Schluss mit lustig

Finale Ein letztes Mal kommt der berühmte Agent Smiley aus der Kälte. John le Carrés „Das Vermächtnis der Spione“ ist düsterer als alle seine Vorgänger
Ausgabe 45/2017

Dies soll nun der Schlussakkord einer sorgfältig komponierten Abschiedssymphonie sein. Seit Längerem hat John le Carré auf seiner Website verkünden lassen, er arbeite intensiv an seinem letzten Roman. (Zwei Dutzend sind vielleicht auch genug, oder?) Zuvor hatte er noch einmal den Verlag gewechselt, offenbar mit dem Wunsch, künftige Ausgaben seiner Werke möchten das traditionelle Klassiker-Signet von „Penguin“ tragen (die deutschen Ausgaben erscheinen – unter dem Dach von Penguin Random House, also Bertelsmann – weiterhin bei Ullstein). Eine faktenreiche Biografie von Adam Sisman war 2015 nicht gerade im Auftrag, aber doch mit Unterstützung des Meisters herausgekommen; bald darauf lieferte er selbst einen anekdotischen Band mit dem Titel Der Taubentunnel. Den neuen Roman hat der sonst eher zurückhaltende Gentleman in den letzten Wochen, also rund um seinen 86. Geburtstag, mit repräsentativen Veranstaltungen begleitet – in der Royal Festival Hall zu London wie auch, als treuer Freund seiner deutschen Leser, in der Hamburger Elbphilharmonie.

All dies dient einer Strategie der Selbstkanonisierung als moderner Klassiker; vermutlich hat seit Raymond Chandler kein Genreautor so energisch seinen Kunstanspruch angemeldet wie David Cornwell alias John le Carré. Dies nicht ohne Grund: Der prominenteste unter den jüngeren Kollegen, Ian McEwan, hat ihn kürzlich, wie zuvor schon Philip Roth, als bedeutendsten britischen Romancier der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewürdigt.

Nun also der Schlussakkord. Schon der Titel A Legacy of Spies, auf Deutsch Das Vermächtnis der Spione, signalisiert einen Rückblick, die Verschränkung von Gegenwart und Vergangenheit. Halb überraschend, halb naheliegend, dass le Carré hier auf das Buch zurückgreift, das seinen Welterfolg begründet und sein Profil als Autor dauerhaft geprägt hat, den sprichwörtlichen Spion, der aus der Kälte kam aus dem Jahr 1963. Das war ja der Roman, der kurz nach dem Mauerbau in Berlin die Zuspitzung des Kalten Krieges, aber auch die Krise traditioneller Loyalitäten in eine bündige Story fasste – „überhaupt nicht authentisch, aber völlig glaubwürdig“, wie der Autor 50 Jahre später bemerkt. Und sogar in eine symbolische Szene, als der britische Agent Leamas, ein „alter Fuchs“, und die ahnungslose junge Engländerin Liz Gold, von den eigenen Leuten getäuscht und geopfert, am Fuß der neu errichteten Mauer einen gewaltsamen Tod finden.

Das Vermächtnis der Spione erinnert nicht nur an jene Story, es vertieft und ergänzt sie durch eine Vor- und eine Nachgeschichte. Beginnen wir mit dem Ende: Peter Guilliam, ein alter Herr in den Achtzigern, einst treuer Adlatus von George Smiley, dem integren Mastermind des britischen Geheimnisses, wird aus seinem bretonischen Dorf nach London zitiert, wo er sich vor smarten jungen Juristen beiderlei Geschlechts für die alten Berliner Geschichten verantworten soll. Zwei bislang unbekannte junge Leute, ein Sohn von Leamas und eine Tochter von Liz, haben wegen der beiden Todesfälle öffentlichkeitswirksam Klage gegen den britischen Geheimdienst erhoben, der wiederum Guilliam und – in Abwesenheit – seinem Chef Smiley die Verantwortung dafür aufbürden will.

Smiley, ein Greis in Gelb

Was Guilliam in den folgenden Verhören zu verbergen und zu leugnen versucht, ist eine vorhergehende Geheimdienstoperation und seine eigene Leidenschaft für eine junge Ostdeutsche, die geheime Informationen aus dem Machtzentrum von SED und Staatssicherheit lieferte, um für sich und ihren kleinen Sohn den Weg nach Westen zu erkaufen. Als sie – ohne das Kind – in England angelangt ist, wird sie zum Opfer eines Stasi-Killers, der aber nicht bestraft, sondern von Smiley „umgedreht“ wird – das ist eben jener Ex-Nazi Mundt, der dann im Spion als Doppel- und Dreifachagent sein Unwesen treibt und letztlich auch für den Tod von Liz und Leamas verantwortlich ist.

Trotz dieser einigermaßen komplizierten Zeitschichtung ist Das Vermächtnis der Spione ein relativ schlankes Buch, aber auch ein sehr düsteres: Le Carré verzichtet völlig auf die humorvollen, ja komischen Töne, mit denen er manche seiner früheren Bücher aufgehellt hat. Weite Strecken der Vergangenheitshandlung werden nur aus den Akten deutlich, die wir mit Guilliam zu lesen bekommen. Wobei le Carré seine stilistische Souveränität auch an diesem spröden Material bestätigt, dem er ganz unterschiedliche Tönungen verleiht. Dass aber die Konstruktion der Handlung insgesamt unsere Gutgläubigkeit arg beansprucht, dass wir manche Winkelzüge nur mühsam nachvollziehen können – das ist bloß mit viel gutem Willen als typischer „Altersstil“ zu erklären.

Smiley zum Beispiel, den wir seit dem ersten Roman von 1961 kennen, wurde schon Anfang der 1970er Jahre aus dem Ruhestand zurückgeholt, müsste jetzt also weit über hundert Jahre alt sein. Nun treffen wir ihn, der berühmt war für seine „schlecht sitzenden“ teuren Anzüge, als modebewussten Greis in gelben Cordhosen und rotem Pullover. Und wo hat er die ganze Zeit gesteckt? Im „Kollegiengebäude III“ (so auch im englischen Original!) der Universität Freiburg, in einem „Lesesaal für Gastdozenten“, ziemlich genau dort, wo sich tatsächlich das Germanistische Seminar befindet. Seine Fans wissen natürlich um Smileys Begeisterung für die deutsche Barockliteratur, und erinnern sich auch, dass le Carré die Freiburger Uni schon 1983 als Schauplatz für den Sprengstoffanschlag eines palästinensischen Kommandos benutzt hatte (im Roman Die Libelle, damals ganz ohne Smiley).

Hier also spürt Guilliam, der sich dem Zugriff der früheren Dienstherren mit Hilfe seines französischen Zweitpasses entzogen hat, Smiley auf. Ein „unverhofftes Wiedersehen“, eine letzte Gelegenheit, nochmals die Fragen aufzuwerfen, die le Carré von Anfang an gepeinigt haben. Rechtfertigen „unsere Werte“ all die dubiosen Mittel, die nicht besser sind als die unsrer Feinde? Wofür das alles? Für England? Früher einmal, gewiss. Aber heute? „Welches England?“, fragt Smiley, als wolle er der heutigen Premierministerin und ihrem irrlichternden Außenminister Kontra geben: „Ganz allein England, Bürger von Nirgendwo?“ Und dann, doch ziemlich überraschend: „Wenn ich ein unerreichbares Ziel hatte, dann das, Europa aus dem Dunkel in ein neues Zeitalter der Vernunft zu führen.“

Das Bekenntnis zu Europa ist aktueller politischer Klartext, der freilich mehr nach David Cornwell alias John le Carré klingt als nach George Smiley. Für den ist das allerletzte Wort des Romans, aus der Feder von Guilliam, eben doch sehr viel charakteristischer: ein durch und durch zweideutiges „England“.

Wir aber gestatten uns als Abschiedsgruß an den geschätzten Autor einen Satz, den er vor langer Zeit – im Russlandhaus von 1989 – dem liebenswürdigsten seiner scheiternden Helden zugeschrieben hat: „Er kannte ein weit besseres England, und das lag in ihm selbst.“

Info

Das Vermächtnis der Spione John le Carré Peter Torberg (Übers.), Ullstein Verlag 2017, 320 S., 19,99 €

Die Bilder des Spezials

Terje Abusdal lebt und arbeitet in Oslo. Für seine Reihe Slash & Burn erhielt der 1978 im norwegischen Evje geborene Fotograf den renommierten Leica Oskar Barnack Award.

2014 studierte er in Aarhus an der Dänischen Schule für Medien und Journalismus und besuchte anschließend mehrere Meisterklassen. 2015 veröffentlichte er sein erstes Fotobuch Radius 500 Metres. In seinen Arbeiten, die in Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen sind, widmet er sich vor allem den Themen Identität und Migration. Die Reihe Slash & Burn entwickelte sich zu einem Langzeitprojekt. Was bedeuten Tradition und Mystik? Wann gehört man zu einem Land, zu einer Gruppe? In Slash & Burn gelingt Terje Abusdal eine magische Annäherung an die Waldfinnen, eine historische naturverbundende Volksgruppe in Skandinavien. Bei ihnen sei „ganz unabhängig von deinem ethnischen Ursprung – das Kriterium der Zugehörigkeit eindeutig: Man spürt es einfach“. Die Bilder aus Slash & Burn erscheinen 2018 im Kehrer Verlag. Im Internet findet man Zugang zuseinem Werk unter: www.terjeabusdal.com

Jochen Vogt ist Germanist, Literaturdidaktiker und gilt als einer der raren wissenschaftlichen Experten für das Genre des Kriminalromans

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