Der Weg zur kulturellen Gleichschaltung

Polen Seit der Machtübernahme durch die PiS im Jahr 2015, wurde ein Kampf um die kulturelle Identität der Polen entfacht. Was steckt dahinter?

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Parteivorsitzender und PiS-Mastermind Jaroslaw Kaczynski koordiniert den Ausbau der Macht
Parteivorsitzender und PiS-Mastermind Jaroslaw Kaczynski koordiniert den Ausbau der Macht

Foto: Carsten Koall/Getty Images

Wie gewonnen, so zerronnen waren die Hoffnungen von rund 10 Millionen polnischen WählerInnen, als einen Tag nach der Präsidentenwahl im Juli 2020 das offizielle Wahlergebnis verkündet wurde. Der Wahlsieg von Andrzej Duda war knapp, es fehlten rund 2 Prozentpunkte oder ganz genau 422.386 Stimmen um der Machtexpansion der regierenden Prawo i Sprawiedliwosc (PiS) zumindest auf der Ebene des Präsidentenamtes einen Riegel vorzuschieben. Viele dieser 10 Millionen WählerInnen stimmten für eine Teilung der Macht, ein Grundprinzip der demokratischen Staatsordnung. Nun bleibt das Amt, trotz aller Streitigkeiten um die Fairness des Wahlkampfs, in der Hand der PiS, denn Andrzej Duda bleibt der Parteilinie konform, wie er zuverlässig während der letzten Amtszeit bewiesen hat.

Ausbau der Macht. Parteivorsitzender und PiS-Mastermind Jaroslaw Kaczynski, zieht die Fäden wie immer geschickt im Hintergrund. Bereits kurz nach der Wahl wurden weitere Schritte der Regierung für ihren Machtausbau angekündigt: neben der Fortführung der umstrittenen Justizreform, die bereits dazu führte, dass die polnische Justiz innerhalb der EU nicht mehr als unabhängig eingestuft wird, wurde nun auch eine „Medienreform“ angekündigt, die u.a. ausländisches Kapital in Medienunternehmen in Polen einschränken will. Unter dem Deckmantel der „nationalen Interessen“ sollen damit oppositionelle Medien geschwächt und in Schranken gewiesen werden. Zerschlagung der Selbstverwaltung der oppositionell geführten Städte sowie die Gleichschaltung der Schulen und Universitäten sollen folgen. Auch ein Angriff auf die Zivilgesellschaft, deren Widerstand in den Aktivitäten zahlreicher NGOs zum Ausdruck kommt, ist bereits in Planung. Wir alle sind Zeugen vom Umbau des Staates zu einer Art Partei, die zwar demokratische Wahlen zulässt, aber dabei ist, Medien-Pluralismus und Rechtsstaat abzuschaffen. „Präsident der PiS Jaroslaw Kaczynski ist bestimmt nicht so naiv zu glauben, dass es gelingt alle von seiner Vision zu überzeugen. Beherrschung aller Bereiche des öffentlichen Lebens hinsichtlich der Formung des kollektiven Bewusstseinszustand, zielt darauf ab, die Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz für die geplanten Änderungen, die Vorherrschaft einer Partei und ihrer Bürokratie zu verschieben. Gesellschaftliche Akzeptanz und Konformismus, sollen die Folge sein und bei der Formung regierungshöriger Eliten helfen“, bringt der polnische Kulturhistoriker Tadeusz Koczanowicz die Entwicklung auf den Punkt.

Kaczynskis Erzählung. Um die Legitimität der Kontrolle auf allen Ebenen des Staates zu erklären, wurde der Mythos des „polnisch-polnischen Krieges“ kreiert. Kaczynski erklärt dies auf einem Symposium in Torun 2016 so: „Was ist der polnisch-polnische Krieg? Das ist der Kampf gegen Postkommunismus oder Aufhebung von allem, was der Postkommunismus bildet.“ Der Politiker ist der Meinung, dass vor der Machtübernahme durch die PiS im Jahr 2015, zwei politische Lager das Sagen in Polen hatten: die ehemaligen Kommunisten, die in den neuen Machtstrukturen ihren Platz gefunden hatten und das Lager der Dissidenten, also Oppositionelle die jedoch in der Vergangenheit in irgendeiner Form mit der kommunistischen Führung zusammen gearbeitet haben. Das Zentrum dieser Macht ist laut Kaczynski die oppositionelle Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“, welche Liberalismus propagiert und gegen Traditionalismus, Katholizismus und in den Augen des Politikers auch gegen die polnische Nation agiert, indem sie eine „Pädagogik der Schande“ anwendet und den polnischen Nationalstolz wie auch den Patriotismus auf der Ebene der Medien, der Bildung und der Geschichtswissenschaft, zerstört. Auch der größte politische Gegner, die liberale „Platforma Obywatelska“ heute „Koalicja Obywaltelska“, die politische Heimat von Donald Tusk und Rafal Trzaskowski, gehört laut PiS-Vorsitzendem diesem Lager an. Diese Erkläungsformel hat nicht viel mit der politischen Realität zu tun und ist eine Mischung aus Verschwörungstheorien und Visionen die auf die letzten 30 Jahre der polnischen Geschichte so zurechtgeschneidert wurden, dass die Erzählung für viele plausibel erscheint. Was aber noch viel wichtiger ist, sie ermöglicht jeglichen Widerstand gegen die PiS in den Augen ihrer Anhänger, als einen „postkommunistischen“ Angriff bzw. Angriff auf die polnische Nation, darzustellen. Laut dieser Erklärung ist die Übernahme der Macht auf allen Ebenen durch die PiS der einzige, legitime Weg, die polnische Staatsräson zu bewahren und zu überwachen.

Verlockende Falle. Diese Erzählung ist darauf ausgelegt, eine Glaubensfrage zu sein, wie alle Verschwörungstheorien. In einem Land, wo der katholische Glaube ein sehr wichtiger Teil der nationalen und kulturellen Identität ist, fällt diese Glaubensfrage auf einen fruchtbaren Boden. Nicht zuletzt dadurch, weil sich viele (tendenziell ältere) WählerInnen von der PiS in ihrer Identität bestätigt und geschützt fühlen. Auch der Konformismus scheint aufgrund von Jahrzehnten der kommunistischen Herrschaft, ein vertrauter Bewusstseinszustand zu sein. In einer sich rasant verändernden Welt, einem bisher nicht dagewesenen Aufeinanderprallen der Kulturen und Komplexität, eine willkommene, für manche Menschen lebensnotwendige Vereinfachung. Ein verlockender Ruf in die ideelle Heimat. Der polnische Historiker Karol Modzelewski sagt: „Jaroslaw Kaczynski (…) hat offenbar erkannt, dass es Wert sei im Sinne seiner Partei, auf die altbewährten Methoden aus den vergangenen Zeiten der Volksrepublik Polen zurückzugreifen. Festigung der Macht ist das einzige Ziel von Kaczynski und Duda, der nur Befehle ausführt. Sogar das erwähnte „polnische Bewusstsein“ ist insofern polnisch, als dass die einzige Partei, die es überwacht, die PiS sei“.

Das dabei entstandene Paradoxon, dass eine Partei, die sich den Kampf gegen postkommunistische Strukturen auf die Fahnen heftet, gleichzeitig versucht ähnliche Machtstrukturen für sich selbst zu erschaffen, ist angesichts des Glaubens der WählerInnen an die „einzig wahre politische Option“, vorerst noch zweitrangig. Neben dem manipulativen Einsatz von nationaler Identität bildet die Darstellung der Armut durch die PiS, nämlich als Folge der postkommunistischen Machtstrukturen und nicht als Folge der wirtschaftlichen Transformation, die auf struktureller Ebene bekämpft werden sollte, ein entscheidendes Puzzlestück dieses Narrativs.

Kultureller Bruch: Modzelewski erkannte bereits im Jahr 2006, dass die Teilung der Gesellschaft in PiS Befürworter und PiS Gegner, etwas Wesentlicheres verrät, als gewöhnliche politische Differenzen. Sie zeigt den kulturellen Bruch innerhalb der Gesellschaft. Die besser gestellte Bildungsschicht mit positiven Zukunftsperspektiven auf der einen Seite und die breite Masse der ökonomisch und bildungspolitisch unterprivilegierten Schichten, die während der neoliberalen Modernisierung des Landes von Bord geworfen und der Zukunftsperspektiven beraubt wurde. Zu dieser Masse des Volkes, dringen keine Argumente, Urteile und Informationen der Gegenseite durch, wie auch umgekehrt. Hier besteht eine dichte Kommunikationsbarriere. Die Bevölkerung ist in zwei Teile zerbrochen, die einander völlig fremd sind. Laut einer Umfrage stimmten bei der letzten Nationalratswahl die links-liberalen Wähler mehrheitlich für eine proeuropäische Vision von Polen während die Wähler der PiS häufiger für ein bestimmtes Wirtschaftsprogramm und eigene Wählerinteressen stimmten.

Wie kam es zu einer so gefährlichen Zerstörung des sozialen Gefüges? Modzelewski erklärt das mit der jüngsten Geschichte des Landes. Die Polen haben die „Solidarność“ Bewegung erlebt. Das war eine Massenbewegung, die auf egalitären und gemeinschaftlichen Werten basierte und diese praktizierte. Sie basierte auf einem Mythos, der letztendlich zu einer friedlichen Transformation 1989 führte. Dieser Mythos wurde durch die neoliberale Wirtschaftspolitik nach der Wende verraten, da diese dem Egalitarismus, wie auch der Solidarität grob widersprach und zu einer dramatischen Verschlechterung der Lebensbedingungen von Industriearbeitern führte. Das konnte der Mythos nicht unversehrt überstehen. „Jene die 1989 über ihren Sieg jubelten, fingen bald an zu fragen: „Wie geht das? Wir haben gewonnen, aber ich und alle meine Kollegen haben verloren“. All jene, die mit der neoliberalen Neuordnung der Wirtschaft verloren und per Wahlzettel versuchten die Bedingungen ihres Lebens zu bessern, wurden von den nachkommenden politischen Formationen immer wieder enttäuscht, die ohne zu Zögern in die Stapfen ihrer politischen Vorgänger schritten. In einer solchen Situation wächst die gefährliche Überzeugung, dass Demokratie nur eine Fassade ist, hinter welcher dubiose Geschäfte, fremder Einfluss, Diebstahl und Betrug regieren“, so Modzelewski. Genau hier setzt auch die PiS ihren Machtausbau an.

Kulturkampf löst Klassenkampf ab. Die öffentliche Debatte im heutigen Polen wird nicht mehr vom wirtschaftlichen Konflikt bestimmt, der die Menschen entlang ihrer sozialen Zugehörigkeit und ihrer gemeinsamen Interessen einigte. Der ökonomische Konflikt wurde auf den kulturellen Boden übertragen. Heute manifestiert sich die gesellschaftliche Trennlinie nicht mehr anhand der Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, sondern über die Frage der Weltanschauung, die aus der individuellen Erfahrung und Identität gespeist wird. Heute verläuft die gesellschaftliche Grenze entlang der Einstellung zu sexuellen Minderheiten, zu Flüchtlingen und MigrantInnen oder entlang des Umgangs mit Geschichte und Nationalismus. Die großteils konservative polnische Bevölkerung wird hier zum Instrument der Macht durch Emotionalisierung der Identitätsfrage. Nicht nur seitens der öffentlichen, zur Regierungs-PR umgebauten Medien, auch von privaten rechtskonservativen Medien und nicht zu vergessen, von Seiten der medial stark in Machtstrukturen eingebundenen Kirche.

Kulturelle Hegemonie. Laut letzten Umfragen des Meinungsforschungsinstitutes CBOS unterstützen 89 % der Polen die Mitgliedschaft in der EU und mehr als die Hälfte ist der Ansicht, dass die EU die Souveränität Polens nicht einschränkt: Auch mehr als die Hälfte der Polen meint PiS sollte die Empfehlungen und Entscheidungen der EU-Institutionen zur Reform der Justiz berücksichtigen. „Nach 5 Jahren PiS Propaganda ist ihre Vision von Europa als Feind, der versucht, Polen eine ausländische Ordnung aufzuzwingen, bei den WählerInnen (noch?) nicht beliebt. Die Menschen in Polen stimmten - ähnlich wie zuvor in Russland - für Stabilität und Verbesserung des Lebensstandards und nicht dafür, den Grundstein für einen Staat der PiS-Bürokraten zu legen, die der gesamten Gesellschaft Einstimmigkeit aufzwingen will“, sagt Koczanowicz. In der politischen Arbeit der PiS-Regierung der letzten Jahre, die viel Geld und Mühe in den Aufbau sozialer Hilfsprogramme, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Finanzspritzen an gefällige Medien sowie Umstrukturierung des Schul- und Gerichtswesens investiert hat, sieht Koczanowicz nur einen Grund: die Vorbereitung einer Kulturwende. Jene Menschen, die von dem Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik profitiert haben, sollen die Verbesserung ihres Lebens mit dem Polentum-Verständnis der PiS gleichsetzen. Der PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski sagte bei einem Treffen mit Viktor Orban im Jahr 2016, bei dem die Strategie der beiden Parteiführer gegenüber der EU auf der Agenda stand: „Die Einzige Alternative sind Veränderungen. Diese Veränderungen müssen in ihrem Wesen eine kulturelle Gegenrevolution sein“. Nicht zufällig findet aktuell in Polen ein Kreuzzug gegen die vermeintliche „Gender-Ideologie“ statt, was in erster Linie die Menschen der LGBT+ Gemeinde schmerzhaft trifft. Ähnlich wie noch kürzlich MigrantInnen und Geflüchtete als „Bedrohung der polnischen Nation“ identifiziert wurden, „bedrohe“ nun die „LGBT Ideologie“ die traditionellen, polnischen (Familien-)Werte und Identität. Nicht von ungefähr wird gerade das Ablehnen der Istanbul Convention zum Schutz der Frauen vor Gewalt breit im rechten Medienspektrum thematisiert. Justizminister Zbigniew Ziobro begründet das Ablehnen der darin enthaltenen Geschlechterdefinition wie folgt: „Diese (Gender-) Ideologie reduziert die Rolle des Geschlechts nicht auf das biologische Geschlecht, sondern negiert die seit langem bekannte Klassifikation zwischen Männern und Frauen. Sie reduziert das Geschlecht auf das kulturelle Geschlecht. Es ist eine Ideologie, die Familie, Ehe, Kultur und Religion in Frage stellt und diese Institutionen als Hauptursache für Gewalt und Pathologie betrachtet.“ Dieses Agendasetting der Regierung führt dazu, dass die Regenbogensymbole der LGBT Bewegung bereits als Beleidigung oder Provokation definiert werden und von öffentlichen Plätzen, wie beim letzten Gedenkmarsch des Warschauer Aufstands Anfang August durch die Polizei entfernt werden.

Auf diese Weise werden nicht nur Menschenrechts- sondern auch zahlreiche System- und Strukturfragen zum Identitätskampf reduziert. In der öffentlichen Debatte findet sich weder Platz für sachlichen, objektiven Diskurs noch Platz für eine ernsthafte Diskussion zu traditionell linken Themen wie Arbeitsrecht, Umweltschutz, Gesundheitswesen oder Wohnpolitik. Der Kulturhistoriker Koczanowicz warnt: „In Russland war der Aufbau eines autoritär-oligarchischen Systems auf der Grundlage der Verbesserung des Lebensstandards erfolgreich. In Polen zielt alles darauf ab, ein ähnliches Modell aufzubauen unter der Berücksichtigung aller Unterschiede in der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Situation beider Länder“. Doch es besteht auch noch Hoffnung, dass es der Opposition gelingt, die Idee der pro-europäischen, offenen Gesellschaft mit einer Idee der strukturellen Verbesserung des Lebensstandards in Polen zu verbinden und jene Millionen von Wählern abzuholen, die bei der letzten Wahl gegen die Hegemonie der PiS stimmten. Trotz der ungleich großen Dominanz des öffentlichen Lebens durch die PiS, zeichnet sich in den Städten eine relativ große bürgerliche Basisaktivität ab, die nicht bereit ist die Räume des öffentlichen Lebens kampflos der PiS zu überlassen. Die Kaczynski Partei hält trotz fünf Jahre Regierungsarbeit und Kontrolle nahezu aller staatlicher Institutionen weiterhin den absurden Grundtenor aufrecht, ein Systemkämpfer zu sein. Bei einer aufmerksamen Opposition, sollte diese Erzähllinie zumindest schwieriger werden. Fraglich ist auch, ob der Mehrheit der (jungen) Polen die kulturelle Gleichschaltung auf Dauer schmecken wird.

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