Wird aus Rot-Grün endlich doch noch eine normale Koalition? Der Kanzler, die Wirtschafts- und Verteidigungsminister sind bereit, dem NATO-Partner Türkei 1000 Panzer zu verkaufen. Wären sie es nicht, dann machte die beschlossene Lieferung eines Testmodells keinen Sinn. Sie führen wirtschaftliche, politische und militärische Argumente an. Auf der anderen Seite lehnen der Außen- und die Entwicklungshilfeministerin das Geschäft und daher auch die Lieferung des Probepanzers ab. Auch dafür gibt es Gründe: Menschenrechtsverletzungen, Ressourcenverschwendung, Stärkung des türkischen Militärs gegen die Zivilgesellschaft. Da gilt es eben, die unterschiedlichen Argumente zu gewichten und dann zu entscheiden. Eigentlich ein trivialer Vorgang, der zum normalen Regierungsalltag gehören sollte. Nur: genau das ist er eben nicht. Er stellt etwas Außergewöhnliches, Krisenhaftes dar. Aus der zweiten Reihe wird gar schon vom Ende der Koalition gemunkelt - und zwar auch von Leuten, die selbst im Kosovokrieg bombenfest hinter der Regierung standen.
Außenpolitisch geht der Streit um die Abwägung, ob die Pflege des Verhältnisses zur türkischen Regierung die Lieferung von 1000 Panzern rechtfertigt, die aus fast allen anderen denkbaren Gründen sinnlos oder schädlich wäre. Wozu braucht die Türkei die riesige Menge von 1000 hochmodernen Kampfpanzern? Sie ist von außen nicht ernsthaft bedroht, weder Syrien, noch der am Boden liegende Irak oder Griechenland stellen eine Gefahr für ihre Sicherheit dar. Israel und die NATO stehen militärisch an ihrer Seite. Die benachbarte Kaukasusregion ist alles andere als stabil, aber von dort droht nichts, wogegen 1000 Panzer nützlich wären. Umgekehrt besteht die offensichtliche Gefahr, dass die massive Aufrüstung des türkischen Militärs mit modernsten und offensiv hochwirksamen Waffen die Region destabilisiert. Schließlich ist es erst ein Jahr her, dass die Türkei ihren Nachbarn Syrien mit Krieg bedroht hat. Damals ging es um die Kurdenpolitik. Auch der chronische Streit mit Griechenland um die Ägäisgrenze würde gefährlicher, weil Griechenland einer türkischen Aufrüstung kaum tatenlos zusehen könnte.
Mögen die Panzer also zu Defensiv zwecken sinnlos sein - sie sind ein wirksames Mittel gegen Aufständische im Inneren. Sie sind bei der Zerstörung kurdischer Dörfer und den ethnischen Säuberungen in der Süd osttürkei ausgesprochen nützlich. Die Bundesrepublik mag einen solchen Einsatz für ausgeschlossen halten, weil Massaker in der NATO-Charta nicht vorgesehen sind. Nur: aus Sicht des türkischen Militärs handelt es sich um "Terroristenbekämpfung", und die ist auch nach NATO-Regeln legal. Kurz und gut: der Panzerdeal ergibt für Ankara nur in zwei Zusammenhängen einen Sinn - nach außen als Schritt zu regionaler Dominanz und nach innen als Repressionsmittel.
Innenpolitisch lag der Kern des Konflikts beim Versuch der Grünen, sich nach der Serie vernichtender Wahlniederlagen endlich wieder zurückzumelden und als Grüne erkennbar zu werden. Joschka Fischer war noch im Sommer einer weit rüstungsfreundlicheren Linie gefolgt, aber nun bestand in der Partei eine breite Einigkeit gegen die Lieferung des Testpanzers. Selbst der Außenminister gab sich wieder grün. Nachdem der Partei bereits recht früh in der Koalition das politische Rückgrat gebrochen wurde und sie es auch nicht weiter vermisste, ließ sich an der Panzerfrage konsensstiftend die eigene Identität neu erfinden. Ob dies Unterfangen von Erfolg gekrönt sein wird, hängt nun von folgenden Faktoren ab: Erstens dem eigenen Stehvermögen. Wer einen Krach mit dem Kanzler beginnt, muss ihn auch durchstehen oder er wird völlig zum politischen Zombie. Zweitens: Die Grünen müssen auch an anderen Punkten der eigenen Identität kalkulierte Konflikte beginnen und bestehen. Und drittens: Viel wird davon abhängen, dem Kanzler klarzumachen, dass er die politischen Interessen der Grünen - und der SPD-Linken - von vornherein berücksichtigen muss. Ihn jedesmal niederzukämpfen, wenn er wieder mal gegen den Koalitionsvertrag verstößt oder sonstige Alleingänge unternimmt, ist aufreibend und unrealistisch. Man kann auch nicht jede Woche mit dem Ausstieg aus der Koalition drohen. Schröder wird aber nur dann die Grünen und die SPD-Linke regelmäßig berücksichtigen, wenn er sie nicht wie bisher für Papiertiger hält. Der Kanzler ist anpassungsfähig genug, die Machtverhältnisse zu berücksichtigen - wenn er muss. Wenn die Grünen in freundlicher und kooperativer Form klar machen, dass es ohne sie nicht geht und dafür zumindest einen politischen Preis verlangen - dann hätte der leidige Panzerstreit sein Gutes gehabt.
Der vorliegende Kompromiss zwischen SPD und Grünen lässt in diesem Kontext einiges offen. Die Lieferung des einen Testpanzers ist bedeutungslos, solange das Hauptgeschäft nicht zustande kommt. Aber in dieser Sache ist der Kompromiss alles andere als klar: im Jahr 2001 soll geprüft werden, unter Berücksichtigung der Menschenrechtslage. Da aber heute niemand wissen kann, ob es sich dann um eine ernsthafte oder nur eine pro-forma Prüfung handelt, was dabei herauskommen und ob die dann fällige Entscheidung ernsthaft an den Prüfungsergebnissen orientiert sein wird, ist das jetzt vorliegende Kompromissergebnis in der Sache unbestimmt. Fazit: die Grünen haben den Panzerexport in die Türkei genutzt, um zum ersten Mal seit langem politisch erkennbar zu werden. Das ist gut. Sie haben bei dem Konflikt keinen offenen Rückzieher gemacht, sich aber auch nicht durchgesetzt. Das mag für den Moment durchgehen, weil es ja immerhin schon einen Schritt nach vorne bedeutet. Entscheidend wird aber sein, ob jetzt weitere Schritte der eigenen Profilierung folgen, ob dabei auch Erfolge in der Sache zu erzielen sind und ob auf diese späte Weise irgendwann der Bettvorleger springt, um als Tiger zu landen.
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