Steckt in jedem Huhn ein dummer Dinosaurier?

Buchbesprechung Wenn Theo Lingen gewusst hätte, was ich jetzt durch das Buch "Das Huhn. Geschichte, Biologie, Rassen", 224 Seiten, Haupt Verlag, Bern 2013, Joseph Barber (Hg.), weiß,..

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Ist im Volksmund nicht bissig die Rede vom "Dummen Huhn"?

Nur „Blond“ gilt gemeinhin, unreflektiert, noch als strohdümmer, denn das Huhn?

Theo Lingen sang sonderbar wunderbar

"Wäre ich ein Huhn,

ich hätte nichts zu tun,

Ich legte jeden Tag ein Ei,

manchmal vielleicht auch zwei......."

Wenn Theo Lingen gewusst hätte, was ich jetzt seit der ersten Lektüre des Buches

"Das Huhn. Geschichte, Biologie, Rassen", 224 Seiten, Haupt Verlag, Bern 2013, Joseph Barber (Hg.),

als Liebeserklärung ans Huhn weiß, dass nämlich das Huhn in direkter Linie vom Dinosaurier abstammt, würde er das Huhn nicht mehr dumm nennen, sondern den Dinosaurier, der sich durch List und Tücke der Evolution paläontologisch überreden und überzeugen ließ, dass sich in den allseits geschrumpften Maßen eines Suppen- Huhns, gebratenen Hähnchens mindestens so gut leben lässt, wie zuvor, flügellahm, in den gigantischen Maßen "Fliegender Dinosaurier".

Wobei das Fliegen der Dinosaurier, um sich vom heissen Boden dr Erde abzukühlen, wohl mehr ein in die Luft Springen war.

Aber hier greife ich der Entwicklung des Menschen bei der interessierten Wahrnehmung des Huhns vor. Was ich nicht möchte.

Denn am Anfang stand den Menschen beim Anblick eines Huhnes nicht der Sinn nach kulinarischem, sondern kulturellem Streben.

Beim Durchstreifen der Urwälder hatten die Menschenhorden die unerbittlichen Hahnenkämpfe der Hühner entdeckt und fasziniert in Stille verharrend, beobachtet. bis sie darauf kamen. Hühner und Hähne einzufangen, damit die ihnen daheim auf dem Dorfplatz das Schauspiel von Hahnenkämpfen boten

Joseph Barber und seine wissenschaftlichen Autoren nehmen die Leser mit auf eine spannende Entdeckungsreise in die Welt der Hühner. Sie enthüllen die erstaunlichen Fähigkeiten dieser faszinierend eigenständigen Lebewesen und vermitteln Wissenswertes über Biologie und Verhalten der Tiere

Das Leben eines jeden Huhns beginnt in einer kleinen Höhle aus Kalziumkarbonat, aus der es keinen Ausgang, noch Ausblick gibt.

Gelegentlich fällt ein Lichtschimmer durch die dicken Wände, aber die meiste Zeit herrscht vollkommene Dunkelheit. Im Laufe eines Kükenlebens im Ei lassen sich, man glaubt es nicht, Laute wahrnehmen, Rufe und Gegenrufe erklingen. Das Küken ist sozuasgen aus dem Häuschen, bevor es selber da ist.

Das Küken ist wahrlich nicht allein.

Ganz Im Gegenteil: Es steht in emsig regem Austausch mit Mutter und Geschwistern, und bricht nach zirka drei Wochen rauschendem Höhlenaufenthalt zur verabredeten Zeit aus dem Ei heraus, um, gut getimt, gemeinsam das Nest zur Entlastung aller brütenden Hennen auf eigenen Beinchen zu verlassen.

So anschaulich und atmosphärisch dicht beschreibt Mark Hauber in dem Buch die Brut- und Schlupfphase einer Schar von Küken.

Der lehrende Verhaltensbiologe in New York ist einer von fünf Autorinnen und Autoren der wunderschön gestalteten Monografie

"Das Huhn. Geschichte, Biologie, Rassen".

Eine wahre Liebeserklärung an diese "eigenständigen, faszinierend intelligenten Lebewesen".

"Evolution", "Anatomie", "Verhalten", "Intelligenz" und "Rassen" sind die Kapitel des Buches,

Bereits in der Einleitung wird deutlich, dass die kulturelle Faszination der Menschen für das Huhn am Anfang seiner Domestizierung stand.

So standen, wie gesagt, keine kulinarischen Interessen, die Mensch und Huhn zusammenbrachten, am Anfang, sondern kulturelle.

Der Hahnenkampf hatte unsere Vorfahren vor 10.000 Jahren derart begeistert, dass das zuvor im Dschungel lebende Tier zum Haushuhn wurde, wie die Tiermedizinerin Janet Daly erläutert.

Es waren die Römer, die im Huhn und Hahn den Fleisch- und Eierlieferanten erkannten und mit der Zucht begannen, die heute zur industriellen Massentierhaltung und Hühnerfleischproduktion geworden ist.

Zwanzig verschiedene Warn- und Futterrufe

Wie sehr diese industriell prekäre Entwicklung dem Wesen des Huhns zuwider läuft, lässt sich in den Kapiteln zu Verhalten und Intelligenz eingehend studieren.

So erklärt etwa Joseph Barber die soziale Gemeinschaft der Tiere, die am liebsten in stabilen Kleingruppen mit fester Hackordnung leben. Nur hier funktioniert ihr ausgeklügeltes, auf Farben und Lauten beruhendes Kommunikationssystem mit beispielsweise zwanzig verschiedenen Warn- und Futterrufen. Dass das Huhn zudem zirka 96 Individuen unterscheiden kann, beweist seine besonderen kognitiven Fähigkeiten.

Und wenn ein Küken innerhalb seiner ersten 48 Lebensstunden auf einen Menschen geprägt wird (s. Konrad Lorenz und seine Experimente mit Enten), lässt sich sogar mit dem Vogel spielen.

Dass im Lernkapitel ein Huhn auf einem Skateboard- Brett in Szene gesetzt wird, zeugt nicht nur von hohem gestalterischen Ideenreichtum und Witz der Autoren, sondern auch des mitspielenden Huhns.

Es gibt nicht eine Seite ohne Abbildungen, darunter viele Zeichnungen und herausragende Fotos - von Details wie Kämmen oder Federn bis hin zum Gruppenbild mit Hahn. Im Schlusskapitel werden vom Strupphuhn über die Appenzeller Spitzhaube bis hin zum Paduaner einzelne Rassen wie Models in ihrer Schönheit porträtiert; illuminiert vor schwarzem oder weißem Hintergrund.

Dieses Buch ist allerdings für Hühnerfleischesser eine Gefahrenlage, geradezu notwendig eine Plage, nämlich von nun an kein Huhn in der Suppe mehr, noch einen gebratenen Hahn zu verspeisen, weil das Huhn und der Hahn als solcher(s) kein kulinarischer sondern ein kultureller Begleiter des Menschen ist, außer das Huhn, der Hahn hat ein Erbarmen und zerlegt sich vor lauter kulturellem Glück im Zusammenleben mit einem Menschen selber im geselligen Überschwang zum Braten in die vorerhitzte Pfanne.

Das wird aber sicher, machen wir uns nichts vor, nur in ganz seltenen Ausnahmefällen passieren.

JP

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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