Wie Cambridge vor dem Zensor in China kuschte

Medien Auf Wunsch Chinas hatte die Cambridge University Press hunderte von Artikeln gesperrt. Jetzt rudert man zurück. Doch die Volksrepublik reagiert prompt
Ausgabe 34/2017
Der Messestand der Universität auf der Beijing International Book Fair
Der Messestand der Universität auf der Beijing International Book Fair

Foto: Greg Baker/AFP/Getty Images

Wie offenherzig mutet der „Giftschrank“ an, mit dem Bibliotheken teilweise noch heute politisch oder moralisch Anstößiges dem Zugriff entziehen. Der katholische „Index Librorum Prohibitorum“ wiederum konnte Kritikern gar als Leseliste dienen. Wie grob schließlich das Stellenschwärzen oder Herausreißen von Seiten: Die sichtbare Lücke ist ein Mahnmal der Beschränkung von Meinungs- und Pressefreiheit.

Anders dagegen digitale Zensur: Sie macht Texte gleichsam ungeschrieben und Suchergebnisse unmöglich. Das schien zu drohen, als gemeldet wurde, die Cambridge University Press (CUP) habe auf Verlangen Chinas, genauer, der staatlichen Verlags- und Pressebehörde, den Zugriff von dortigen IP-Adressen auf 315 Artikel der Fachzeitschrift China Quarterly blockiert und etwa 1.000 Buchtitel vom chinesischen Markt genommen. Von einem „Kotau“ zu reden mag politisch unkorrekt sein, aber so liest sich die Presseerklärung dazu. In ihrem Bekenntnis zur akademischen Freiheit und dem Vorsatz, das Thema bald direkt anzusprechen, wirkt sie kleinlaut. Sie bringt jedoch das Dilemma auf den Punkt: „Uns ist bekannt, dass anderen Verlagen in China ganze Sammlungen von Inhalten blockiert wurden, bis den Behörden eingeräumt wurde, den Zugang zu einzelnen Artikeln zu blockieren. Wir zensieren Inhalte nicht aktiv und werden dies auch nicht tun, sondern erwägen nur, (auf Anfrage) einzelne Objekte zu blockieren, wenn die Verfügbarkeit weiterer Inhalte auf dem Spiel steht.“ Die Alternativen heißen also, eine nachträgliche Zensur zuzulassen oder den Marktzugang ganz zu verlieren. Nun muss man zwischen Zensur von Rezeption und Produktion unterscheiden.

Dennoch scheint eine schleichende Vorzensur nicht ausgeschlossen, betont James A. Millward von der Georgetown University: Wer gelesen werden will – gerade im Land, über das er schreibt –, würde sich nun genau überlegen, wozu er sich äußere. Die Auswahlkriterien für die inkriminierten Artikel sind denkbar grob. Offensichtlich habe ein Beamter die Liste in kürzester Zeit erstellt, indem er nach Schlagwörtern wie „Tibet“, „Tian’anmen“ und „Uiguren“ suchte – was auch ein Bot könnte. Umso perfider sei das Vorgehen, so der Sinologe, weil nicht nur Autoren zensiert würden, sondern letztlich die Anliegen von Unterdrückten. Die seien der CUP offensichtlich weniger wichtig als der Marktzugang. Vor die Entscheidung gestellt, hätten etwa Economist oder New York Times lieber ganz auf China verzichtet – wobei Millward die Grenzen des Vergleichs übersieht, ist es doch für eine sinologische Zeitschrift existenziell, chinesische Kollegen zu erreichen. Mit der Marktmacht und dem Renommee der auch in China sehr geachteten Universität sollte man eigentlich in der Position sein, ein Zeichen zu setzen. Letztlich habe China, das seine Hochschulen auf Weltniveau heben will und internationale Vernetzung brauche, mehr zu verlieren.

Geht das Kalkül auf? Am Montag wurde angekündigt, dass alle blockierten Artikel wieder online sind. Angesichts zunehmender Repressalien auch gegen ausländische NGOs ist das wohl nicht das letzte Wort. Positive Kommentare im Netz zum Zurückrudern aus Cambridge wurden in China bereits zensiert, berichtete am Dienstag der Guardian.

Joe Paul Kroll ist Historiker und Lektor. Er hat von 1999 bis 2003 in Cambridge studiert

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