Hollywoodstar

Kehrseite II Immer, wenn er zur Tür hereinkommt, klopft er mir auf die Schulter und fragt: "Na, wie stehen die Aktien?". ...

Immer, wenn er zur Tür hereinkommt, klopft er mir auf die Schulter und fragt: "Na, wie stehen die Aktien?".

Theo ist 47, geschieden und selbständiger Reparateur, und seit einem heißen Sommertag 1994 besorgt er sich in meinem Laden ab und zu ein paar Kleinigkeiten. Damals wollte er einfach nur eine kühle Cola, und während er bezahlte, stellte er zum ersten Mal diese Frage. Bereits nach wenigen Tagen hatte sich das Ritual etabliert, und noch heute läuft es genau so ab: die Tür öffnet sich, er tritt ein und greift nicht gleich zu einer Tageszeitung oder zeigt auf eine Schachtel Zigaretten. Er klopft mir zuerst auf die Schulter, und dann erkundigt er sich nach meinen Aktien. Natürlich meint er nicht wirklich meine Aktien damit. Er könnte das auch in andere Worte packen, zum Beispiel "Na, alles Roger?" fragen, was viel blöder klänge, meinen würde er dasselbe. Und seine Stimme klänge auch dabei tief und ruhig und nach zuviel Zigaretten.

"Selbständiger Reparateur für alles, was zu Hause rumsteht und kaputtgeht", erklärt er auf Anfrage. Wer ihn zum ersten Mal reden hört, kann bei diesem Satz durchaus eine Gänsehaut bekommen. Theo hätte die perfekte Synchron-Stimme für einen Hollywood-Kommissar in einem 50er-Jahre-Film abgegeben. Stattdessen ist er unterwegs auf der Suche nach Aufträgen für die Reparatur jener Dinge, die bei Leuten zu Hause rumstehen und kaputtgehen.

Letztens die Mikrowelle von Frau Miesler, einer alleinstehenden Rentnerin, die ihm dafür zehn Gläser selbst eingemachtes Rotkraut überlassen hat. Die Sprinkleranlage bei Familie Schnoor, die etwas unkontrolliert durch die Gegend wässerte und abends um sieben regelmäßig die Stallhasen von Frau Miesler im Garten gegenüber unter Beschuss nahm. Beide Geräte hat er in den Griff bekommen. Else Miesler könnte nun jederzeit auf die Mikrowelle zurückgreifen, um ihre Hasen zu trocknen, falls die Sprinkleranlage von Schnoors wieder Mätzchen machen sollte.

Theo ist ein Mensch, der für die Harmonie in unserem Viertel wichtig ist. Ich glaube, er braucht das: nach dem Fehler suchen, ein Problem knacken und zugleich den Menschen etwas Gutes tun. Vor vier Jahren ist seine Frau ausgezogen, und seit drei Jahren sind sie geschieden, die einzige Sache, die er nicht wieder in Gang gebracht hat. Die Fehlersuche war einfach. Er hatte ein paar Mal zu oft nach der Waschmaschine von Fräulein Franke schauen müssen, und eines abends dauerte das etwas länger. Das hat ihn ziemlich durcheinander gebracht. Eine Weile musste ich seinen täglichen Part übernehmen, bis er wieder der Alte war. "So la-la", war die häufigste seiner Antworten, während ich ihm auf die Schulter klopfte. Eine nette Geste einiger Leute des Viertels hat ihn dann endgültig wieder ins Leben gerufen. Die Überraschungsparty zu seinem 44. - im Garten bei Schnoors mit einem 1A Hasenbraten von Frau Miesler. Die Franke war da übrigens auch, und man merkte, wie sehr sie ihn mochte.

"Darf ich bitten?" Mit irgend so einem Etwas im Blick forderte sie ihn zum Tanz. Die Miesler tat dasselbe bei mir, nur ohne dieses Etwas im Blick, und so ging es in die erste Runde. Strangers in the night. Anschließend wurde gewechselt. Aber nur einmal. Dann plagte die Miesler der Ischias, und auch ich wollte den beiden nicht im Weg stehen.

Vermutlich sind das die größten Gefahren in Handwerksberufen. Nicht das Arbeiten an elektrischen Leitungen oder Motorsägen mit 4000 Umdrehungen pro Minute, sondern sich um Dinge zu kümmern, die gar nicht kaputt sind. Ich möchte mir da aber kein Urteil erlauben. Wer selbst nicht zur handwerklichen Elite gehört, der hat enorme Hochachtung vor selbständigen Reparateuren. Und wenn eines jener Genies vorbeikommt und mit der tiefen, verrauchten Stimme eines 50er-Jahre-Hollywood-Kommissars fragt: "Na, wie stehen die Aktien?" und einem dabei auf die Schulter klopft, dann ist man glücklich, auch wenn gerade nichts kaputt ist.

Jochen Weeber wurde 1971 in Vaihingen/Enz geboren. Er ist der Erfinder der Poesie-Kabine "Der Autormat" (Minilesungen gegen Münzeinwurf), Fußballfan und Akkordeonspieler.


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