Bomben für

FLÜCHTLINGSPOLITIK Die Bonner kommen, die Albaner bleiben draußen

Während die Sitzungspremiere von 669 Bundestagsabgeordneten im Reichstag enthusiastisch gefeiert wurde, fand die Aufnahme von ganzen 220 Flüchtlingen aus dem Kosovo ein höchst verhaltenes Echo in der Stadt. Den Vogel schossen dabei die CDU-Vorsitzenden von Mitte, Tiergarten und Wedding ab. Sie gaben gemeinsam zu Protokoll, keiner der Vertriebenen dürfe in diesen Stadtteilen wohnen, da dort sonst die Sozialstruktur »endgültig ins Negative« kippen werde.

So weit wie seine Parteifreunde will Innensenator Werthebach zwar nicht gehen. Aber auch er meint, für weitere Flüchtlinge sei in Berlin kein Platz. Der Regierende Bürgermeister wiederum will keinen Pfennig für den Unterhalt der Kosovaren zahlen. 500 DM steuert die Bundesregierung zu den monatlichen Unterhaltskosten von 1.300 DM für jeden Flüchtling bei. Diepgen aber fordert volle Kostenübernahme durch den Bund und läßt sich auch nicht dadurch irritieren, daß Berlin mit diesem Einspruch einzig unter allen Bundesländern dasteht.

Nach dem Willen der Berliner CDU soll sich die Situation von 1992 während des Bosnien-Konflikts auf keinen Fall wiederholen. Damals spülte eine Welle der Aufnahmebereitschaft von Privatpersonen, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Initiativen allen Kleingeist hinweg. In der Folge wurden in Deutschland 300.000 Flüchtlinge aus Bosnien aufgenommen, davon 30.000 in Berlin. Diesmal ist der Bürgerinitiative ein Riegel vorgeschoben. Eine Verpflichtungserklärung, mit der Gastgeber sich bereiterklären, für alle anfallenden Kosten aufzukommen, ermöglicht niemandem mehr die Einreise. Und während der Senat 1992 einräumte, »die Aufnahme unselbständiger Erwerbstätigkeit wird ausländerrechtlich bei allen bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen zugelassen«, darf heute kein Flüchtling auf solches Entgegenkommen hoffen.

Statt dessen werden die 220 Auserwählten der ganzen Palette schikanöser Maßnahmen unterworfen, die sich die deutsche Asylgesetzgebung ausgedacht hat. Auf die obligatorische amtsärztliche Untersuchung folgte für die Neuankömmlinge eine erkennungsdienstliche Behandlung samt Abnahme der Fingerabdrücke. Sodann wurde den Vertriebenen bedeutet, daß sie zunächst für drei Monate hier geduldet würden und in dieser Zeit die Hauptstadt nicht verlassen dürfen. Unbegleiteteten Minderjährigen wurde ein Amtsvormund verpaßt, anstatt sie zu Verwandten in andere Bundesländer weiterreisen zu lassen. Und einem Familienvater, der seine Kinder aus Albanien nachholen wollte, wurde klargemacht, daß der Sinn der Veranstaltung nicht in Familienzusammenführung bestehe.

Die Senatorin für Gesundheit und Soziales, Beate Hübner, hat die Flüchtlinge in den von der PDS regierten Bezirken Hohenschönhausen, Hellersdorf und Marzahn unterbringen lassen. Aber sie lehnt es ab, den Flüchtlingen ihre Sozialhilfe vor Ort auszahlen zu lassen, obwohl die drei Bezirke dies angeboten haben. Üblicherweise werden die Flüchtlinge den Sozialämtern der Bezirke nach ihrem Geburtsdatum zugeteilt. Hohenschönhausen ist für alle Flüchtlinge zuständig, die zwischen dem 2. und dem 16. Dezember eines beliebigen Jahres geboren sind. »Wer zufällig in diesem Zeitraum Geburtstag hat, kann sich seinen Unterhalt auf unserem Sozialamt auszahlen lassen, das rund 500 Meter vom Flüchtlingsheim entfernt ist. Alle anderen müssen nun quer durch die Stadt fahren, um ihr Geld abzuholen,« sagt Hohenschönhausens Bürgermeisterin Bärbel Grygier. Einzelne werden über eine Stunde bis Zehlendorf oder Spandau unterwegs sein.

Hintergrund des Streits zwischen der Sozialsenatorin und den drei Bürgermeistern der PDS dürfte die Jahre schwelende Auseinandersetzung darüber sein, ob Flüchtlingen und Asylsuchenden die Sozialhilfe als Sachleistung gewährt oder bar ausgezahlt werden soll. In allen Bezirken, in denen die PDS die Mehrheit hat oder SPD und Grüne für die Sozialhilfe zuständig sind, wird Bargeld ausgezahlt. In den anderen Bezirken wird dem Willen des Senats Folge geleistet und das Sachleistungsprinzip angewandt. Dort bekommen die Betroffenen eine Chipkarte, mit der sie nur in eigens ausgesuchten Läden einkaufen können. »Die Chipkarte wurde eingeführt, um Flüchtlinge abzuschrecken«, sagt Kreuzbergs Sozialstadträtin Junge-Reyer (SPD) und findet dieses Unterfangen »angesichts des Schicksals der jetzt Angekommenen geradezu makaber«.

Mit ihrer Politik bewegt sich die Berliner CDU jedoch ganz im mainstream der Bundespartei. Der nordrhein-westfälische CDU-Fraktionsvorsitzende Meyer pophezeite in der Rheinischen Post, daß die spürbare große Hilfsbereitschaft gegenüber den Vertriebenen sehr schnell umschlagen werde. Denn kriminelle Kosovo-Albaner gehörten nach aller Polizeierfahrung zu den besonders aggressiven Tätern in Deutschland. Schon vor Kriegsbeginn wurden gerade die Albaner aus dem Kosovo zum Inbegriff des kriminellen Ausländers stilisiert - vom Zuhälter an der Reeperbahn bis zum Hütchenspieler auf dem Kurfürstendamm.

Das alles will so gar nicht zu der bombenfähig angereicherten Moral passen, mit der die »humanitäre Katastrophe« erfolglos aus der Luft bekämpft wird. Umso besser fügt es sich in die Tradition deutscher Asylpolitik, deren oberster Grundsatz bis Kriegsbeginn gegenüber Kosovo-Albanern die schnellstmögliche Abschiebung war. Die alte Bundesregierung ermöglichte dies, indem sie in gerichtsrelevanten Expertisen erklärte: »Eine explizit an die albanische Volkszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung ist im Kosovo nicht feststellbar.« Und unter Joschka Fischer erklärte das Außenministerium noch am 18. November letzten Jahres: »Als inländische Fluchtalternativen kommen vor allem Zentralserbien (hier insbesondere Belgrad) und Montenegro in Betracht.« Da war nach heutiger Lesart des Außenministers die brutale »Serbisierung« Jugoslawiens schon in vollem Gange.

Hinter diesen Widersprüchen scheint eine Facette der Kriegsgründe auf, die zumeist in der abstrakten Formulierung verborgen wird, die ethnischen Säuberungen im Kosovo trügen zur Destabilisierung Zentraleuropas bei. Man muß sich das wohl in die konkrete Aussage übersetzen, daß die Festung Europa am allerwenigsten in Hunger, Armut und Krieg gestählte Bürgerkriegsflüchtlinge bei sich zu Hause haben möchte. Besonders »humanitär« ist diese Haltung nicht.

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