Hier geht es nicht um Frauen

Rezension Wie hängen teils unsichtbare Organisationen in Polen und anderen Ländern mit dem Abbau der Frauen- und Minderheitenrechte zusammen? Klementyna Suchanow hat es untersucht

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Eingebetteter Medieninhalt

Klementyna Suchanow by Mariusz Kubik is licensed under CC BY 4.0

Mit der Präsentation des Gesetzesentwurfs „Stoppt die Abtreibung“ im Herbst 2016, der sowohl Schwangerschaftsabbrüche, als auch natürliche Fehlgeburten unter Freiheitsstrafe stellen wollte, beginnt das Leben der polnischen Buchautorin Klementyna Suchanow, sich diametral zu ändern. Sie ist nicht bereit, Einschnitte in ihre Rechte und die Durchdringung des polnischen Staates mit rechtsradikalen und religiös-fundamentalistischen Kräften tatenlos hinzunehmen und wird in den Folgejahren zu einer der wichtigsten Figuren einer neuen zivilgesellschaftlichen Protestbewegung in Polen. Strafmandate für Straßenblockaden und politische Graffiti, von Polizei zu Boden geworfen werden, Handschellen, Stunden in Polizeiautos, Verhöre für politischen Aktivismus, mehrere Gerichtsverfahren am Hals, Operation an der Wirbelsäule als Folge einer Polizei-Intervention, ein Hausbesuch von der Agentur für innere Sicherheit, uvm. gehören von nun an zum Alltag der promovierten Literaturwissenschaftlerin. Aus einer Frau, Schriftstellerin, Mutter, Tochter, Bürgerin wird eine „Kriminelle“, weil sie etwas verteidigt, das sie als zivilisatorischen Grundkonsens betrachtet.

„Manchmal wird dir bewusst, was du hast, erst wenn es droht, dir genommen zu werden. Bisher habe ich nicht viel über Feminismus nachgedacht. Als ich aber vor die Wahl gestellt wurde: meine Rechte verteidigen oder zurück ins Mittelalter katapultiert werden, war die Sache klar. Wie viele von uns, hatte ich keine Wahl, ich musste Feministin werden“, schreibt Suchanow in ihrem neuen Buch „To jest wojna: Kobiety, fundamentalisci i nowe sredniowiecze“ (Das ist Krieg: Frauen, Fundamentalisten und das neue Mittelalter), erschienen im polnischen Agora Verlag. Eine Übersetzung ins Deutsche ist derzeit noch nicht in Sicht.

Damals im Jahr 2016 beteiligte sich Suchanow an der Organisation eines landesweiten Frauenstreiks, dem sog. „schwarzen Protest“, der die Regierenden mit einer fulminanten Teilnahme überraschte. Am 3. Oktober 2016 füllten sich, trotz strömenden Regens, die Straßen in 147 Städten in ganz Polen, mit schwarz gekleideten, verärgerten Frauen. Der Gesetzesentwurf wurde in Folge abgelehnt, die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes war damit immer noch nicht vom Tisch (dazu später mehr).

Kreml als Verteidiger der christlichen Werte

Klementyna Suchanow beleuchtet in ihrem Buch, mit einer Mischung aus akribisch dokumentierter investigativer Recherche und feministischer Chronik der Schlüsselereignisse, das Phänomen der globalen Wirkungsmacht von christlich-fundamentalistischen Organisationen und die dahinterstehenden Netzwerke. Die offene Gesellschaft, die liberale Demokratie mit ihren Rechten für Minderheiten und Andersdenkende, insbesondere aber die Rechte der Frauen sind diesen Organisationen ein Dorn im Auge. Sie wollen ihnen das Recht nehmen, selbst über die eigene Intimität, den eigenen Körper und die Art zu leben, zu entscheiden. Sei es mit Verschärfung von Abtreibungsverboten, gesteuerten Kampagnen gegen sexuelle Minderheiten oder Verharmlosung der Gewalt in der Familie. Sie haben viel Geld, Anwälte und einflussreiche Lobbyarbeiter. Suchanow untersucht die Entstehung, Profil und Methoden der einzelnen Gruppen und legt dabei den Fokus auf ihre Querverbindungen. Dabei fällt eine Steuerungsinstanz besonders oft auf: es ist der Kreml.

In den Jahren 2012/13 vollzog Putin eine bemerkenswerte Wende. Der bis dahin als Atheist bekannte Führer mutierte zum Verteidiger der christlichen Werte und spielte sie gegen die aus seiner Sicht dekadenten, westlichen Demokratien aus. Zu dieser Zeit beginnt Putin, vom Westen als „Satan“ oder „Gayropa“ zu sprechen. Er hält Verbindungen zu rechtsextremen, faschistischen Bewegungen. Laut Suchanow dringen nicht zufällig kurz darauf die russischen Militärs in die, sich nach Westen hin orientierende, Ukraine ein. Auch nicht zufällig werden die Feministinnen der russischen Punkband Pussy Riot wegen Verletzung religiöser Gefühle ins Straflager geschickt. Der Kreml als Drahtzieher in einem rechtsextremen, christlich-fundamentalistischen globalen Netzwerk? Was nach einer kruden Verschwörungstheorie klingen mag, wird durch Klementyna Suchanows investigative Recherche und ihre erdrückende Beweisführung sehr greifbar. Sie nimmt das Wirken der einzelnen Protagonisten des Netzwerks genau unter die Lupe. Bei ihrer Analyse der christlich-fundamentalistischen Bewegungen zeichnet sie einen weiten Bogen, bei Spanien beginnend über Polen und Russland, bis hin nach Süd- und Nordamerika und spürt dabei jene für die Öffentlichkeit verborgenen Verbindungen auf, die zwischen den einzelnen Netzwerken liegen.

Globales Netzwerk der Macht

In Süd- und Nordamerika gibt es weitverzweigte Netzwerke, die mit dem Wirken der mexikanischen Sekte El Yunque, der elitären Nicht-Organisation „The Family“ (siehe gleichnamige Dokuserie von Jesse Moss, Netflix), oder dem World Congress of Families in Zusammenhang stehen. Im Jahr 2018 wurde erstmals die Existenz und die innere Funktionsweise eines paneuropäischen, christlich-extremistischen Netzwerks namens Agenda Europe enthüllt. Einmal pro Jahr treffen sich dabei europäische und amerikanische Lobbyisten in einem für die Öffentlichkeit nicht zugänglichem Kreis, um rechtliche Änderungen in Bezug auf Rechte der Frauen, der Familien und der sexuellen Minderheiten zu planen. Dabei dient ihnen das Manifest zur „Wiederherstellung der natürlichen Ordnung“ als Vorlage, um Fortschritte bei der Gleichstellung der Ehe oder dem Wahlrecht der Frauen zurückzudrehen, wie auch um den Zugang zu assistierter Fortpflanzung, zu umfassendem Sexualkundeunterricht, zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt, zu Verhütung und sogar Scheidung zu beschränken. Man vermutet, das Netzwerk finanziert sich durch Finanzspritzen von gleichgesinnten Oligarchen, Milliardären, Adeligen, korrupten Politikern und Klimawandelleugnern. Wie Suchanow in ihrem Buch darlegt, wird an der „Wiederherstellung der natürlichen Ordnung“ aktuell in vielen Ländern in ganz Europa gearbeitet.

Polen: Ende der legalen Abtreibung durch die Hintertür?

Einer der Schlüsselakteure der Agenda Europe ist die ultrakonservative, polnische Juristen-Vereinigung Ordo Iuris. Die Wurzeln dieser Vereinigung führen zu dem aus Brasilien stammenden TFP, einem Dachverband, mit 25 Schwester-Organisationen in Australien, Nord- und Südamerika und Europa (darunter auch in Deutschland und Österreich). Politiksoziologin und Rechtsextremismusforscherin Karin Priester stuft diese Organisation als eine rechtsextreme Sekte ein. TFP kämpft u.a. gegen die „Diktatur der Gleichheit“ oder die „Diktatur der Toleranz“ und versucht die Eckpfeiler einer „echten Zivilisation“ – Tradition, Familie und Privateigentum – wieder aufzurichten. Dabei werden explizit frauenfeindliche und homophobe Positionen vertreten. Solche extremen Positionen, die bis vor kurzem noch im politischen Mainstream undenkbar waren, wurden in Polen ins Zentrum der politischen Agenda gerückt. Ordo Iuris, hervorragend mit den rechtspopulistischen PiS-Machthabern vernetzt, steht plötzlich ganz nah an den Schalthebeln der Macht und ist wiederholt in die Ausarbeitung diverser Gesetzesvorlagen involviert. So verdanken die Polinnen den radikalen Gesetzesentwurf „Stoppt die Abtreibung“ aus 2016 genau dieser Organisation. Man könnte meinen, eine Protestaktion die Hundert Tausende Menschen im ganzen Land auf die Straße treibt, sei ein klares politisches Signal. Doch leider nein. „Was in den letzten vier Jahren ganz unten bei den Bürger*innen stattgefunden hat, findet absolut keine Resonanz in der politischen Sphäre. Die Regierenden spotten über uns Bürger*innen“, sagt Suchanow.

Auf Antrag einer Gruppe von PiS-Abgeordneten im Herbst 2019, wird am 22. Oktober 2020, am bereits politisch eingefärbten Verfassungsgericht, über die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs aus embryopathologischen Gründen, entschieden. Erneut müssen die Frauen für ihre Rechte kämpfen. Wenn der Antrag vom Verfassungsgericht – wie erwartet – angenommen wird, ist die Abtreibung dann nur in Fällen legal, in denen das Leben oder die Gesundheit der Frau gefährdet ist, und im Falle einer Vergewaltigung. Im Jahr 2019 waren in Polen fast 98% aller Abtreibungen auf fetale Defekte zurückzuführen. Die Annahme dieses Antrags würde also de facto das Ende der legalen Abtreibung in Polen bedeuten.

Kulturelle Identitäten als geopolitisches Instrument

Suchanow und andere Aktivisti*innen haben kürzlich ein neues Quartier der Protestbewegung „Strajk Kobiet“ im Zentrum von Warschau gegründet und bezogen. Von dort aus, werden weitere, landesweite Protestaktionen geplant und koordiniert. Es macht Mut zu sehen, welche unglaubliche Auflehnung der Frauen es in Polen gibt. Ihre Geschichte ist auch Teil des Buches von Klementyna Suchanow, das sich an Frauen und Minderheiten auf der ganzen Welt richtet, die sich gegen Fundamentalisten erheben. „Die sog. Fragen der Weltanschauung wurden zu einem Instrument der Geopolitik, das in vielen Teilen der Welt angewendet wird. Es ist kein echter Krieg der Kulturen, es ist ein künstlich erzeugter. So wie man Pogrome erzeugen kann, wenn man gewisse Mechanismen freisetzt. Es gibt immer Leute die darauf eingehen, die aggressiv gegen eine Minderheit oder eine soziale Gruppe auftreten“, sagt Suchanow. „Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass ich so ein Buch mal schreiben muss, weil ich mich bisher mit Literatur und angenehmen Dingen beschäftigt hab. Dieses Buch ist nicht angenehm, es handelt von christlichen Fundamentalisten, die die heutige Welt formen, in einer kranken aber leider organisierten, strategisch durchdachten Art".

Edit: Das mit PiS nahen Richtern besetzte Verfassungsgericht, hat am 22.10.2020 erwartungsgemäß entschieden, dass die Abtreibung in Fällen von schwersten Fehlbildungen nicht mit der polnischen Verfassung konform ist. Das macht die Abtreibung in Polen defacto illegal und verschiebt diese in den Untergrund. Seit dem Verkünden des Urteils kommt es zu einer großen Protestwelle sowohl im Internet als auch auf den Straßen im ganzen Land. Eines der vielen Slogans des Protestes lautet wie der Titel von Suchanows Buch #tojestwojna.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden