Die Debatte ist vorbei. Und wenn man alle Beiträge noch einmal liest, stellen sich zwei Eindrücke ein: Peter Wahl hat mit seinem differenzierten Eröffnungstext (Freitag 2/2000) in gewissem Sinne schon ein vorweggenommenes Schlusswort geliefert, das man jetzt noch einmal abdrucken könnte. Zweitens drängt sich der Eindruck auf, dass die Nichtregierungsorganisationen (NGO) für viele Diskutanten eine Herzenssache sind. Anders ist nicht zu erklären, wie temperamentvoll und oft vereinseitigend die Debatte geführt wurde. Zum Teil wurden uns zart romantische, geradezu idyllische Bilder entworfen, wie "die NGOs" ihr segensreiches Wirken entfalten. Dabei wurden oft zutreffende Beispiele und Argumente vorgetragen, und an diesen ist kein Mangel. Seltsam nur, dass die offensichtlichen heiklen Punkte, die ja seit dem ersten Debattenbeitrag auf dem Tisch lagen, weitgehend ignoriert und sicher nicht argumentativ bearbeitet wurden. Andere Beiträge gaben sich wild entschlossen, die NGOs zu entlarven, wobei u.a. ihre soziale Basis als "leicht als bürgerlich zu bestimmen" (so Philipp Storz, Freitag 4/2000)) erkannt wurde, was ja die Verfasser des Kommunistischen Manifests rückwirkend ebenfalls erledigen dürfte - und Fragen über die soziale Herkunft kritischer Freitag-Autoren aufwirft. Auch neoliberale Umtriebe wurden festgestellt. Dabei blieben wir selbst von originellen Argumentations-Pirouetten nicht verschont, etwa wenn einerseits den Mächtigen ihre Macht, dann aber den Machtlosen ihre Machtlosigkeit vorgeworfen wurde: "Ihr (der NGO) Mangel an Kapital und an staatlichen Machtmitteln kann aber eben nicht nur als ÂUnschuldÂ, sondern muss unter Umständen ebenso als eine Art von Anmaßung gewertet werden". Ist eine Organisation wichtig, reich und einflussreich - ist das ein schlimmes Zeichen der Kumpanei mit den Eliten. Ist sie machtlos und pleite - um so schlimmer: dann ist sie einerseits in einer "Position struktureller Verantwortungslosigkeit" (Storz), zugleich aber, wie wir schon erfuhren, durch ihren Machtmangel "anmaßend". Das ist von bewundernswerter Klarheit, das klingt schön. Nur zum Argumentieren bleibt kein Raum, weil es ja nur um die Entlarvung geht. Deshalb macht sich der Autor auch nicht die Mühe, sein originelles Diktum irgendwie zu begründen. Jörg Bergstedt schlug in diese Kerbe (Freitag 7/2000), als er formulierte. "Der NGO-Stil stärkt die Mächtigen und die Machtstrukturen. Unter anderem schwächt er die Fähigkeit zur eigenständigen Aktion und Öffentlichkeitsarbeit. Er ist daher immer und überall falsch." Manche Formen pauschalisierender Selbstgewissheit sind fast bewunderungswürdig. Und Jörg Djuren schafft es im Überschwang der Entlarvung, das schöne Wort von der "realitätssüchtigen Alltagspolitik" zu prägen und "den" NGO als Vorwurf entgegenzuschleudern (Freitag 8/2000). Sehnt er sich nach einer "fiktionsgeleiteten Feiertagspolitik"? Realitätssucht, whow! Andersherum und ebenso engagiert flocht Lutz Schrader den NGO manch netten Blütenkranz (Freitag 5/2000): es handele sich um "basisdemokratische Akteure par excellence", die "alternative Politikansätze implementieren". Also, es nicht nur versuchen, sondern tatsächlich tun. Und nicht manche, sondern "die" NGOs. Eine Blume reiht sich an die andere: "Werte wie Gemeinwohl, Menschenrechte, Gerechtigkeit, Solidarität" und so weiter, und so fort "sind für das Engagement von NGOs konstitutiv." Immer und überall? Ganz automatisch? Stehen NGO also außerhalb gesellschaftlicher Interessen und Machtstrukturen? Wie ist es denn zu erklären, dass ein paar Vereinsmeier, die sich NGO nennen, automatisch zum Weltgewissen werden? Hat der Weltgeist dabei seine segensreiche Hand im Spiel? Davon abgesehen: auch in der Schraderschen Argumentation ist vieles völlig richtig, wenn etwa darauf hingewiesen wird, dass NGOs "gesellschaftlich relevante Leistungen" erbringen, so richtig, wie es Storz' Erkenntnis über den bürgerlichen Charakter der meisten NGOs war. Nur: auch Schrader differenziert nicht zwischen den höchst unterschiedlichen Typen von NGOs und fällt damit ebenfalls weit hinter die Debatte der letzten Jahre - und den Wahl'schen Einleitungsbeitrag - zurück. NGOs als Gesamtkategorie sind fast nur eine Fiktion, sind ein Abstraktum ohne analytische Substanz. Der ADAC und medico international sind beide NGOs - sonst haben sie nichts gemein. Manche NGOs bestehen aus ein paar Freunden, die in der Ferne Gutes tun wollen. Andere dienen der gemeinsamen Kaninchenzucht, wieder andere sind zu globalen Konzernen herangewachsen, die kommerziellen Multis immer ähnlicher werden und auf dem Mitleidsmarkt um Marktanteile ringen. Andere verfolgen politische Ziele, manche wollen den Kapitalismus bekämpfen, andere ihn stabilisieren helfen. Sie sind groß oder klein, reich oder arm, mächtig oder handlungsunfähig. Ihre Zwecke sind sinnvoll, vernünftig oder idiotisch. Manche dienen vor allem der Bereicherung ihres Führungspersonals, wieder andere engagieren sich selbstlos und aufopferungsvoll für Andere, für Unterdrückte oder Schwache. Manche sind bloße Dienstleister, viele hängen am Tropf des Staates und sollten gar nicht NGO genannt werden.
Wer es trotzdem schafft, "die" NGOs über einen analytischen Leisten zu schlagen, weicht dem Phänomen nur aus - gleichgültig, ab aus denunziatorischer oder romantisierender Absicht. Viele Beiträge haben uns eine ganze Menge über die Ängste, Hoffnungen und Vorlieben ihrer Autoren verraten, aber bedauernswert wenig über den Gegenstand der Debatte. Das dürfte zum Teil daran liegen, das nur zu oft den AutorInnen ein bestimmter, konkreter Typ von NGO im Kopf herumspukte, und sie diesen Typ mit ihren Girlanden oder Verdammnisflüchen traktierten. Als gute, deutsche Intellektuelle haben sie dann aber der Versuchung nachgegeben, ihre, im konkreten Fall und im Einzelnen oft berechtigte Kritik der fiktiven Gesamtheit der NGO zuzuschreiben. Genau so entsteht aus richtigen Bestandteilen ein monströses Gesamtbild. Wenn es denn überhaupt Sinn macht, von "den" NGOs zu reden: ihre Arbeit erfolgt im Rahmen des allgemeinen, gesellschaftlichen Machtgefüges, dessen Teil sie sind. Das als Vorwurf zu erheben wäre so absurd wie es zu ignorieren: nichts und niemand steht außerhalb dieses Geflechts, und wer irgendeine Art politisch oder ökonomisch relevanter Tätigkeit entfaltet, um so mehr. Als revolutionäres Subjekt, auch nur als kollektiv handelndes Subjekt taugen sie nicht, aber wer bei Trost ist, kommt erst gar nicht auf eine solche Idee. Auch deshalb ist es müßig, "den NGOs" entweder die gesellschaftlichen Machtverhältnisse vorzuwerfen oder sich von ihnen deren grundlegende Änderung zu versprechen. Die Bewertung der NGOs macht auf zwei Ebenen Sinn: einmal individuell, indem man die konkreten Praktiken von NGOs untersucht und an ihren Ansprüchen und ihrem politisch-sozialen Kontext misst. Zweitens lässt sich auf einer weit allgemeineren Ebene prüfen, ob und inwieweit NGOs zu einer funktionierenden, lebendigen Zivilgesellschaft beitragen. Um Missverständnisse zu vermeiden: dabei kann es nicht darum gehen, eine Romantisierung der NGOs durch eine der Zivilgesellschaft zu ersetzen. Denn deren Existenz ist nichts sonderlich Positives - sondern ihr Fehlen ein Defekt. Zivilgesellschaft ist weder links noch rechts, weder fortschrittlich noch reaktionär, sondern bedeutet nur, dass die Subjekte der Gesellschaft die Möglichkeit haben, ihre Interessen organisiert zum Ausdruck zu bringen, und es in einem gewissen Maße auch tun. NGOs sind in diesem Rahmen einfach zielgerichtete Zusammenschlüsse von BürgerInnen, soweit sie nicht primär erwerbsorientiert sind.
Das Fehlen solcher Artikulationsmöglichkeiten kann Gesellschaften lähmen, aber ihre Existenz bedeutet noch nicht, dass die Gesellschaft ihre Probleme löst, dass sie besonders menschlich oder lebenswert wäre. Zivilgesellschaftliche Aktivitäten entspringen ja nicht selten nur dem Bedürfnis, schwere Defizite zu beheben, was aber durch Privatinitiative allein selten gelingt. Oder: organisierte Treibjagden auf Ausländer durch Banden von Skinheads sind Ausdrucksformen der Zivilgesellschaft, auf die viele lieber verzichten würden. Die Möglichkeit, gesellschaftliche und individuelle Interessen und Bedürfnisse auszudrücken, ist prinzipiell wichtig. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass viele dieser Ausdrucksformen nicht oft banal, lästig oder gar destruktiv sein könnten. Die Verteidiger "der NGOs" verteidigen meist nicht diese, sondern ihr eigenes, romantisiertes Bild von ihnen, und die kritischen Kritiker haben alle Hände voll zu tun, Pappkameraden aufzubauen, um sie dann wieder flachzulegen. Dabei wollen wir lieber nicht stören. Wenn die Freitag-Debatte ein Ergebnis hatte, dann dies: die Probleme der NGOs liegen auf zwei Ebenen - einmal im Detail ihrer konkreten Arbeit, wo es genug Konflikte, Illusionen, Verdienste und Versagen gibt. Und zweitens darin, dass sie immer wieder als Projektionsfläche herhalten müssen, um mal als Finsterlinge, mal als Lichtgestalten zu dienen. Beides ist sicher gut gemeint, überfordert und überschätzt die NGOs aber. Die Realitäten sind viel trivialer.
Bisherige Beiträge:
Ausgabe 43: Parlamentarier
Ausgabe 43: Schön, wenn Kapitalparteien "erschöpft" wären
Ausgabe 44: Locker bleiben!
Ausgabe 46: Des Parteiengesetzes streichen Bündnis 90/Die Grünen
Ausgabe 47: Des Parteiengesetzes streichen Bündnis 90/Die Grünen
Ausgabe 48: Fraktionszwang
Ausgabe 48: Fraktionszwang und Geschlossenheit
Ausgabe 50: Die Verhältnisse schreien nach Veränderung
Ausgabe 50: Absturz statt Höhenflug
Ausgabe 51: Standbeinsuche
Ausgabe 03: Der Staat und die Zivilgesellschaft
Ausgabe 03: Gewähren und entziehen
Ausgabe 04: Womit die Nichtregierungsorganisationen regieren
Ausgabe 05: Eine neue Gesellschaft
Ausgabe 06: Hilfe aus dem Norden
Ausgabe 07: Verhaltenskodex - ein schillerndes Instrument
Ausgabe 07: NGO ist ein Arbeitsstil - und immer falsch
Ausgabe 08: Realitätssüchtige Alltagspolitik
Ausgabe 08: Selbstschutz gegen Kungelneigung
Ausgabe 08: Die globale Kooperationsgemeinschaft
Ausgabe 10: Scheitern inklusive
Ausgabe 10: Die Basis
Ausgabe 10: Die Akteure
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