Aufrichtige Neugier

Nicht im Kino Jan Soldats Filme über sexuelles Leben entstehen aus einer aufrichtigen Neugier
Ausgabe 12/2014
Aufrichtige Neugier

Illustration: Otto

ODWGay. Oder Gollum. Oder Klaus. 60 Jahre alt. Schwul. Sklave. – So stellt sich der Mann vor, der in seinem fragil wirkenden Körper auf einem Bett sitzt, in Ketten. Nackt, entblößt beinahe bis auf das Skelett. Dem Augenschein nach so zerbrechlich, dass schon ein allzu scharfer Blick ihn zu verletzen drohte. Klaus Johannes Wolf ist Masochist und widmet sein Leben der Unterwerfung, dem Schmerz und dem Dienen. Erst im Sichaussetzen, im Versuch des Verschwindens vielleicht auch, der Selbstauflösung in der möglichst vollständigen Unterordnung unter die dominanten Männer, denen er dient, scheint er ganz zu sich zu kommen.

Der 30-jährige Filmemacher Jan Soldat hat Wolf eine Zeit lang durch seinen Alltag begleitet, hat den nackt ans Bett Gefesselten interviewt und gefilmt. Entstanden ist der 47 Minuten lange Por-trätfilm Der Unfertige, für den Soldat den Preis für den Besten kurzen oder halblangen Film beim Internationalen Filmfestival Rom gewonnen. Und das völlig zu Recht.

Einen Blick wie den von Jan Soldat hat es zuvor im deutschen Gegenwartskino nicht gegeben. Nach einigen Kurzfilmen ist es dem Filmemacher bereits gelungen, eine eigene, unverwechselbare filmische Handschrift zu entwickeln – einer beträchtlichen inhaltlichen Bandbreite zum Trotz.

Am Anfang von Soldats Arbeit steht eine Reihe eher punkiger, splatteraffizierter Exaltiertheiten, die im Rahmen der Chemnitzer Filmwerkstatt entstanden. Seit 2010 realisierte er dann mehrere Porträtfilme, die über das sexuelle Leben handeln; dazu gehört nun auch Der Unfertige. Mit dem gerade mal zweiminütigen Endlich Urlaub, dem rasant montierten Porträt eines leidenschaftlichen Masturbateurs, gewann er den Kurzfilmwettbewerb des Pornfilmfestivals Berlin. Zwei Jahre später war Soldat wiederum mit dem Jugendfilm Crazy Dennis Tiger für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert.

Die Berliner Volksbühne präsentiert am Abend des 24. März nun im Großen Haus drei Arbeiten Soldats, die ihren Protagonisten über deren von der Gesellschaft als deviant oder pervers abgestempelten Sexualitäten nahe zu kommen suchen. Damit verschafft das Theater Filmen ein Forum, die wegen ihrer Längen auf der Leinwand fast nur auf Festivals zu sehen sind.

Ein Tabu streift Soldat im ältesten der drei gezeigten Filme. Geliebt handelt von Zoophilie, von zwei jungen Männern, die amouröse wie sexuelle Beziehungen mit ihren Hunden führen. Die deutsche Rechtslage ist in der Frage der Strafbarkeit aktuell unentschiedener, als man meinen sollte angesichts eines Themas, das mit Empörung, Ekel, Verachtung oder Unverständnis verbunden ist.

Solches Unverständnis verbietet sich der Blick der Kamera bei Jan Soldat zwar niemals, aber arrangiert sind die Filme zuerst nach einem mitunter distanzierten, doch zärtlichen Prinzip. Eher ist es sogar so, dass des Filmemachers Unverständnis dort, wo es sich zeigt, eine besondere Qualität ausmacht: Soldats Filme entstehen aus einer Perspektive aufrichtiger Neugier, aus dem Wunsch heraus, das ihm und uns Fremde zu verstehen. Nicht um zu verurteilen oder abzuwerten und ohne jeden vordergründigen Voyeurismus, sondern um zu verstehen. Um den porträtierten Protagonisten nahe zu kommen, ohne jeden Schutzschild. Auf beiden Seiten. Jan Soldat ist ein Filmemacher, wie er im deutschen Film bisher gefehlt hat.

Die Filme Geliebt (2010, 16 Min.), Ein Wochenende in Deutschland (2013, 25 Min.) sowie Der Unfertige (2013, 47 Min.) von Jan Soldat werden am 24. März um 20 Uhr in der Berliner Volksbühne gezeigt

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