Elf Krankenhäuser sollen in Berlin bis 2005 geschlossen werden, davon fünf kleinere Einrichtungen noch in diesem Jahr. Die Betroffenen befinden sich alle in freier Trägerschaft, ihre Beschäftigten genießen nicht den Kündigungsschutz des öffentlichen Dienstes. Die Caritas hat bereits Entlassungen angekündigt. Bei Licht besehen sind es sogar zwölf Krankenhäuser, die aus dem Stadtplan verschwinden. Denn die Übernahme des städtischen Krankenhauses Moabit durch das Jüdische ist der größte Brocken auf der Streichliste und läuft im Zuge einer zweijährigen Übergangsfrist ebenfalls auf Schließungen in Klinikgröße hinaus.
Am Ende der Roßkur will der Senat 780 Millionen gespart haben. Doch den Berliner Krankenkassen ist das nicht genug. Sie wollen eine Millarde Mark weniger an die Krankenhäuser zahlen. Sie hängen am Tropf ihrer Bundesorganisationen, die nicht länger bereit sind, die Besonderheiten des Berliner Gesundheitswesens zu subventionieren. Sie klagen, die medizinische Versorgung sei in Berlin 20 Prozent teurer als im Bundesgebiet. Und während im Bundesdurchschnitt ein Behandlungsfall im Krankenhaus 6.000 DM koste, seien es in Berlin 9.000 Mark. Wenn die Berliner nicht in die Socken kämen, müßten sie die Kosten in Zukunft selber tragen. Dann werde der Berliner Beitragssatz auf 17 Prozent steigen, derweil der Bundesdurchschnitt bei 13,7 Prozent liegt. 40 bis 50 Mark mehr Krankenkassenbeitrag als üblich sind eine Horrorvision. Die Versicherten bekämen niedrigere Nettolöhne, die Unternehmen hätten höhere Lohnkosten, und die Politik fürchtet einen neuen Standortnachteil für die Stadt.
Das Zahlenwerk der Krankenkassen ist nicht unumstritten. Doch kaum jemand behauptet, daß bei der Finanzmisere des Berliner Gesundheitswesens nicht auch Faktoren eine Rolle spielen, bei denen sich Einsparungen realisieren lassen, ohne den Patienten zu schaden. Großstädte und unter ihnen besonders Berlin haben traditionell einen höheren Krankenstand als der aus Stadt und Land gebildete Bundesdurchschnitt. Da ist sozialmedizinisch viel geforscht und in der praktischen Prävention wenig erreicht worden. Höhere Kosten für medizinische Versorgung sind da kein Wunder und können durchaus Ansprüche auf einen Finanzausgleich begründen.
So haben die Berliner Krankenhäuser eine Bettenzahl mit daran geknüpftem Personalstand zu tragen, der in der Vorwendezeit aus der Westberliner und der Ostberliner Variante des »Rechts auf Arbeit« gespeist wurde. Und als die Klinikleitungen die daraus resultierende Gefahr für ihre Häuser realisierten, begann ein Wettlauf in der Hochleistungsmedizin. Fast jedes Haus versuchte, in wenigstens einem Bereich eine Spitzenstellung mit Renommee aufzubauen, um im Falle des Falles auf der sicheren Seite zu sein. Die Folge sind Überkapazitäten in der Hochleistungsmedizin, noch verstärkt dadurch, daß die Berliner Krankenhäuser an überörtlicher Bedeutung verloren. Das umliegende Brandenburg rüstet selber auf, wie nicht nur die Herzzentren in Cottbus und Bernau zeigen.
Namentlich das Krankenhaus in Buch am nördlichen Stadtrand hatte und hat unter dieser Entwicklung zu leiden. Von einst 4.000 Betten sind noch 1.500 übrig. Jetzt soll es privatisiert werden. Den geplanten Neubau mit nur noch 800 Betten werden vermutlich die »Rhön Kliniken« bauen und betreiben. Danach ist ein kooperativer Zusammenschluß mit dem »Max Dellbrück Zentrum« für Molekularbiologie geplant. Ein großes Krankenhaus mit überregionalem Versorgungsauftrag wird so zur Spezialeinrichtung eines Wissenschaftszentrums, das sich mit Pharmaforschung, Medizintechnik und Genetik befaßt.
Auch die berühmte Charité bleibt nicht verschont. Verwaltungsleiter dieses größten Berliner Wirtschaftsbetriebs in öffentlichem Eigentum ist Bernhard Motzkus. Er war zuvor in der Gesundheitsverwaltung tätig und entwickelte sich dort zum großen Zampano der Berliner Politik in Sachen Privatisierung und Outsourcing. Sein liebster Geschäftspartner, wenn es um privates Putzen und Bekochen der Krankenhäuser geht, ist Peter Dussmann, der seinerseits bundesweit bekannt ist, weil er mit allem auf Kriegsfuß steht, was nach Tarifvertrag riecht. Motzkus will jetzt das die Stadt überragende Hochhaus der Charité in Mitte verkaufen, den Neubau für Innere Medizin ebenfalls privatisieren und sich so aus Ostberlin weitgehend zurückziehen. Das Klinikum soll auf dem Gelände des Westberliner Campus Virchow im Wedding konzentriert werden.
Dabei sollte klar sein: Klinikschließungen, die qualitative Kriterien bestenfalls unzureichend berücksichtigen, sind nicht der Weisheit letzter Schluß. Die fünf Häuser, die dieses Jahr geschlossen werden, bestehen zu 80 Prozent aus geriatrischen Abteilungen. Ob es sinnvoll wäre, sie als Pflegeheime unter dem Dach der Pflegeversicherung weiterzuführen, hat anscheinend niemand geprüft. Auch der Vorschlag des grünen Gesundheitspolitikers Bernd Köppl, sich auf den Abbau der Überkapazitäten in der Hochleistungsmedizin zu konzentrieren, hat derzeit keine Chance. Köppl hatte vorgeschlagen, bedarfsgerechte Streichungen bei jenen Abteilungen vorzunehmen, denen es binnen zwei Jahren nicht gelingt, ihren Anteil auswärtiger Patienten von derzeit acht Prozent auf über 20 Prozent zu steigern. Und strukturelles Sparen, das die Effizienz des laufenden Betriebs in allen Kliniken steigert, wird durch Krankenhausschließungen sogar konterkariert. Denn wenn die einen weg sind, können die anderen weitermachen wie zuvor.
Der größte Mangel aber zeigt sich darin, daß in der Krankenhausdiskussion kein Anschluß an die Gesamtproblematik des Gesundheitswesen hergestellt wird. Die niedergelassenen Ärzte klagen nicht zu Unrecht, daß ihren sinkenden Budgets ein steigender Aufwand gegenübersteht, weil zunehmend Patienten aus den Krankenhäusern in die ambulante Versorgung gedrückt werden. Die hellsichtigsten und ehrlichsten von ihnen geben zu, daß eine kostengünstige und dennoch qualitativ hochstehende Versorgung allein durch Synergieeffekte im Rahmen eines polymedizinischen Versorgungssystem zu erreichen ist. Reduzierter diagnostischer Aufwand, gemeinsame Nutzung teurer Apparate und kurze Kommunikationswege sind am ehesten in einem Verbundsystem möglich. Vernetzte Praxen, Ärztehäuser und Ambulatorien an den Krankenhäusern wären geeignete Organisationsformen. Wenn sich dieser Gedanke eines Tages durchsetzen sollte, wird man den unwiderruflichen Verlust ortsnaher Standorte beklagen, der mit den Klinikschließungen heute einhergeht.
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