Vom Mönchsgezänk zur Reformation?

496.Reformationstag Von nun an wurde von der Warte des Heiligen Stuhls, aus dem Mönchsgezänk üblicher Sorte im katholischen Kirchenreich eine großkalibrige Reformation Martin Luthers

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Von der Protestation zum Protestantismus

Der Protest der evangelischen Stände auf dem Reichstag zu Speyer im Jahre 1529.

Auf dem zweiten Reichstag zu Speyer lernt Philipp Melanchthon 1529 erstmals die große Politik kennen: Kaiser Karl V. hatte seinen Bruder Erzherzog Ferdinand, der den Reichstag leitete, angewiesen, Maßnahmen gegen die neue Lehre zu ergreifen. Die evangelischen Stände protestierten dagegen.

"Eure Hoheit, ich wage an Euch zu schreiben, denn mich zwingen wichtige und gefährliche Vorgänge, die jetzt alle Aufmerksamkeit und Fürsorge Eurer Hoheit erfordern."

Mit diesen Worten wandte sich Philipp Melanchthon im Dezember 1521 an den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen.

Nun war das eingetreten, was viele berufene und nicht berufene Geister aus ganz unterschiedlichen Richtungen im Namen ders reinen Evangeliums lange befürchteten.

Das Sinnen und Trachtenn der Reformatoren der Kirche drohte in Aufstände gegen die weltliche Obrigkeit aus Adel und Klerus von Gottes Gnaden umzuschlagen. In der Universitätsstadt Wittenberg an der Elbe hatte sich die Lage inzwischen brenzlig zugespitzt.

Der namhafte Theologieprofessor Andreas Karlstadt machte in Wittenberg aus seinem Universitätskatheder, misssionierend, zur Kanzel und predigte lauthals die Beseitigung aller Bilder und Nebenaltäre aus den Kirchen, um die Gotteshäuser von den seiner Eypertise nach, von unchristlichen, gar heidnischen Bräuchen zu befreien.

Heinz Scheible, langjähriger Leiter der Melanchthon-Forschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften meint dazu im Deutschlandfunk:

"Das Nebeneinander alter und neuer Formen in der Stadt wurde von ungeduldigen Bürgern und Studenten als unerträglich empfunden; vereinzelt wurden konservative Priester und Mönche belästigt, Kircheninventar wurde zerschlagen."

Die Wittenberger Gemeinde wusste keinen anderen Ausweg mehr, nachdem sich der Theologieprofessor Philipp Melanchthon außerstande sah, diesem bunt wilden Treiben ein Ende zu bereiten, als den Uni- Progessoren und Wortführer der Reformation, Martin Luther, nach der Verhängung der päpstlichen Bannbulle und der Reichsacht gegen ihn auf dem Reichstag zu Worms 1520, gegen den Willen des Kurfürsten, Friedrich den Weisen aus seinem Exil von der Wartburg in die Stadt zu holen.

Denn Kurfürst, Friedrich der Weise, sah in dem Auftreten des Geächteten in aller Öffentlichkeit ein zu großes Risiko.

Martin Luther gelang es tatsächlich, Anfang März 1521 mit seinem Eintreffen, kraft seiner Autorität in wenigen Tagen die Ruhe und Ordnung in der Wittenberger Gemeinde wieder herzustellen

In seinen legendären Invocavit-Predigten forderte Luther dazu auf, alle inzwischen zwangsweise laut eingeführten Neuerungen rückgängig zu machen.

Sein Professorenkollege Andreas Karlstadt wurde "kollegial" zum Schweigen vergattert.

Zugleich wurde nun immer offenbarer, dass die Reformationsbewegung alles andere, denn ein einheitliches Bild, bot.

Und doch wurde von nun an von der Warte des Heiligen Stuhls zu Rom, aus dem liederlichen Mönchsgezänk üblich kleinkariert frommer Sorte im katholischen Weltkirchenreich eine widersetzlich großkalibrige Reformationsbestrebung, die einen, Unheil heraufbeschwörenden Namen, hatte,

"Bruder Martin Luther".

Bernd Moeller, Professor für Kirchengeschichte an der Evangelischen Fakultät der Universität Göttingen erkärt dazu auf Nachfrage des Deutschlandfunks:

"Die seit Jahrzehnten aufgestaute Unzufriedenheit und Unruhe trat jetzt in ihr akutes Stadium, weil die Neuwertung der bestehenden Ordnung die Meinung nahe legte, nun ließen sich auch die bestehenden sozialen Ungerechtigkeiten durchschlagend widerlegen und beseitigen."

Als Beispiel hierfür gelten die Bauernaufstände der Jahre 1524 und 1525.

Adel und Klerus missachten seit Jahrzehnten in unerträglich anschwellenden Maßen die überlieferten Rechte der Bauern in der Feld-, Wald- und Fischereiwirtschaft.

Darauf begannen die Bauern, durch die Stimmung verbreitende Buchdruckkunst beflügelt, nicht nur örtlich, sondern über fürstliche Landesgrenzen hinweg, ihre vorherig spontanen Auflehnungen, zu geordneten Aufständen gegen weltliche und kirchliche Landesherrlichkeit auszuweiten.

Diese krisenhafte Entwicklung nutzten etliche Landesfürsten, unter Anrufung des Kaiserlichen und Heiligen Stuhls, anders als zuvor, bei bäuerlich örtlichen Auflehnungen gegen den ""Zehnten", weltliche, klerikale Pachtzins, mit Erfolg, die "günstige Gelegenheit" der in ihrem Sinne "gottesfernen" Reformatiosnbestrebungen, mit dem Hinweis auf diese, militärische Gewaltpotentiale gegen die Bauern, Städte reichsweit zusammen zu ziehen.

Bruder Martin Luther war entsetzt, als er davon erfuhr, dass die Bauern jetzt sogar mit der Berufung auf die Bibel protestierten und die Abschaffung der Leibeigenschaft forderten.

Dieses Verhalten, so Luther, sei ein offener Widerspruch gegen das Evangelium. Denn im weltlichen Reich müsse es eine Ungleichheit der Personen geben. Ein Leibeigener könne durchaus im christlichen Sinne, also im geistigen Reich, ein Freier sein, aber nicht in der Welt. Luther forderte deshalb die Fürsten auf, ihrer christlichen Pflicht nachzukommen und gegen die Bauern vorzugehen.

Philipp Melanchthon war wie Luther ein konsequenter Gegner der Vertreter des weltlich politisierten Flügels der Reformation, die mit der Berufung auf die Bibel nicht nur soziale Reformen forderten, sondern die bestehende Gesellschaftsordnung vor Gott und der Welt infrage stellten.

Melanchthon Urteils über diess anc seiner meinung nach aus den Fugen geatenen Entwicklung fiel schroff aus, er machte klar und deutlich, dass es die Aufgabe der Obrigkeit sei, die göttliche Ordnung zu verteidigen:

"Denn die Obrigkeit trägt das Schwert nicht umsonst, sondern sie ist Dienerin Gottes, um an dem Rache und Strafe zu vollziehen, der Böses tut. Doch ist es für die Untertanen auch tröstlich zu wissen, dass Gott Gefallen am Gehorsam gegenüber der Obrigkeit hat, und dass sie, was sie der Obrigkeit Gutes tun, Gott erweisen.Denn Paulus schreibt: 'Jedermann sei der Obrigkeit untertan, die über ihn herrscht.' Deshalb kann nur der Teufel von denen Besitz ergriffen haben, die solche Worte Gottes nicht achten und sich dennoch auf das Evangelium berufen."

Philipp Melanchthon war geradezu von einem panischen Bangen vor Aufruhr und Anarchie getrieben. Sah er doch die göttliche Ordnung in der Gesellschaft in Gefahr, die für ihn alleinig Garant zu sein schien, dass aus seinen Reden, Schriften, Predigten über allgemeine Erziehung und Bildung selbst im gemeinen Volk von Kindesbeinen an, Werke des Erfolges zu Gottes Ehren wurden


"Gott fordert von euch, dass ihr eure Kinder zu Tugend und Religion erzieht. Deshalb sind vor allem in einem gut eingerichteten Staat Schulen nötig, wo die Jugend, die das Saatgut eines Staates ist, erzogen werden soll."

Melanchthons ordnungstheologische Vorstellungen bilden zusammen mit seiner humanistischen Gesinnung die Grundpfeiler für seinen unermüdlichen Einsatz im Namen besserer Bildungsmöglichkeiten.

Hans-Rüdiger Schwab, Humanismusforscher und Professor an der Katholischen Fachhochschule in Münster:

"Durch den Bauernkrieg sah sich Melanchthon in seiner Auffassung bestätigt, dass die Zukunft der reformatorischen Bewegung ohne ein leistungsfähiges öffentliches System schulischer und wissenschaftlicher Ausbildung nicht zu sichern war. In der Umsetzung dieser Aufgabe wurde er zum überragenden Bildungsorganisator seines Jahrhunderts, der schon zu Lebzeiten den Ehrentitel eines 'Praeceptor Germaniae', also 'Lehrer Deutschlands' erhielt."

Neben seinen Bemühungen beim Aufbau evangelischer Kirchenstrukturen war Melanchthon auch ein gefragter Bildungsexperte für die Neuordnung der Universitäten. Außerdem setzte er sich auch für die Gründung von Elementarschulen ein. Hans-Rüdiger Schwab:

"Von frühestem Alter an wollte er die Kinder unter Berücksichtigung ihres Fassungsvermögens zur Religion und zu anderen Tugenden belehrt sehen, damit sie später zur Erhaltung der bürgerlichen Ordnung beitrügen. Für über 50 Städte wurde er zum maßgeblichen Ratgeber bei der Schulgründung. Mit der Vielzahl seiner Lehrbücher und -pläne, nach denen Generationen von Schülern und Studenten lernten, gab er dem entstehenden protestantischen Bildungssystem ein einheitliches Fundament."

Trotz seines großen Engagements im Bereich der Bildung war Melanchthon gleichzeitig auch weiterhin einer der führenden Ansprechpartner für theologische und kirchenorganisatorische Fragen. Hans-Rüdiger Schwab:

"Da der geächtete Luther das schützende Kursachsen nicht verlassen konnte, wurde Melanchthon, gegen seinen Willen, zum wichtigsten theologischen Berater der evangelischen Stände auf den Reichstagen und bei den Religionsgesprächen der folgenden Jahrzehnte."

Die politische Bühne auf der Reichsebene betrat Philipp Melanchthon erstmals auf dem zweiten Reichstag 1529 in Speyer.

Kaiser Karl V. gab seinem Bruder, Erzherzog Ferdinand, der den Reichstag zu Speyer leitete, die Anweisung, mit aller gebotenen Härte gegen Vertreter der Reformation vorzugehen.

Daraufhin wurden nun alle Fürsten und Stände des Reiches aufgefordert, Maßnahmen gegen die neue Lehre zu ergreifen. Wer dieser Anordnung, der die altgläubige Mehrheit auf dem Reichstag zugestimmt hatte, nicht folgte, der sollte mit der Reichsacht belegt, für "vohgelfrei" erklärt werden

Die evangelische Minderheit bestand zu diesem Zeitpunkt aus insgesamt 6 Landesfürsten und 14 oberdeutschen Städten.

Sie alle konnten diesem Reichstagsbeschluss letztlich, entsprechend üblichem Reichs- Rechtsbehelf, nur eine feierliche Protestation entgegensetzen.

Dieser vorgesehene Rechtsbehelf, war ein juristisch ausgefeiltes Instrument, damit auf einem Reichstag, ein Hoher Rat weltlicher und klerikaler Landesfürsten, eine überstimmte Minderheit ihren Widerspruch einlegen konnte.

In dem Widerspriuch, im Stil und Duktus eines Protestschreibens vorgetragen, das den den Anhänger der Reformation von nun an auch den Namen "Protestanten" gab, heißt es unter anderem:

"Zu Ehre Gottes muss ein jeglicher für sich selbst vor Gott stehen und Rechenschaft geben. Mit Gottes Hilfe bleiben wir dabei, dass allein Gottes Wort und das heilige Evangelium rein gepredigt werden und nichts, das da wider ist."

Die Bedeutung dieses Rechtsbehelfs von damals reicht bis in unsere Gegewart hinein und bildet die Grundlage für die, von manchen heute als übergriffig erachtete Rechtsauffasung der Kurie, der Glaubenskongreation der Römisch- Katholischen Kirche im Vatikan, die Evangelischen Gemeinden in der Welt seien im eigentlichen Sinne gar keine Kirche, sondern Protestations Vortragende eines Minderheitsvotums gegenüber einer Mehrheit, dessen Heilung nachwievor in Rede sei.

Papst Benedikt XVI hat diese kirchenrechtliche Haltung zuletzt einmal mehr bei seinem Deutschlandbesuch 2012 im Augustiner Kloster in Thüringen zu Ehren des Bruders Martin Luther deutlich gemacht.

"Man erwarte, bitte schön, keine Gastgeschenke der Art und Weise der Anerkennung der Evangelischen Christengemeinden als Kirche von ihm!"

Was hier auch als Affront gewertet werden kann, erweist sich womöglich im Wege des neuen Pontifikats, Papst Franziskus, als Weg durchs kirchenrechtliche Nadelöhr hin zur irgendwie Vereinigung von beiden christlichen Strömungen seit dem Reichstag zu Speyerim Jahre 1529.

Immerhin wurde dort im erzkatholischen Dom zu Speyer, ohne jede hörbare Beanstandung, die Trauerfeier für die am 5. Juli 2001 nach langer Krankheit durch Selbstentleibung verstorbene Protestantin und Ehefrau des Altkanzlers Helmut Kohl, Hannelore Kohl ausgerichtet

Was mit dem Berliner Mauerfall am 9. November 1989 deutsch- deutsch an Vereinigung gelang. warum soll das nicht auch christlich- christlich gelingen können?

Bruder Martin Luther wäre es mit theologischer Gewissheit recht, stand er doch für Kirchenreformen

"Hier stehe ich und kann icht anders"

und nicht für Kirchenschismen.

Die evangelischen Reichstagsmitglieder bangten 1529, dass der Reichstagsbeschluss gegen sie durchaus auch mit Waffengewalt erzwungen werden konnte. Ihre Rechtslage war äußerst prekär zu nennen.

Gleichwohl wurde ihre Protestation als Zeichen ihrer Geschlossenheit wahrgenommen. Einige unter ihnen mahnten und mahnen bis heute intern zu mehr Achtsamkeit, Respekt gegenüber "Es beibe was des Kaiser ist des Kaisers" und dem Papst, dem Bischof zu Rom. Der Kirchenhistoriker Robert Stupperich:

"Diese Protestation war die erste gemeinsame Tat der evangelischen Stände. Melanchthon hatte an ihrer Abfassung keinen Anteil. Er war tief erschrocken und fragte, ob man dem Kaiser nicht doch nachgeben sollte."

Dieser Schrecken sitzt vielen Protestanten noch heute als Schreckens- Bruder "Nein" neben ihnen bei Gebet und Gesang auf ihrer Kirchenbank.

Wird Papst Franziskus mit seinem Franziskaner Pontifikat die Zeit erfüllen und alle Protestanten, heilend, von ihrem Schrecken befreien, auf dem sie seit den Tagen des Reichstages zu Speyer im Jahre 1529, von Generation zu Generation, bekundet freien Willens

"Eine feste Burg ist unser Gott"

im Geistes Sang & Klang Martin Luthers hocken und, als wäre es das Fegefeuer, wie in einer Hölle schwitzen?

JP

https://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/495-reformationstag-31-oktober-1517

Joachim Petrick
31.10.2012 | 18:44

495 Reformationstag 31.Oktober 1517

Luthers 32.These Die werden, samt ihren Meistern, in die ewige Verdammnis fahren, die da vermeinen, durch Ablassbriefe ihrer Seligkeit gewiss zu sein.«

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/tagfuertag/2304865/
Serie: Philipp Melanchthon - Reformator und Bildungspolitiker, Teil 4

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Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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