Rettet Europa!

IST ES NICHT IRONISCH Der "Daily African" ruft zu Spenden für den verarmten Norden auf. Aber es geht wieder nur um Dieseljeans

In Hochglanz führt uns das Lifestyle-Supplement des The Daily African durch die Welt der Jungen, Reichen und Schönen "on Top of the World". Die Elite des Globus residiert in Afrika - laut Editorial jetzt das kulturelle Zentrum der Erde. "Hier passierts", wird ein junger Dotcom-Hexer in einem Trendcafé von Kinshasa zitiert: Afrika ist nun auch ökonomisch der Nabel der Welt. Hier demonstriert die Afrikanische Union, wie überholen ohne aufzuholen funktioniert, während der Globale Norden am Boden liegt.

Mit dem Cocktail-Schwenker in der Hand strahlt die Schauspielerin Tovekacha Langsetololo, weil sie im Rahmen der geplanten AmericAid-Party bald wieder Gutes tun kann. Aufgrund der lukrativen Handelsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten von Südamerika wird nämlich gerne übersehen, wie schlecht es dem Norden Amerikas geht. Eine Delegation hat inzwischen das ganze Ausmaß des Elends begutachten können - rasche Hilfe tut also Not. Und da der neue Reichtum Afrikas auf Kosten der benachteiligten Mitmenschen im Norden gehe - so Lifestyle-Chefin Mara Nodobrinko - sollten man mit Spenden für den verarmten Teil des Globus durchaus großzügig sein.

Die Wohltätigkeitsorganisation EuroAid hilft zusammen mit dem Internationalen Roten Speer, dass die Gelder den leidenden Brüdern und Schwestern in Europa zukommen, während AmericAid den Nordamerikanern unter die Arme greift. Über den gesamten afrikanischen Kontinent via Fernsehen übertragen, konnte die internetgestützte Sammelaktion EuroAid 2001 immerhin 80 Millionen Afro zusammenbringen - oder waren es 80 Milliarden, wie es später heißt? So genau kommt es ja auch nicht drauf an. Nebenbei bot die Wohltätgkeitsveranstaltung eine Plattform für die glamouröse Elite des Kontinents. "Ich bin hier für einen guten Zweck. Wir können doch nicht zuschauen, wie ein ganzer Kontinent verschwindet, oder?", meint Mderko Derko, und Mbala Ologhututu gibt ihm Recht: "Es ist nicht gerecht - wir haben doch alles: das Klima, die Sonne, die Strände, die Palmen und einen großartigen Lebenstil. Und was haben sie? Schnee und dieses klebrig-stinkige Zeugs, was sie Pasta Pesto nennen." Auch der Schauspieler Stefanollogh Kaputillogh kennt Italien gut und findet, dass die Frauen dort schon klasse wären. "Obgleich sie etwas wild ausschauen, haben sie doch ihren Stolz." Auch andere wissen von der Armut zu berichten, welche sie auf ihrem Weg durch Europa erfahren haben. "Los geht´s, Europa, wir sind bei euch", muntert der Künstler Klomi Bgholollo dann auch die Verdammten dieser Erde auf.

Im Internet prangert die Afrikanische Krebs-Gesellschaft die heimische Tabakindustrie an, gleich zwei neue Zigarettenfabriken in Europa eröffnen zu wollen: "Es ist doch seltsam, dass wir ein Waffenexportembargo haben, es aber zugelassen wird, dass sich die Europäer mit Zigaretten selbst töten." Auch für afrikanische Dotcom-Firmen ist das Schwellenland Amerika ein wichtiger neuer Markt. Zuerst einmal muss allerdings ein funktionierendes Telefonnetz aufgebaut werden. Ololongo Wireless aus Mozambique hat gerade erst einen Vertrag mit Deutschland und Großbritannien abgeschlossen, um dort ein Funktelefonnetz auszulegen. Auf jeden Fall Grund genug, in Champagnerlaune eine Party steigen zu lassen. Beim Broadband Music Awards in N´djamena, Chad, sang Joanna dazu den aktuellen Country African Pie.

Doch es gibt auch Schattenseiten im sonnigen Süden. Die Neureichen Afrikas haben echte Probleme, geeignetes Dienstpersonal zu finden, dass ihnen die Drinks serviert oder im Haus zur Hand geht - die Löhne sind schlichtweg unbezahlbar geworden. Oder die Staus auf dem Llungulu Freeway, welche laut der Stadtpolizei von Mombasa nur mehr ein Durchschnittstempo von neun Stundenkilometer zulassen. Nicht nur habe der Verkehr mit dem Boom der New Economy zugenommen, sondern auch die Anzahl der Stretch-Limousinen: Innerhalb von sechs Jahren blockieren zusätzliche 90.000 Luxuschlitten Mombasas Straßen. Nur gut, dass im klimatisierten Inneren Champagnerbar und DVD-Player für Abwechselung sorgen. Da bleibt kaum mehr Zeit für sein Drei-Raum-Appartment am Strand, was ja immerhin knapp 20 Millionen Mark gekostet hat. Der längste Laufsteg der Welt wurde hier von allein 19 Champagnerbars gesäumt. Aber auch zuhause muß man auf Luxus nicht verzichten: Die High-Tech-Küche vom MIT, dem Mombasa Institute of Technology, bietet einen doppeltürigen Edelstahl-Kühlschrank nur für Champagner. Kaviar wird hier übrigens wie aus Eisbechern gefuttert.

Quer durch die Farbstrecken des Lifestyle-Magazins stellt sich eine gräuliche Anzeigenseite groß die Abbildung einer Spendendose. 200 Millionen Menschen leiden, heißt es da, wo doch für den Preis einer Taxifahrt zwischen Bujumbura und den Vororten eine ganze Famile für einen Monat ausgesorgt hätte. "Wir rollen für Europa!" versprechen die in die bunten und aufgekratzen Bilder hart hineingesetzten Anzeigen des Internationalen Roten Speers. Auf den schwarzweißen Bildern sieht man mit Medikamenten, Decken und Essen beladene weiße LKW, um von Libyen aus die Not in Europa zu lindern. Eine weitere Anzeige ruft zu Kleiderspenden auf. Hier dankt´s ein Lächeln der 12jährigen Helga Niedelmayer aus dem Kaff Düsseldorf, Deutschland, welche blondgezopft von einer afrikanische Familie über Wasser gehalten wird. Trotz aller Wohltätigkeit bleibt Europa ein blanker Kontinent. So weiß die Miss World aus Cape Town nicht recht, ob nun die blasse Konkurrentin aus Swedenland oder Switzen komme.

"Die Diesel-Kampagne F/S 2001 zeigt ein neues Afrika, das Spiegelbild unserer sogenannten ›entwickelten Welt‹", heißt es im Pressetext der von Italien aus operierenden Jeansmarke Diesel. Hier wurde die falsche Lifestyle-Magazinbeilage des ebenso falschen The Daily African produziert und via Anzeigenschaltungen verbreitet. "Diese Kampagne hat keinen politischen oder rassistischen Hintergrund, sie ist keine Stellungnahme. Es ist eher ein anderer Standpunkt zu der realen Verrücktheit und Unausgeglichenheit der Welt", heißt es weiter. Im Vergleich zur ebenfalls in Italien sitzenden Bekleidungsmarke Benetton wirbt Diesel Jeans nicht mit dem Elend des Globalen Südens zwischen Flüchtlingsschiff und Hungertoten, sondern mit dem Glamour eines defacto noch weitgehend uneroberten Marktes südlich der Sahara. Keine Frage, dass es in den postkolonialen Ländern auch Luxus, neuen Reichtum und rauschende Partys geben soll.

"Das Thema der Kollektion lautet Le Chic Afreak - eine Mixtur aus Stammessymbolen und westlichen Motive, kitschigen Details und Inspiration." Indem Diesel im "Klatschheft" des Daily African das "oberflächliche Leben" der AfrikanerInnen strategisch aufwertet, wiederholt es zugleich die Klischees, welche sich gegenüber der afroamerikanischen Mittelschicht sowie der schwarzen Ikonen einer internationalen Popkultur inzwischen verfestigt hat: "Alle Models sind farbig und sehr sexy, die Hintergründe sind sehr fein und exklusiv, ein bißchen snobistisch, sonderbar und völlig afrikanisch", heißt es in der Selbstdarstellung. Die Models wurden von Ellen Von Unwerth fotografiert, "Liebling aller Berühmten, Reichen und Schönen (und Expertin auf dem Gebiet ›Sexiness‹)". So wiederholt sich das rassistische Stereotyp der auf Körper und Geschlecht reduzierten ›Schwarzen‹, welche als in den globalen Süden transformierte Neureichen-Trottel blaues Denim zu Markte tragen. Dies ist im Ansatz sicher eine erst mal interessant klingende Umkehrungsstrategie, welche sich jedoch aus dem einen Klischee befreiend sogleich im nächsten verfängt.

"Wir verkaufen kein Produkt, wir verkaufen einen Lebensstil", wird Diesel-Eigentümer Renzo Rosso in Naomi Kleins Klageschrift No Logo zitiert. "Wir verkaufen Erfolg", heißt folgerichtig ihr Anzeigenslogan. Im Unterschied zu Benetton versteht sich die seit jeher auf Trash-Werbung spezialisierte Marke Diesel auf reine Image-Kampagnen jenseits der Politik. Nun dreht man die Cleverness-Spirale des Marketing halt ein wenig weiter. Wie gehabt sehen wir auf den bunten Anzeigenseiten wohlgeformte, junge Modells, welche das Produkt in seiner Anwendung vorführen und dies mit aufwertenden Lifestyle-Attributen umgeben. Und erneut bleibt verborgen, wer denn diese Klamotten im Globalen Süden unter welch elenden Sweatshop-Bedingungen fertigt. Hier ist die Diesel-kampagne besonders zynisch, wenn sie Ausbeutungsverhältnisse in Überdrehung anprangert, um sie innerhalb der bestehenden globalen Ausbeutungsverhältnisse für ihre Geschäfte zu reproduzieren.

Unter www.dailyafrican.com findet sich die Homepage des Daily African.

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