Nordkorea hat Mitte Februar erneut einen Atomsprengkopf getestet und nun auch den Nichtangriffspakt mit dem Süden aufgekündigt. Die EU, die USA, selbst Russland und China, haben dagegen protestiert, der Sicherheitsrat verurteilte dieses Verhalten und verschärfte seine Sanktionen. Bemerkenswert daran ist zweierlei: Einmal der Umstand, dass Nordkorea nachweislich über Kernwaffen und die nötigen Trägersysteme verfügt, aber niemand militärische Maßnahmen gegen das Land verlangt. Die werden beim Problemfall Iran ständig öffentlich diskutiert, obwohl der militärische Charakter seines Atomprogramms zwar wahrscheinlich, aber nicht erwiesen ist. Zweitens wäre zu fragen, warum manche Länder überhaupt an derartigen Arsenalen interessiert sind, wenn dieses Streben ökonomisch, politisch und vielleicht gar militärisch so hohe Kosten verursacht.
Halten wir fest: Der Atomwaffensperrvertrag (NPT) – den Nordkorea 2003 kündigte – bestand im Kern aus der Abmachung, dass keine weiteren Staaten Nuklearwaffen bauen oder besitzen, und dafür einerseits bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie unterstützt werden, während andererseits die fünf offiziellen Atommächte langfristig auf ihre Depots verzichten. Darauf bezieht sich der Iran, wenn er sein Recht betont, die Atomenergie für zivile Zwecke zu nutzen, und zugleich den Nuklearmächten vorwirft, ihr Waffenmonopol nicht aufzugeben. Beides ist zutreffend, wenn auch keine Rechtfertigung dafür, selbst Nuklearwaffen anzustreben. Im Unterschied zu Pjöngjang hat Teheran den Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen nicht gekündigt.
Konziliant bei Pakistan
Der Grund für die härtere Behandlung des Iran liegt nicht in der Atompolitik allein, sondern den Rahmenbedingungen. Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea sind bereits bekannte Atommächte – alle außerhalb des NPT. In manchen Fällen – bei Israel, aber auch bei Indien – gibt es wegen der Atomwaffen keinen Konflikt mit dem Westen. Es bestehen zum Teil ausgesprochen herzliche Beziehungen. Auch im Umgang mit den pakistanischen Beständen hat sich die westliche Politik als höchst flexibel erwiesen: Vor dem 11. September 2001 gab es Sanktionen, doch seit man das Land im Krieg gegen die Taliban braucht, ist Kritik verstummt. In keinem Fall, auch nicht gegenüber dem Außenseiter Nordkorea, gab es die Drohung, mit kriegerischen Mitteln gegen die jeweiligen Atomprogramme vorzugehen. Und das, obwohl Nordkorea Südkorea sogar die „Vernichtung“ androhte.
Im Nahen Osten stellt sich das anders dar: der Atomwaffenstaat Israel bombardierte bereits Nuklearanlagen im Irak und Syrien, die Nuklearmacht USA führte unter Präsident George W. Bush Krieg gegen den Irak, um vorgebliche irakische Massenvernichtungswaffen zu zerstören, die es nicht gab. In diesem Kontext fügt sich die westliche Iranpolitik ein. Syrien, der Irak und Iran liegen im Gegensatz zu Nordkorea in einer geostrategisch zentralen Region – sie waren oder sind ideologisch und politisch vom Westen nicht zu kontrollieren bzw. streng anti-westlich ausgerichtet. Dazu kommt im Falle Irans der religiöse Extremismus der politischen Führung, der jedoch nur ein ergänzendes Element ist, denn Syrien und der Irak wurden als säkulare Staaten trotzdem zum Ziel militärischer Gewalt, um ihnen Atomwaffen vorzuenthalten.
Anders ausgedrückt: Die potenziellen iranischen Nuklearwaffen werden im Westen nicht primär als Problem betrachtet, weil sie den Kreis der Atommächte ausdehnen würden, sondern weil es sich um den Iran handelt, ein Land mit einem explizit anti-westlichen Regime. Nuklearwaffen von pro-westlichen Ländern scheinen gar nicht (Israel) oder weniger problematisch (Indien, Pakistan) zu sein. Selbst anti-westliche Regime mit Atomwaffen in für den Westen strategisch weniger relevanten Gegenden (Nordkorea) werden nicht militärisch bedroht – nur eingedämmt. Pjöngjang wurde gar das Zuckerbrot Wirtschaftshilfe offeriert, um Konzessionen zu bewirken.
Wie aber stellt sich das Interesse nicht- oder anti-westlicher Länder am Erwerb von Atomwaffen dar, wenn dieses Streben hohe ökonomische Kosten verursacht und zugleich ernste militärische Risiken heraufbeschwört? Dabei geht es einerseits um den tatsächlichen Besitz nuklearer Waffensysteme, aber auch um eine Politik der Mehrdeutigkeit, in diesem Kontext häufig Ambiguität genannt. Als die USA 2003 Saddam Hussein stürzten, besaß dieser keine Atomwaffen und hatte ein Programm zu deren Bau längst aufgegeben – zugleich aber diese Tatsache verheimlicht. Auch der Iran bestreitet, Atomwaffen anzustreben, weckt aber durch sein Verhalten und offene technische Fragen den Anschein, dies doch zu tun. Eine andere Variante dieser Politik der Widersprüchlichkeit wurde auch lange von Israel verfolgt, als das Land bereits über Atomwaffen verfügte, dies aber weder bestätigte noch dementierte.
Den Anschein erwecken
Insgesamt scheinen Staaten aus zumindest drei Gründen am Erwerb von Atomwaffen – oder zumindest dem Anschein des Besitzes – interessiert zu sein: Einmal bedeuten solche Waffen nicht nur eine maßgebliche Stärkung des eigenen Militärpotenzials, sondern begründen politisches Gewicht. Das kann zur Voraussetzung offensiver oder hegemonialer Politik werden – so die indischen Kernwaffen in Südasien in den siebziger bis neunziger Jahren. Zweitens können Atomwaffen eine defensive Dimension haben – etwa die indischen gegenüber China, das bereits zuvor atomar bewaffnet war. Ähnlich verhält es sich beim pakistanischen Potenzial, das den indischen Vorsprung ausgleichen sollte. Und drittens darf nicht übersehen werden, dass eine reale oder vorgebliche Verfügung über Atomwaffen auch etwas mit nationalem Prestige zu tun hat. Gerade in Nordkorea deutet vieles darauf hin, dass sich das dortige Regime auch deshalb nuklear ausrüstet, weil es international als relevanter Akteur wahrgenommen werden und im Inneren Stärke simulieren will. Ohne diese Ambitionen würde das Land im Ausland wohl mehr als historische Kuriosität wahrgenommen – jetzt aber kann es Südkorea und Japan bedrohen. In vielen Fällen werden sich diese unterschiedlichen Momente ergänzen oder überlappen, wie der Iran zeigt. Einmal ist nicht zu bestreiten, dass die Islamische Republik von außen massiv bedroht ist. Sie ist von US-Militär förmlich umzingelt: in Afghanistan, der Türkei, in Bahrain und Katar, durch die US-Marine im Persischen Golf.
Unter Präsident Bush jun. galt ein Krieg gegen Iran unter Neo-Konservativen als logische Option. Da wäre es plausibel, wollte Teheran – auch durch Massenvernichtungsmittel – etwas für seine Sicherheit tun, um Gegner besser abschrecken zu können. Für das Mullah-Regime dürfte eine Lehre aus dem Sturz Saddam Husseins lauten: Die USA hätten vermutlich keinen Krieg gegen ihn begonnen, wäre er im Besitz von Kernwaffen gewesen. Und: Es wäre aussichtslos, die eigenen konventionellen Streitkräfte so weit zu stärken, dass sie Angriffe der USA und Israels abwehren können.
Darüber hinaus aber – wenn man ein defensives Interesse an nuklearer Bewaffnung unterstellen darf – verfolgt der Iran auch eine regionale Machtpolitik, um Konkurrenten wie Saudi-Arabien gewachsen zu sein. Auch in diesem Rahmen würden Atomwaffen – oder die Option des Besitzes – die iranische Position stärken. Ebenfalls eine Frage des Prestiges: Wie könnte ein Land mit dem Selbstverständnis des Iran akzeptieren, dass ihm westliche Mächte das mit dem Kernwaffensperrvertrag verbriefte Recht auf einen friedlichen Gebrauch der Atomenergie verweigern?
Daraus ergibt sich für den Westen eine komplizierte Lage. Ginge es ihm vor allem um die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, wäre eine Lösung durchaus denkbar: Eine glaubwürdige Sicherheitsgarantie für den Iran, die äußere Bedrohungen beendet, und eine gesichtswahrende Möglichkeit, sein Nuklearprogramm auf den zivilen Zweck zu begrenzen. Dies aber würde andere Ziele des Westens beeinträchtigen. Eine solche Lösung würde kurzfristig als Zurückweichen vor Teheran verstanden – und bedeuten, den Iran informell als Regionalmacht zu tolerieren. Beides gilt in den USA und Israel als kaum hinnehmbar, was einen Ausweg aus dem Atomstreit erschwert. Umgekehrt hat auch der Iran so viel Prestige investiert, dass eine Umkehr Gesichtsverlust bedeutet. Darüber hinaus ist sein politisches System nicht nur von äußerer Aggression bedroht, sondern auch durch wirtschaftlichen Niedergang und den Unmut der eigenen Leute – eine Konstellation, bei der sich politische Positionen verhärten. Schließlich sind auch die Machtkämpfe innerhalb der Führung einem Kompromiss nicht förderlich. Eine Lösung des Atomstreits wird es also in den nächsten Monaten nicht geben. Beide Seiten verfolgen Ambitionen, die über Atompolitik weit hinausreichen.
Jochen Hippler ist Friedensforscher an der Universität Duisburg-Essen
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