Todesurteil

ÖCALAN-PROZESS Wenn Verbrecher einen Mörder richten

Alle haben es vorher gewußt, aber gestimmt hat es trotzdem: PKK-Chef Abdullah Öcalan ist zum Tode verurteilt worden. Der türkische Staat hat nun die Person abgeurteilt, die durch ihren Kampf zum Symbol des kurdischen Freiheitskampfes wurde. Ankara hofft, mit dem Anführer der PKK auch die kurdische Sache zur Strecke gebracht zu haben.

Der Prozeß war ein politischer, und etwas anderes hätte er auch kaum sein können. Aber sein Problem lag darin, daß hier ein Staat richtete, der selbst in großem Umfang Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen hat, vor allem in Kurdistan. Und genau dieser Staat saß über eine politische Figur zu Gericht, die - selbst ein Verbrecher ist.

Abdullah Öcalan ist ein Symbol des kurdischen Kampfes, aber er ist zugleich ein Mann, der vor Brutalitäten und Mord an türkischen und kurdischen Zivilisten nicht zurückschreckte. Öcalan ist auch der Mann, der die kurdische Politik in das stählerne Korsett von Personenkult und stalinistischen Praktiken gesteckt hat. Die Option einer demokratischen Politik der Kurden wurde zwischen der Brutalität des türkischen Militärs und dem Stalinismus Öcalans zerdrückt.

Der Verurteilte ist also zugleich das Symbol eines Freiheitskampfes und ein Mörder, und der zu Gericht sitzende Staat zugleich eine Demokratie und ein verbrecherisches Regime, das schwerste Menschenrechtsverletzungen begeht. Deshalb hatte der Prozeß so viele Facetten: einerseits die Fiktion, hier würde ein Rechtsstaat nur einen Rechtsbrecher aburteilen; andererseits die stellvertretende Verurteilung jeglicher kurdischen Politik in Person des PKK-Chefs.

Aus diesem Dilemma gab es kein Entrinnen: Öcalan ist schuldig, so schuldig wie die türkischen Generäle es sind. Aber seine Verurteilung trifft nicht nur ihn, sondern auch die Hoffnungen und die kulturellen und politischen Rechte des kurdischen Volkes. Letztlich ist Öcalan eben nicht für seine Verbrechen verurteilt worden - sonst stünden die türkischen Militärs ebenfalls vor Gericht. Sondern er wird als Ketzer zum Tode verurteilt, der die kemalistische Staatsideologie dadurch entweihte, daß er überhaupt kurdische Politik betrieb.

Öcalans Verteidigungsstrategie beruhte darauf, der Hinrichtung zu entgehen, indem er sich als Werkzeug zur Bändigung der PKK und der Einbindung der Kurden in den türkischen Staat anbot. Seine Fans scheint dieser Schwenk nur kurzzeitig irritiert zu haben, während ideologische Linienrichter lediglich Verrat diagnostizieren konnten.

Aber so einfach liegt die Sache nicht. Einmal muß die kurdische Bewegung zur Kenntnis nehmen, daß spätestens mit der Festnahme Öcalans ein militärischer Weg zu einem unabhängigen oder autonomen Kurdistan nicht mehr existiert - es ihn vermutlich aber nie gegeben hat. Nicht nur deshalb sind viele der Vorschläge und Einschätzungen Öcalans während des Prozesses vernünftig. Nur: Sie wirken trotzdem hohl, taktisch, opportunistisch, weil Öcalan sie erst seit seiner Flucht aus Syrien und während des Prozesses vorgebracht hat. Eine entsprechende Initiative als freier Mann und aus freiem Willen wäre ein Zeichen von Mut und Weitsicht gewesen. So aber wirken die gleichen Äußerungen nur, als wolle er seinen Kopf retten. Das nimmt ihnen viel an Glaubwürdigkeit. Angst ist ein legitimes Gefühl, aber bei einem Mann, der von seinen Leuten immer nur Heldentum und Todesmut verlangte, wirkt sie jämmerlich.

Das Todesurteil bedeutet Emotionalisierung und die Gefahr einer weiteren Radikalisierung kurdischer Politik - genau in dem Moment, wo sie stark geschwächt ist. Die Resignation vieler Kurden einerseits und der Rückzug einer Minderheit in einen nicht vermittelbaren Radikalismus andererseits wäre für die türkischen Nationalisten ein Geschenk des Himmels. Vieles wird nun davon abhängen, ob Öcalan tatsächlich hingerichtet wird. Und das ist eher unsicher: Zwar drängen viele türkische Politiker massiv darauf, aber es gibt erste Hinweise, daß die politische Elite sich durch einen Trick aus dem Dilemma befreien möchte: Der Trick heißt Verschleppung. Öcalan wird vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das Urteil klagen, und das Verfahren jahrelang dauern. Wenn ein Todesurteil in der Türkei aber nicht innerhalb von zwei Jahren vollstreckt wird, muß es automatisch in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt werden. Hier bestehen also gesichtswahrende Möglichkeiten, einer weiteren Verschärfung der Situation zu entgehen, indem die Todesstrafe nicht vollstreckt wird.

Der Prozeß ist vorbei, aber der Kurdenkonflikt und die Menschenrechtsverletzungen bleiben. Wäre der ethische Anspruch des Kosovo-Feldzuges mehr als bombastischer Moralismus gewesen, dann wäre genau jetzt der Zeitpunkt für eine robuste Friedens initiative von EU und NATO.

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