Ungleicher Wahlkampf

Präsidentenwahl in Polen Besonders schwierig ist ein politisches Kräftemessen dann, wenn die demokratischen Spielregeln unterwandert werden.

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In Polen wird heute der nächste Präsident gewählt. Den Umfragen nach wird sich die Wahl wohl zwischen zwei Kandidaten entscheiden: dem amtierenden, PiS nahen, Präsidenten Andrzej Duda, der den Umfragen nach knapp führt und dem erst kürzlich angetretenen, liberalen Gegenkandidaten und Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski.

Die Menschen in Polen sind seit Regierungsantritt der PiS stark gespalten. Erstmals seit 2015 haben Gegner der rechtspopulistischen PiS-Politik aufgrund der Stichwahl die Chance auf eine Kurs-Korrektur. Befürworter des von Jaroslaw Kaczynski im Hintergrund gesteuerten PiS-Kabinetts, dessen verlängerter Arm Andrzej Duda, so gut wie alle Gesetzesentwürfe seiner ehemaligen Parteikollegen unterschreibt, möchten die Abwahl des amtierenden Präsidenten um jeden Preis verhindern. Angesichts Dudas Machtposition in den (öffentlichen) Regierungs-Medien war es ein ungleicher Kampf, dennoch scheint es eine große Mobilisierung für einige seiner Gegenkandidaten zu geben.

Fehlende Fairness

Der Staatssender TVP, bereits berühmt-berüchtigt für seine Propaganada-Gustostückerl, setzte mit der Ausstrahlung eines TV-Beitrags, während der Hauptabend-Ausgabe der Nachrichten, neue Maßstäbe. Ein fünf minütiger Lobgesang mit kitschig-pathetischer Musikuntermalung auf einen einzigen von 11 zur Wahl stehenden Kandidaten: die Rede ist natürlich von Andrzej Duda. Während im Netz gescherzt wird, dass sogar Nordkorea die Polen um Ihre Propaganda beneide, bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn man sich den Ernst der Lage vor Augen führt. Denn offenbar scheint die Rolle der Medien als Kontrollorgan der politischen Machthaber in zu vielen Köpfen völlig passé zu sein. Stattdessen wurde der öffentliche Funk zu einer PR-Agentur der Regierung umfunktioniert. Wie sehr diese Entwicklung auch weiter beunruhigen wird, bleibt abzuwarten.

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Das polnische Fernsehen stellte auch bereits davor, während der Präsidentschaftsdebatte am 17. Juni, als alle 11 Kandidaten ins Studio geladen wurden, einen spektakulären Verlust an Fairness zur Schau. Demagogische, auf den Präsidenten Duda maßgeschneiderte Fragen, waren nicht genug. Während der Redezeit der Kandidaten, wurden laufend Headlines eingeblendet, die das geplante Treffen von Duda mit Donald Trump in Washington lobend erwähnten. Die Thematik der gestellten Fragen deckte sich großteils mit jenen, die Andrzej Duda während seines Wahlkampfs selbst stellte: Einführung des Euro, Schließung gleichgeschlechtlicher Ehen und Aufnahme von Flüchtlingen.

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Natürlich wurden dieselben Themen mit großer Beharrlichkeit seit Wochen in der Hauptausgabe der „Nachrichten“ diskutiert und die "einzig richtigen" Antworten, deckten sich "zufällig" mit jenen des Präsidenten. Bildungskrise, Klimakrise, Beziehungen zur Europäischen Union, Rezession als Folge der Corona-Krise…. alles Themen, die von TVP offenbar als nicht dem Wahlkampf zuträglich eingestuft wurden, denn sie fehlten. Unmittelbar nach der Fernseh-Debatte sendete die Nachrichtensendung TVP Info, eine mehr als zehnminütige Erklärung von Andrzej Duda, der seine während der Debatte gegebenen Antworten frei entwickelte und kritisch auf die Erklärungen der Rivalen verwies. Dass keiner der anderen 10 Kandidaten eine solche Gelegenheit erhielt, ist wohl selbsterklärend. Andrzej Duda war auch der einzige Kandidat, der zusammen mit seinen freiwilligen Wahlhelfern ins Fernsehstudio durfte. Nur der amtierende Präsident konnte sich also, von begeisterten Anhängern umsäumt, präsentieren.

LGBT+ als Wahlkampf-Thema Nr. 1

Dudas Konterpart, der Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski sorgte vor einem Jahr mit der Unterzeichnung der Warschauer LGBT+ Erklärung, einem Bekenntnispapier zu Inklusion und Nichtdiskriminierung von Menschen LGBT+ im Zivil- und Arbeitsleben für eine große Protestwelle seitens der Regierung und anderer rechtskonservativer Kreise. Kurz darauf, ungeachtet der aggressiven medialen Angriffe gegen sein Diversitätsbekenntnis und seine Person, veröffentlichte er ein weiteres von ihm unterzeichnetes Dokument. Darin bekennt er sich zu den Sexualaufklärungsstandards der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und zu dem Ziel, den Schutz und die Sicherheit von Menschen mit LGBT-Orientierung gegen Gewalt und Hass an Schulen zu erhöhen.

Nachdem die Flüchtlingskrise als Feindbild-Generator an Wirkung verloren hatte, nahm die Propaganda Mühle der PiS das neue Thema dankend an. Sofort wurde damit begonnen Menschen, die der Gemeinschaft LGBT+ zuzuordnen sind, als etwas Abstraktes darzustellen. Als Ideologie, Phänomen, fremde Kraft oder Umfeld das die traditionellen Werte angreift und wogegen man verteidigt werden muss. Der Nachrichtensender TVP-Info operiert gerne mit Aussagen und Zitaten von teilweise fragwürdigen Experten. Auf diese Weise kann man im Falle einer Klage immer argumentieren, es wäre ja nicht die eigene Meinung, nur ein Zitat gewesen. Also wurde prompt der Organisator einer Eltern-Demo gegen Trzaskowskis LGBT+ Charta, als ein solcher "Experte" von TVP Info eingesetzt und seine Aussage als Aufhänger für einen Tweet und einen Artikel genutzt: "Man muss es gerade heraus sagen: Sexualerziehungsstandards haben die Bereitstellung von Opfernfür pädophile Täter zum Ziel". Im gesamten, auf der Website von TVP Info veröffentlichten Beitrag, ist weder ein Kontra, noch eine andere Meinung, noch eine Richtigstellung auffindbar. Der Artikel gibt nicht nur die Meinung eines Mannes wieder, die zufälligerweise in das gefährliche rechtskonservative Narrativ der PiS passt. In dieser Erzählung ist es auch typisch, ein falsches Stereotyp zu reproduzieren, das Homosexuelle einerseits mit Pädophilen gleichsetzt, und andererseits Bildung als Instrument darstellt, mit dem die LGBT-Gemeinschaft ihre eigenen, geheimen Ziele erreicht und Kinder bedroht.

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Ein anderer Tweet von TVP Info bringt sogar die LGBT+ Gemeinschaft mit dem Warschauer Aufstand in Verbindung: "Eine olympische Medaillengewinnerin spricht sich gegen die LGBT+ Charta aus. "Hat mein Großvater im Aufstand für ein solches Warschau gekämpft?" fragt sich die Sportlerin. Hier werden Dinge verglichen, die völlig unvergleichlich sind und aus verschiedenen Kategorien, Zeiten und Ordnungen stammen. Man stellt diese Dinge nebeneinander um bei den Empfängern starke Gefühle hervorzurufen, die die Irrationalität des Vergleichs verschleiern, aber die Rezeption des Themas kontrollieren können.

Die beiden Tweets dienen hier als ausgesuchte Beispiele der systematischen und kontinuierlichen Berichterstattung, die in den letzten Monaten das Gefühl der Bedrohung verstärkt hat, LGBT+ Minderheiten als Feinde, die traditionelle Werte angreifen, als Terroristen und Vertreter des Totalitarismus dargestellt hat. Der rechtskonservative mediale Konsens über dieses Thema führt dazu, dass ein Medienkonsument mit konservativer Ausrichtung kaum eine Chance hat mit alternativen Sichtweisen in Berührung zu kommen. Egal ob jemand das öffentlich-rechtliche Fernsehen schaut oder das staatliche Radio hört, oder eine rechtskonservative Zeitung liest, er steckt fest in der rechtskonservativen Weltanschauungs-Blase.

Absturz der Pressefreiheit

In der Rangliste der Pressefreiheit von Reportern ohne Grenzen fiel Polen auf Platz 62. Im Jahr 2015 war es noch unter den Top 20. "Die Bemühungen der Regierung, die Justiz unterzuordnen und die Gesetze zur Verleumdung von Straftaten zu missbrauchen, beeinträchtigen die Meinungsfreiheit unabhängiger Medien. Die öffentlichen Medien, die in eine Propagandaröhre der Regierung umgewandelt wurden, werden von voreingenommenen Botschaften und Hassreden dominiert. Die Leiter der öffentlichen Medien tolerieren weder Opposition noch Neutralität der Arbeitnehmer.", so rechtfertigen Reporter ohne Grenzen den Rückgang Polens im Ranking der Pressefreiheit für 2020.

Die Aufgabe der öffentlichen Medien besteht darin, einen Beitrag zur individuellen und öffentlichen Meinungsbildung zu leisten und so zu einem funktionierenden demokratischen Gemeinwesen beizutragen. Dabei ist eine pluralistische Darstellung der Welt naturgemäß von großer Bedeutung. Den Vorwurf, man würde öffentliche Medien für eigene politische Zwecke nutzen, mussten sich bisher alle polnischen Regierungen seit dem Fall des Kommunismus gefallen lassen. Doch niemals war das Ausmaß des Medien-Mißbrauchs für eigene Zwecke nur annähernd auf dem Level von heute. Viele Polen fühlen sich an die Zeit des Kommunismus erinnert. Damals waren die Medien-Botschaften ähnlich einseitig und manipulierend. Zum Glück hat die PiS nur einen Teil der großen Medienlandschaft in Polen unter ihre Kontrolle gebracht. Es gibt eine funktionierende mediale und politische Opposition sowie eine starke Zivilgesellschaft. Vor diesem Hintergrund bleibt der Ausgang der heutigen Wahl sehr spannend.

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