Udo Lindenberg rockt, easy panisch, die Berliner Mauer weg, weg, weg

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Stressfrei lehrt "Klein Udo" Lindenberg den Panik- Rock am Stock

"Ein Schlager von Rang ist mehr als 500 Seiten Kulturkritik."
(schrieb Gottfried Benn 1950 )

"Udo war schon in den Achtzigern nach Maßstäben von relevanter Popkultur und sogar nach Ost-Maßstab ein "alter Sack". meint Jörg Augsburg in seinem Freitag Blog:
www.freitag.de/kultur/1102-hammer-sichel-lindenberg

Ton und Text | 18.01.2011 16:35 | Jörg Augsburg
Hammer, Sichel, Lindenberg

Da sage ich nur:
Sie haben es, lieber Jörg Augsburg, gepackt und doch nicht erfasst, wie ich lange auch nicht.
Udo Lindenberg kam nackkriegsbedingt als alter Sack auf die Welt, um den Omas, Opas, Papas, Mamas, kriegverstörten Brüdern, Schwestern, Tanten, Onkels hüben und drüben panikfrei niedrigschwelliges Rocken zu lehren, So wie Udo Lindenberg rockt, kann man auch noch mit Gehhilfe oder am Stock mit neunig rocken.
Das ist Udos umwerfend schlicht ergreifende Message, und sonst gar nichts!, oder?

Jetzt weiss ich wieder, was mir entfallen, was mich ab 1965 mit einigen Anflügen des Gifts der Scham umwölkte, Schlager für meine jüngere Schwester, meine Großmutter Emma in Hamburg, Großtante Dora in Mecklenburg/DDR singen oder auf der Mundharmonika spielen ließ, weil ich verunsichert, diese robuste Art der Präsenz von Gegenwart in Schlagern, Texten, Melodien, Harmonien, angesichts unseres geteilten Landes, angesichts unserer jüngsten Geschichte, des Missbrauchs der Schlagerindustrie in der NS- Zeit für kriegspsycholgische Zwecke, der aufbrechenden Unruhen an den Schulen, Hochschulen, Literatur, Theatern peinlich fand und doch nicht lassen wollte.

Immer war ein wenig das Gift der Scham dabei, wenn es mich zu Schlager- Gesang und Spiel an stillen Orten zog, z. B. als Hamburger vom Hüben zu Besuch im Drüben der DDR.

Was den Schlager betrifft, war für mich unser geteiltes Land (1949- 89) letzlich meine Überlebens- Strategie- Rettung Lass dich hinter der Mauer wie ein Sack voller Schlager- Gesang fallen, bis die Korken der Einheit der 68er, hüben & drüben, knallen!
Dann kam endlich nicht Kurt, sondern Udo Lindenberg, den dunklen Faden zum deutschen Schlager, verquer voller locker panisch verocktem
"Erich währt am längsten Ehr" ,
mit seinem "Take it easy Baby" Panik- Song "Sonderzug nach Pankow" zündend wie eine Dynamitzündschnur, unverwüstlich erhellend aufzugreifen.

Das war zar spät gerockt, aber auch gut so.
Heute ahne ich, dass gerade der Schlager immer, im Sinne von Gottfried Benn, als "Überlebender" auftritt, vom Überleben kündet
"Mama, Papa, Schwester, Bruder, Oma, Opa, Onkel, Tante, ich bin da! Ihr auch? , eben auch als "Überlebender" der NS- Zeit, der Verbrechens- Zeit im deutschen Namen.
So, wie manche schlecht mit Wasser versorgten Stiefmütterchen- Blümchen, binnen Stunden unverwüstlich neu erblühen, wenn sie Wasser erhalten, so erblühen unverwüstlich Ideen zu Schlagern, selbst in schlechten, in verwüsteten Zeiten, warum nicht dann in besseren Zeiten als Gassenhauer, den Menschen Gesang gegeben, als Futter zu dienen, in wohliger Betriebstemperatur mit anderen menschen stimmenreich zu verweilen!..

Jetzt verstehe ich mich darauf, den Schlager wie Unkraut Edel- , Heilkraut gleich auf Augenhöhe, Gehörgangstiefe zu achten.
Schlager vergehen nicht, Unkraut vergeht auch nicht.
Künden beide doch vom unverwüstlichen Überleben? Überleben wollen?

Vielleicht war uns 68ern, als Kriegs- und Nachkriegskindern, im erfahrenen Verlust bedingungsloser Liebe von Vätern, Müttern durch deren mentale wie reale Abwesenheit, Überforderung, die Quelle verschlossen, solcher Gefühle, wie des unverwüstlichen Überleben Könnens und Wollens, versichert zu sein.

Ganz abgesehen davon, dass uns 68ern als Heranwachsende mit wachem Sinn, die jüngste deutsche Geschichte die Message frei Haus bot, dass jedem Überleben, besonders als Deutscher, der Ruch von nachgetragener Komplizenschaft anhaftete?

Da verbot sich der Schlager im Geschwind- Gedankengang hinterfragt als Ausbund an Überlebenswillens und -könnens schlechthin?
Was für ein Irrtum, ist der Schlager als Gassenhauer doch der wahre volksnahe Rettungsring!?

Gerade hat Udo Lindenberg ein Mauer- Musical in Berlin auf die musikalischen Bretter gehoben.

Das nehme ich als Anlass, den abgebrochenen Dialog mit ihnen, den ausgewilderten 68ern, den Kriegskindern meiner Generation, zu der Udo Lindenberg gehört, wieder aufzunehmen.

Vielleicht haben wir im Für und Wider der so genannten 68er- Bewegung, jeder auf seine Weise, leise hier, laut da, erwas zugelernt.

Die Jugend in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, war insbesondere in Deutschland mit Beginn des Kalten Krieges, des Berliner Mauerbaus, zwar geographisch geteilt, aber im Gefühl für Rock- Musik, wie niemals zuvor geeint...

Genau das drückt Udo Lindenberg als bekennender Enkel des verstorbenen Publizisten und NWDR Radio Moderatoren Axel Eggebrecht seit Jahrzehnten mit seiner Art

"Sing weg die Mauer"

Rock- Musik, samt Panik Orchester, n. m. E. aus.

JP

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Joachim Petrick

Aktuelles: Meine sichere Route- Refugee-Airlift - Petition "Luftbrücke für Flüchtlinge in Not" an die MdBs des Bundestages erhofft Debatte

Joachim Petrick

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden