Am Sonntag wird in Berlin gewählt. Glaubt man den differierenden Umfragen, wird die CDU mindestens 40 Prozent erreichen. Der SPD werden gut 20, der PDS rund 17 und den Bündnisgrünen ungefähr 12 Prozent vorausgesagt. Doch haben die Berliner die politischen Auguren immer wieder überrascht. Insofern muß die letzte Umfrage nicht das letzte Wort sein. Der Teufel steckt am Ende im Detail. Werden die Rechtsradikalen die Fünf-Prozent-Hürde überspringen? Könnte es für die CDU zur alleinigen Mehrheit reichen? Was passiert, wenn die CDU so knapp unter der absoluten Mehrheit liegt, dass es der SPD nicht zumutbar erscheint, erneut bei Diepgen unterzukriechen? Der Schlüssel für die Verteilung der Sitze ist die Wahlbeteiligung. Je geringer sie ist, umso eher können die Republikaner fünf Prozent erreichen. Je mehr enttäuschte Anhänger von SPD und Bündnisgrünen zu Hause bleiben, umso näher kommt die CDU an die Mehrheit heran.
Die rot-grüne Bundesregierung hat nach dem Abgang von Oskar Lafontaine einen Krieg gegen die eigenen Wähler begonnen. Als Gegenmaßnahme blieben die Regierungsanhänger während der Serie von Landtagswahlen in Scharen zu Hause und stellten damit klar: eure neue Politik machen wir nicht mit. Doch statt eines herzhaften "Wir haben verstanden" verkünden SPD und Bündnisgrüne trotzig: "Weiter so!" Obwohl jeder Wahltag beweist, dass Wähler die Wahl haben, behauptet Schröder, es gebe keine Alternative. Allenfalls ein "Vermittlungsproblem" wird zugegeben - nach dem Motto, das Volk sei zu dumm, den Ernst der Lage zu verstehen, folglich käme es darauf an, sich ein neues zu erziehen.
Viele rot-grüne Wähler in Berlin haben deswegen zwei Seelen in der Brust. Die eine rät ihnen, erneut zu Hause zu bleiben, weil die da oben die Schnauze immer noch nicht voll zu haben scheinen. Die andere erinnert daran, dass Nutznießer jeden Wahlboykotts nicht die soziale Gerechtigkeit und der ökologische Umbau sind, sondern CDU und Neonazis. Wohin sich die Waage neigen wird, werden wir erst am Sonntagabend wissen. Vielleicht wird die Erkenntnis ausschlaggebend sein, dass es sich bei aller Resignation doch lohnen könnte, eine der beiden Berliner Oppositionsparteien zu wählen. Schließlich stehen nicht Schröder und Fischer zur Wahl, sondern Diepgen, Landowsky, Böger und Fugmann-Heesing. Den glücklosen Walter Momper darf man in diesem Zusammenhang wohl vernachlässigen.
Rund 60 Prozent der Berliner wünschen sich die große Koalition nicht grundlos auf den Mond. Von der Olympiabewerbung über die Länderfusion bis zum Flughafen Schönefeld wurden alle Großprojekte in den Sand gesetzt, die sich der Senat vorgenommen hatte. Die Wirtschaftstätigkeit in der Stadt ist rückläufig, die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe, die Steuereinnahmen fließen entsprechend spärlich, die Haushaltssanierung kommt trotz ständigem Sozialabbau unter diesen Bedingungen nicht voran. Korruptionsskandale und Rattenreden gegen Ausländer, Obdachlose und Suchtkranke komplettieren das Bild einer inkompetenten Regierung, die sich wirksamer öffentlicher Kontrolle enthoben wähnt. Tatsächlich wäre jede andere Regierungskonstellation bei vergleichbar schlechten Resultaten längst zu Fall gekommen. Bleibt die interessante Frage, warum in Berlin die SPD das Fett alleine abbekommt, während die CDU verschont bleibt?
Die alles überragende Botschaft der bisherigen großen Koalition hieß Sparen. Sparpolitik ist aber - auch da, wo sie unumgänglich ist - ein trauriges Geschäft, das vorwiegend deprimierende Nachrichten fürs Volk bereithält. Dass am "Tag des Sparers" irgendwo auf der Welt eine Freudenkundgebung wegen fortschreitender Haushaltskonsolidierung stattfinden könnte, gehört ins Reich der Fabel. Mit der beinhart auftretenden Finanzsenatorin Fugmann-Heesing haben sich die Sozialdemokraten ausgerechnet die Haushaltssanierung als Markenzeichen ans Bein gebunden. Und der Rest der Parteiführung wollte es sich zur Aufgabe machten, das Sparen zur frohen Botschaft zukunftsweisender Modernisierung zu erhöhen, während die Wähler nur allzu gern auf eine solche Zukunft verzichten würden.
So verprellen die "Modernisierer" die "kleinen Leute", ohne bei der neuen Mittelschicht ernst genommen zu werden. Die Bindungen der SPD an die Tradition der Arbeiterbewegung und die Gewerkschaften lösen sich auf, ohne dass neue Verbindungen entstehen. Dass Momper und der SPD-Landesvorsitzende Strieder sich hinter das Sparpaket der Bundesregierung und das sozialreaktionäre "Schröder-Blair-Papier" stellen, wird die Neigung, SPD zu wählen, weder im pauperisierten Wedding noch im wohlhabenden Grunewald wachsen lassen. Stattdessen laufen der SPD die Leute aus allen Schichten und in alle Himmelsrichtungen davon. Insofern hat die Berliner SPD schon hinter sich, was der rot-grünen Bundesregierung bevorsteht, wenn sie Haushaltskonsolidierung weiterhin mit dem Rasenmäher und ohne sozial-ökologische Schwerpunktsetzung betreibt.
Die Berliner Christdemokraten gehen die Sache ganz anders an. Sie vergessen keinen Augenblick, dass der Verteilungskampf auch beim Stopfen von Haushaltslöchern erhalten bleibt. Landowsky und Diepgen haben ihre "liberale Großstadtpartei" schon zu Westberliner Zeiten auf dem Bündnis der Gewerbetreibenden, Kulturschaffenden und öffentlich Bediensteten errichtet. Dieser Linie bleiben sie treu. Noch im Wahlkampf hat der Senat den Beschäftigten im öffentlichen Dienst jahrelangen Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen vertraglich zugesichert - gegen den schriftlich hinterlegten Protest der Finanzsenatorin. Und den Haushalt 2000 hat die CDU unter anderem daran platzen lassen, dass Kultursenator Radunski (CDU) sich weigert, die Sparvorgaben der Finanzsenatorin in seinem Ressort umzusetzen. Mag es der CDU auch nicht gelingen, ihre Schützlinge vollständig vor Kürzungen zu bewahren. Eine Duftmarke ist allemal gesetzt, und bei den Betroffenen bleibt das Gefühl zurück, ohne die CDU hätte es noch schlimmer kommen können.
Wahltag ist Zahltag. Der Berliner SPD dürfte in ihrem Kampf gegen den Koalitionspartner kaum mehr zu helfen sein. Die Berliner Opposition aber hat eine Chance verdient. Wer weiß, wann der Leidensdruck in der SPD zu stark wird. Dann sollten beide Oppositionsparteien, PDS wie Bündnisgrüne, so stark und handlungsfähig wie möglich sein.
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