Die aufständischen Tage der Kommune sind in Berlin bis heute nicht ausgebrochen, die Siegessäule im Tiergarten steht fest auf ihrem Sockel. In Paris hingegen wurde am 16. Mai 1871 die Vendôme-Säule gestürzt. Maßgeblich initiiert hatte den Denkmalsturz der Maler Gustave Courbet. Er kritisierte schon lange politisch wie ästhetisch das Napoleons Eroberungsfeldzügen zugedachte Monument. Der Fall der Säule im Herzen der Stadt war keine Spontanaktion, Courbet ließ darüber demokratisch abstimmen und den Platz sogar mit Stroh und Mist auslegen. Darauf wurde die Place des Conquêtes feierlich in Place Internationale umgetauft.
Die außergewöhnlichen 73 Tage der Pariser Kommune sind nicht zuletzt Folge des von Preußen angezettelten Deutsch-Französischen Kriegs, aus dem in Folge das bislang bäuerlich-babylonische Geflecht in Frankreich zu einer durch Industrialisierung homogenisierten Nation wuchs, während Bismarck das Deutsche Reich formte.
Die Spuren – verweht
Die kurze Zeit der Kommune schlug große Wellen. Noch die russischen Revolutionen – 1917 dann mit Erfolg – suchte Lenin entlang der Fehler und am Vorbild der Kommune zu modellieren. Und zumindest das allgemeine Recht auf Bildung ist bis heute in Frankreich übrig geblieben, offiziell wird jedoch lieber an 1968 als an den blutigen Aufstand von 1871 erinnert: Denn nicht die preußischen Truppen waren der wirkliche Feind der Kommunarden, sondern ein Nationalstaat, der die hungrigen und wütenden Menschen von Paris ihrem Schicksal überließ und sich nach Versailles verzog.
150 Jahre danach beschreiten zwei eher schlanke Publikationen abseits der Geschichtsautobahnen neue Pfade. Während Detlef Hartmann und Christopher Wimmer die Kommunen von Lyon über die „industrielle Kommune“ Le Creusot bis nach Algier aufrufen als kaum enden wollende Abfolge von Revolten und Protesten der „Handwerker-Bauern“, verfolgt die New Yorker Kulturwissenschaftlerin Kristin Ross den langen Wellenschlag der Revolution entlang der Exilzeit geflohener Kommunard*innen. Allerdings erinnern Hartmann und Wimmer daran, dass damals nur gebildete Schichten lesen und schreiben konnten. Somit sind zumindest die „Spuren der Straße als Ort der Selbstorganisation der Aufständischen (...) weitgehend verweht“. Während ihr Buch ganz Frankreich aufsucht, die Wucht des Eisenbahnbaus beschreibt und auch Haussmanns radikalen Stadtumbau von Paris streift, liest Ross die Kommune in ihrer doppelten Verortung, also gleichsam gefangen innerhalb der Festungsgrenzen von Paris und zugleich mit internationalen Auswirkungen, wenn etwa Karl Marx aus London die Journalistin und Feministin Elisabeth Dmitrieff als teilnehmende Berichterstatterin entsandte. Nur Tage nach dem blutigem Ende veröffentlichte Marx Der Bürgerkrieg in Frankreich in mehreren europäischen Sprachen.
Paris als Zentrum des französischen Kolonialimperiums war zur Zeit der Kommune längst schon eine internationalisierte Stadt. Ross stieß auf Erinnerungen der anarchistischen Lehrerin Louise Michel, die mit einem zur Kommune übergetretenen „zouave pontifical“ Wache schob. Als algerischer Berber hatte er zuvor für Frankreich im Krieg gegen Preußen gedient. Der Übertritt zu den Kommunarden kündet von der Kommune als Befreiungs- und Emanzipationsbewegung. Zu Hause nutzte die algerische Kommune den Abzug französischer Truppen in den europäischen Krieg für ihre antikolonialen Attacken. Zugleich erfuhren die Kommunarden am eigenen Leib, wie brutal die Kolonialsoldaten gegen ihre Feinde vorgingen: „Soldaten, die in Algerien jahrelang Dörfer niedergebrannt und Stämme massakriert haben, sind auch dazu fähig, in den Straßen unserer Städte ein Blutbad anzurichten“, so Benoît Malon.
Die Versammlungen der Kommune waren „Schulen des Volkes“, schrieb Élie Reclus. Hierbei bildete sich das Recht zu sprechen beschleunigt heraus. Öffentliche Plätze und Barrikaden boten den Akteuren einen Ort der Solidarität. Die ambulante Vollversammlung, unter dem Druck der Einschließung und der Entschlossenheit zum gemeinsamen Kampf vollzogen, benötigte vielfältige Abstimmungsprozesse. Die Konflikte und Debatten entfernten die Kommunarden jedoch von den Menschen „in den Vierteln, die eben nicht von oben regiert werden wollten“. Die Kommune gestaltete sich danach gezwungenermaßen als eine urbane Revolution: „Sie wird blockiert, im Stich gelassen, belagert und bombardiert; sie wird ihre eigene Geschichte haben. Sie bildet eine isolierte Welt, gleichermaßen isoliert durch den sie umgebenden Ring aus Feuer wie durch den sie beseelenden Geist“, zitiert Ross George Jeanneret. Ross widmet auch den emanzipativen Zusammenschlüssen der Frauen sowie der Kunst große Aufmerksamkeit. Im Manifest der Fédération des artistes forderten die „Arbeiter-Künstler“ den „gemeinschaftlichen Luxus“ für alle.
Heute wackelt selbst Bismarck
Nun stürzen auch in den USA oder England die Monumente, selbst Bismarck wackelt. Auf den Barrikaden der Kommunen von 1870/71 standen Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und politischen Sozialisationen zusammen. So wie sich auf den von den Gelbwesten besetzten Kreisverkehren Menschen unterschiedlicher Herkunft und politischer Einstellung zusammengefunden haben, so Hartmann und Wimmer: „Kleinunternehmer diskutierten mit den Malochern aus der Logistik, Handwerker*innen der Kleinbetriebe hörten Heimarbeiter*innen zu und Jobber mit befristetem Arbeitsvertrag interessierten sich für die Sorgen der Sans-Papiers.“
Info
Luxus für alle. Die politische Gedankenwelt der Pariser Kommune Kristin Ross Felix Kurz (Übers.), Matthes & Seitz 2021, 203 S., 20 €
Die Kommunen vor der Kommune 1870/71 Detlef Hartmann, Christopher Wimmer Assoziation A 2021, 144 S., 14 €
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