Walter Jens verstorben

Nachruf Walter Jens am 8. März 1923 in Hamburg geboren; verstarb gestern am 9. Juni 2013 in Tübingen.Er war Altphilologe, Literaturhistoriker, Schriftsteller, Kritiker, Reporter, Humorist

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Walter Jens war ein deutscher Altphilologe, Literaturhistoriker, Schriftsteller, Kritiker, selbsternannter Fussball- Sportreporter seltenen Gnaden, Humorist und Übersetzer.

Walter Jens war zuerst Ordinarius in Hamburg, dann Ordinarius auf dem ersten bundesdeutschen Lehrstuhl für Rhetorik an der Eberhard Karls Universität Tübingen, Präsident des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland und Präsident der Akademie der Künste zu Berlin.

Im Jahre 1980 hat der Hamburger SPD Senat unter Führung des damaligen Regierenden Bürgermeisters Hans- Ulrich Klose einen absehbar verunglückten Versuch gestartet, Walter Jens, den erklärten Gegner des Atomkanzler Helmut Schmidts mit seinem AKW- Bau- Wahn und NATO- Doppelbeschluss, ohne vorherige öffentliche Ausschreibung durch die Hamburger Universität, auf einen für ihn extra zu gründenden Lehrstuhl für Rhetorik, von Tübingen in seine Heimatstadt Hamburg zurückzuholen.

Nach einem medialen Aufschrei insbesondere von Seiten der Springer Presse gegen die Rückholung Walter Jens nach Hamburg und, angesichts des vordemokratisch fehlerhaften Berufungsverfahrens, zog Walter Jens seine bereits gegebene Zusage zurück und blieb in Tübingen.

Walter Jens, der sich um seiner Menschlichkeit willen gerne selber dementierte, manche meinten selber verriet, der beim Verfassen und öffentlichen Verkünden seiner rhetorisch geschliffenen Worte von der Angst des Tormanns vorm Elfmeter getrieben, auf seinem langen Marsch im fortgeschrittenen Alter in die unbekannte Menschen Landschaft namens "Altersdemenz"

einfach alle Fünfe gerade sein ließ. sich ein Leben lang, begeisternd hier, entgeisternd dort. allerorten zitiert, angefochten, treu blieb, seinen rhetorischen Stachel "sportlich" gegen den politisch- kulturell- wissenschaftlichen Mainstream löckte, seine Meinungen, Haltungen von gestern dabei nicht ausnahm, scheinbar felsenfest verankerte Mutmaßungen über neutestamentarisch vermeintliche Lichtgestalten, wie Petrus, Paulus, Dunkelmänner Judas, Pilatus gegen den Strich gebürstet. sinnstiftend umgedeutet, ist gerstern im Alter von gerade einmal 90 Jahren in dem uns bis heute nur in unscharfen Konturen bekannten Menschen Kontinent "Demenz", von guten Mächten geborgen, entschwunden, manche sagen heimgegangen, ich sage, Walter Jens ist nicht mehr, auch wenn er in unserer Erinnerung fortlebt

Seit einigen Jahren ist der Germanist und Altphilologe Walter Jens verstummt. Einer der prominentesten Vorkämpfer mit dem Professorenkollegen Hans Küng für die aktive Sterbehilfe ist in einer öffenlich diagnostiziert, öffentlich breitgetretenen Altersdemenz befangen, gestern am 9. Juni 2013 verstorben.

Wer darin eine Ironie des Schicksals zu erkennen vermeint, dass Walter Jens seine Berühmtheit vor allem als Professor für Rhetorik erlangt, den Weg des Verstummens ging, vereinnahmt den Großen Sprach- und Sprech Geist Walter Jens, ohne dass ihn das weit trägt, weil er dessen innere Tendenzen, Bestrebungen nicht wirklich zu deuten weiß, noch will, die da lauten, auch mein Verstummen sei rhetorisch unerreicht geschliffen beredt.

Reich-Ranicki nannte den Walter Jens in noch schattenloser Zeit gegenseitiger Freunddschaft voller Achtung und Respekt, sogar den "(ethisch-moralischen) Redner der Bundesrepublik". Zusammen mit Böll, Grass und anderen Großen der deutschen Literatur war Jens bereits ab 1950 Mitglied der Gruppe47

Vielseitig ist Walter Jens publizistisches Schaffen

Neben eindrucksvollen Reden - zuletzt als Präsident der Berliner Akademie der Künste - neuen Übersetzungen von griechischen Dramen und Evangelienberichten verfasste er auch eigene neoklassische Schauspiele und spirituelle Monodramen wie z.B. über Judas, Petrus und Pilatus, den Hauptakteuren im christlichen Heilsgeschehen. Jens' Generalthema: Die Schuldverstrickung des Einzelnen und seine persönliche Verantwortung.

Erhellend an Walter Jens ist in diesem Zusammenhang, dass er sich nach dem Zweiten Weltkkrieg, wie nur wenige, darunter Günter Grass, Martin Walser, Stephan Hermlin, Günter Gaus u. a. den impertinenten Lockrufen zu Veteranengesängen aller politischen Farben verweigerte.

Was ihm u. a. Jahrzehnte später nach dem Berliner Mauerfall am 09. November 1989, dem Ende des Kalten Krieges wohlfeil als jahrzehntelang absichtsvolle Verdunklungsabsicht, ja unhaltbare Legendenbildung eigener Lebensjahre in der NS- Zeit, von interessierter Seite angekreidet wurde und wird.

Walter Jens Frau Inge und sein Sohn Tilman, zunächst auch von den anschwellend schrillen Mediengetöse nach der Jahrtausendwende gegen den Gatten, Vater irritiert, aufgestört , gar vorrübergehend aufgebracht gegen diesen, bemühen sich inzwischen, publizistisch tätig, um sachliche Aufklärung im so genannten Fall "Walter Jens"..

Bei der ganzen Debatte ab dem Jahr 2003 um Walter Jens NSDAP- Mitgliedschaft wurde und wird gerne vergessen, dass damals Mitgiedschaften in Parteien, Vereinen erst ab dem mündigen Alter von 21 Jahren rechtswirksam gültig waren.
Vor dem 21. Lebensjahr trotzdem zustande gekommene Mitgliedschaft waren und sind, rechtlich betrachtet, unwirksam, null und nichtig.

Dabei ging es im Jahre 2003 nach Nine Eleven wohl um ein Nachkarten ganz anderer Zusammenhänge, die , angesichts des Zweiten Irak- Abenteuers einer George Bush Clan US- Administration 2003, unter der öffentlichen Decke gehalten werden sollten, nämlich, dass Walter und Inge Jens während des Ersten Irak- Abenteuers der George Bush Clan US- Administration 1991 etlichen Deserteuren der US- Army in Deutschland Zuflucht gewährten und darum, vermeintlich von deutschen Amtswegen den Anfängen von politisch neu aufkeimenden Pazifismus wehrend, beide, gemeinschaftlich, durch ein deutsches Gericht, mit einem Urteil und Strafmaß auf Bewährung zu belegen.

In den 70er Jahren schrieb Walter Jens den fiktiven Prozessbericht "Der Fall Judas". Ein Pater unserer Gegenwart setzt sich darin für die Schuldbefreiung des "Verräters aller Verräter" ein. Jens' These: Durch Judas wird der Heilsplan erst in Gang gebracht. "Ohne Überlieferer gibt es auch keine Überlieferung, dass wir erlöst sind" und "zwei Männer hingen damals am Kreuz", sagt selbstbewusst der Mann aus Ischariot. Einige Jahre später formte Jens aus seiner novellistischen Vorlage das gleichnamige Monodram, das er auch selbst oft als Lesung darbot.

Walter Jens hat mit "Der Fall Judas", zumindest in der protestantischen Kirche, für Diskussionen gesorgt. Auch wenn er nicht der erste war, der solche spektakulären Ideen aufbrachte - etwa dreißig Jahre vorher stellte J. L. Borges in seinen "Drei Fassungen des Judas" die Schuld des Betroffenen in Frage - aber Walter Jens hat die Erörterung neu angestoßen. Heute pfeifen es die Spatzen von den Philosophen- , Kirchen- Dächern, dass der Kreuzestod Jesu und das Heilsgeschehen insgesamt nicht mehr schwarz-weiß gesehen werden können.

In

"Der Fall Pilatus",

einem Dialog zwischen dem römischen Prokurator und einem Richter, nimmt sich Jens recht spektakulär eines weiteren, der sogenannten drei Bösewichter in der Heilsgeschichte an. Ähnlich wie in "Der Fall Judas" bekennt der Präfekt, dass sein Handeln - oder auch Nichthandeln - die Tragödie sicherlich beförderte. Aber sein Fazit am Ende des Stückes schränkt ein: "Es gab, unter dem finsteren Himmel erdacht, einen Heilsplan, in dem mir die Rolle des Mörders zukommt".

"Gelitten unter Pontius Pilatus":

in ihrem Glaubensbekenntnis beschwören die Christen seine Mitschuld, oder zumindest eine gehörige Portion Mitverantwortung. Und in vielen Oster-Predigten wird ihm neben Judas wohl noch oft die Hauptschuld an Jesus Kreuzestod zugesprochen. Jedoch, man höre und staune, sogar seine jüngst zurückgetretene "Heiligkeit" Papst Benedikt XVI - in komplex ökumenischen Glaubensfragen nicht gerade als Vorläufer und Wegweiser bekannt - räumte im Fall des umstrittenen Jüngers auf Nachfrage ein:

"Der Verrat des Judas bleibt auf jeden Fall ein Geheimnis".

Fragen nach Schuld, Verantwortung, Recht und Wahrheit sind mehr als kompliziert. Pilatus will es vom Nazarener an jenem Freitag genau wissen: "Was ist Wahrheit"? Jesus, sonst um kluge Bemerkungen nicht verlegen, antwortet darauf – wohlweislich!? - nichts. Bei anderer Gelegenheit äußert er aber zu dieser Thematik den tiefgründigsten Gedanken: "

Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein".

In Walter Jens

"Der Fall Judas"

fordert der heutzeitge Pater nicht nur die vollkommene Rehabilitierung, sondern sogar die Seligsprechung seines Mandanten. Wäre da nicht für den römischen Statthalter eine ähnliche himmlische Karriere zu rechtfertigen? Immerhin verkündet der Richter am Ende des Prozesses gegen den angeklagten Prokurator: "Noch ist der Fall Pilatus nicht zu den Akten gelegt".

Wer möchte da Walter Jens zugeneigt, diesem nicht nachrufen:

"Walter Jens!, bleibe uns irgendwie, wie es Dir auf dem Totenacker gefällt, verbunden, Dein Fall ist in unseren Herzen noch lange nicht zu den Akten gelegt".

JP

http://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/alzheimer-oder-die-medizinalisierung-des-alterns

Joachim Petrick
09.02.2012 | 18:19 10
Alzheimer, oder die Medizinalisierung des Alterns?

http://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/stern-enttarnt-geheime-ns-generationshorde-der-jahrgange-1922-29


Joachim Petrick
10.06.2011 | 02:57 25
Stern enttarnt geheime "NS-Generationshorde" der Jahrgänge 1922-29


http://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/judas-der-erste-whistleblower

Joachim Petrick
29.03.2013 | 18:04 16
Judas, der erste Whistleblower?

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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