszentren des Deutschen Fussballbunds (DFB).

Es sind andere Spieler, als sie der deutsche Fussball früher hervorgebracht hat.

Nicht mehr der kollossal gross athletisch gepanzerte Hüne Marke "Diskuswerfer Hartung" wie in den neunziger Jahren ist angesagt, sondern auch eher kleine, wendige Spieler, Leichtgewichte, wie Mario Götze oder Mesut Özil, Spieler, die lieber ballsicher geschmeidig tänzeln, unermüdlich flitzen, als brachial draufzuknallen.

Während der WM 2010 begeisterten die deutschen Spieler, wie es einst die Franzosen vorführten, mit Spielfreude, Eleganz, Esprit.

Joachim Löw, der deutsche Trainer, gibt sich in Gestalt, Frisur und lässiger Mimik und Haltung, als sei er einem Nouvelle-Vague-Film in der Dreh- Pause entsprungen.

Historische Exkurse sind bei diesem deutschen Team absolut fehl am Platz

Sevilla 1982, das ist für sie ein "Grusel- Fall" für die Fussball-Geschichtsbücher. Nicht viel anders scheint es den Franzosen zu ergehen, die ebenso wie ihre deutschen Gegner noch nicht geboren waren, als Schumacher Battiston bewussstlos in den "Boden" rammte.

Ganz im Gegenteil ist aus französischen Fussball- Kenner Kreisen Respekt gegenüber der neuen deutschen Spielkultur zu vernehmen, es klingen da beinahe schwärmerische Töne an.

Die besondere Pointe der Fussballgeschichte ist, dass an dieser WM 2014 im Viertelfinale das athletischere Team aus Frankreich kommt und eben nicht aus Deutschland.

JP

http://www.nzz.ch/aktuell/sport/fussball/ici-cest-paris-1.18292066?extcid=Newsletter_29042014_Top-News_am_Morgen
Ligue 1 im Finish
Ici, c'est Paris!
Rod Ackermann, Paris Heute, 29. April 2014, 06:00

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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