Zentrale Randlagen

Ausstellung Sogar für eine Fotografin bekommt Probleme, wenn sie eine Gated Community besucht. Laurence Bonvin zeigt in Braunschweig beunruhigende Aufnahmen suburbaner Landschaften

Gated Communities sind durch Mauern oder Zaun, Security und Einlasstore abgeriegelte Wohnviertel. Sie gelten überall als nachgefragte Immobilien, weil die räumliche und soziale Trennung vom Rest der Gesellschaft eine Aufwertung des eigenen Status’ verspricht und außerdem Ungestörtheit und Kontrolle. Architektonisch und landschaftsplanerisch streben sie nach Klarheit, nach einer aufgeräumten Überschaubarkeit. Dieser globalisierte Wunsch nach Ordnung bevorzugt nicht selten eine Fusion-Architektur, in der Stile und historische Bezüge weitgehend geschmacksbefreit heruntergekocht sind.

Geschlossene Wohnanlagen sind – von den USA bis nach Lagos, in Warschau, São Paulo wie in Istanbul – ein weltweites Phänomen für eine international sich gebende, zumeist neureiche Klasse. Manche nennen es Ghettos oder Favelas der Reichen. Die Genfer Fotografin Laurence Bonvin, vielreisende Professorin in Lausanne mit Zweitwohnsitz in Berlin, zeigt in einer Braunschweiger Ausstellung auch ihre bislang letzte Werkgruppe On the Edges of Paradise. Diese befasst sich mit dem suburbanen Teil der Metropolenregion Istanbul. Zudem zeigt die Schau, gedrängt in die zwei kleinen Torhäuser des Museums für Photographie frühe Serien suburbaner Landschaften auf einem Schautisch sowie an der Wand urban-nächtliche Settings aus dem Irgendwo Europas – Nachgeborene vor sozialistischen Monumenten oder Jugendliche in peripher Sozialbaumoderne bei Genf.

Hunde wie Porzellanfiguren

Was sieht man auf Bonvins Bildern am Rande einer 12-Millionen-Metropole wie Istanbul, die weder westlich noch asiatisch sein möchte und zugleich Orientalismen und sentimentale Verweise auf das alte Europa aufweist? In den Aufnahmen gibt sich „die Türkei“ nicht leicht zu erkennen. Statt dessen zeigt Laurence Bonvin eine den metropolitanen Raum perforierenden Immobilienentwicklung: hier eine modellierte Landschaft, dort am Waldrand ein Wachhäuschen; ein Granitwall, in Beton eingegossen, weist Fremdes glattweg ab; weiße Hunde wie Porzellanfiguren als lebendiges Dekor im Vorgarten. Die Kamera blickt auf einen künstlichen Tümpel, einen Steingarten und frisch eingepflanzte Palmen: Natur ist nicht natürlich, sondern ein dekorativer Verweis.

Nur selten bieten die für Braunschweig verknappte Ausstellungsserie und das weit ausführlichere Katalogbuch Einblicke ins Innere der Häuser. Scheinwerfer leuchten nachts das Umland aus und tauchen die verstädterte Landschaft in ein gleißendes Licht. Tagsüber rinnt in den bewachten Business-Burgen etwas Putzwasser über die Stufen. Ein Polski Fiat, so klein, dass er hinter der Hecke verschwindet, gehört vermutlich dem Service-Personal; die Offroader der Bewohnerinnen sind sicher eingeparkt. Ihr Ausflug im Golfcart, der Spaziergang in weißer Tenniskleidung und das „Green“ als Abstandsgrün zwischen den Siedlungszügen markieren soziale Distinktion und eine Vorstellung von permanenter Freizeit.

Mit der Welt ist der sorgsam isolierte Vorort verbunden durch Satellitenschüsseln, die, auf den Dächern angebracht, sich zu Clustern verbinden. Manche Siedlungen kriechen flach die Landschaft entlang, andere wieder sind vertikal verdichtet, eingebettet in Hochhausstrukturen. Das Land, das neue Bauten erwartet, wirkt wie ein Panzerübungsgelände durchfurcht vom schweren Gerät. Manche Rohbauten werden bis hinauf zum Dachgiebel komplett aus Beton gegossen, so als würde bald der urban warfare geprobt: Hier zeigt sich umkämpftes Terrain, die darauf befestigten Neubauten gleichen Wehrsiedlungen im Feindesland.

Besucht man diese Gegenden, stehen neben einigen Gated Communities noch selbstgebaute geçekondus als Zeugnisse vergangener Besiedlungsphasen. Diese, ebenso wie nun die Gated Communities, mehr oder weniger illegal entstandenen Selbstbau-Siedlungen der vormals armen Zuwanderer bildeten während der türkischen Militärdiktatur linke Schutzburgen gegen die Übergriffe des Militärregimes. In diesen mahalle (auf deutsch etwa: Kiez) – daran erinnert der Architekturtheoretiker Bülent Tanju im Katalog – kämpften Linke und aus der Osttürkei Zugezogene vereint zumindest gegen einen gemeinsamen Feind. Später, mit der Krise des Marxismus und der Ausdifferenzierung der Politiken und Lebenswelten, prägten sich viele Quartiere eher muslimisch oder kurdisch aus.

Demgegenüber standen die nachfolgend etablierten kapah, also geschlossene Siedlungen der neoliberalen Reichen, etymologisch als „Sklaven des Tors“ herleitbar. Gated Communities sind somit Festung und Gefängnis zugleich, allenfalls verbunden mit anderen Wohnsiedlungen, Shopping-Malls oder Business-Centern. Das Exklusive ist die möglichst totale Abschottung. Statt Gesellschaft oder Solidargemeinschaft bilden nun die Familie sowie der Kontrakt mit dem Entwickler den sozialen Rahmen. Sortiert nach Professionen oder zunehmend nach Lebensstilen, suchen die Ghettos der Reichen in Suburbia eine Stadt als Ersatz. Das antisoziale Verhalten, das in solcher privaten Bautätigkeit zum Ausdruck kommt, fördert einen radikalen Individualismus. Der freilich immer eingebunden bleibt in die uniformen Zwänge des suburbanen Stils.

Künstlerin als Käuferin

Ein einheitliches Bild der neuartigen Wohnkolonien – das zeigt die Bandbreite der Fotografien im Stile einer neuen Topographie und in einer verbreiteten digitalen Fahlheit – kann es nicht geben. Die Bewohner kaufen ein Bühnenbild, um in ihm selbst Statist zu sein – „als wäre Realität nach einem Bild konstruiert“, wie Laurence Bonvin im Katalog sagt. In diesen verschiedenen Images bestehen die Ausdifferenzierungen, die Bonvin bei ihren exemplarischen Landvermessungen unter den inzwischen mehr als 700 Projekten allein im Umland von Istanbul zeigt.

Bei ihren Exkursionen gab sich Bonvin meist als potenzielle Käuferin aus oder schlug der Security und den Überwachungskameras eilig ein Schnippchen. Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Kunst: Dachte sie erst noch an das gemächliche Genre der Landschaftsfotografie mit ihren großen Formaten, erlaubten ihr die Umstände nur ein Mittelformat für schnelle Aufnahmen. Ihren Zugang nennt sie selbst „visual research“, nahe an der journalistischen Reportage, an Details eher interessiert denn an Übersichten.

Aufgewachsen ist Laurence Bonvin übrigens im wallisischen Sierre/Siders inmitten der Schweizer Alpen. Sie hat den Boom eines Skigebiet erlebt, der die ländliche Peripherie rapide urbanisierte. Vielleicht ist das der Grund, warum sie sich von solchen Rändern und Zwischen-Städten angezogen fühlt.

Laurence BonvinOn location. Museum für Photographie Braunschweig, noch bis 3. Mai. photomuseum.de

Das Künstlerbuch Laurence Bonvin On the Edges of Paradise mit Textbeiträgen von Urs Stahel, Bülent Tanju und einem Gespräch von Daniel Baumann mit Laurence Bonvin ist erschienen in der Edition Fink, 128 S. Zürich 2008, 23

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