Leinwand politischer Bildsprache

Memes Die Kostümierungen beim Sturm auf das US-Parlament zeigen, wie die Neue Rechte die Tradition einer vormals linken Protestkultur übernommen und popkulturell ausgebaut hat
Der Auftritt mit Fellmütze zeigt, wie sich die Art und Weise kulturellen Konsums verändert hat
Der Auftritt mit Fellmütze zeigt, wie sich die Art und Weise kulturellen Konsums verändert hat

Foto: Saul Loeb/AFP/Getty Images

Als ein kleiner Teil der Anhänger Donald Trumps das Kapitol stürmte, sorgte in den sozialen Medien und Kommentaren besonders ein Detail für viel Verwunderung: Warum erschienen so viele der an dem Sturm Beteiligten bunt kostümiert? Wie konnte es sein, dass ein so „ernstes“ Ereignis von infantiler und ins Lächerliche anmutender Symbolik begleitet wird?

Um diese Frage zu beantworten, sollte sie zunächst einmal relativiert und kritisch gefragt werden, ob die Anzahl der Kostümierten in der Tat über dem gewöhnlichen Anteil an Menschen liegt, die bei derartigen Ereignissen kostümiert erscheinen. Denn schließlich sind ereignisgerechte Kleidung (zumindest was für solche gehalten wird) oder Kostümierungen auf Demonstrationen und Protestmärschen keine gänzlich neue Erscheinung.

Die meisten Organisatoren von Protestmärschen und Demonstrationen – aber eben auch viele Teilnehmer – sind sich der Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie sehr bewusst und stellen sich darauf ein. Eine extravagante Kleidung ist dabei eine der wenigen erfolgsversprechenden Strategien, um in der Bilderflut überhaupt in Erscheinung treten zu können. Fernab des Ereignisses, das uns über Bildschirme geliefert wurde, sollte aber immer auch von selektiver Wahrnehmung ausgegangen werden. Es ist eine Paradoxie des Medienzeitalters, dass – trotz der Allgegenwärtigkeit von Kameras und Aufnahmen – meist nur einige wenige aussagekräftige Bilder bei einem Großereignis auch ins kollektive Gedächtnis durchdringen. Gelungen ist dies beim Washingtoner Aufstand in jedem Fall Jake Angeli, der mit seinem bemalten Gesicht, dem nacktem Oberkörper und der Fellmütze zweifellos enorme mediale Reichweite erzeugte.

Medium Meme

Angelis Auftritt zeigt, wie sich die Art und Weise kulturellen Konsums verändert hat. Angeli bediente sich diverser Symbolen und Metaphern, die er zu einem Ganzen verwob, das von der Adressatenseite relativ schnell interpretiert, gedeutet und damit gelesen werden konnte. Angelis Körper wurde somit zur Leinwand einer politischen Bildsprache, die sehr typisch ist für das Internetzeitalter. In diesem wird das Lese-Schreib-Verhältnis zwischen Kulturschaffenden und Publikum neu interpretiert. Kulturelle Produkte werden von den Rezipienten selbst zur eigenen Kommunikation aufgenommen und frei verwendet: wir sprechen von sogenannten Memes.

Ein Meme ist ein kurzes kulturelles Produkt, das sich aufgreifen, teilen und weitergeben lässt. Die meisten Menschen, die regelmäßig das Internet nutzen, kennen vor allem die sogenannten Social Memes, also meist Bilder, die beispielsweise ein besonders eingängiges Film- oder Serienzitat aufgreifen und damit für eine neue Botschaft verwendet werden. Memes haben den Vorteil, dass sie Kommunikation dort aufgreifen, wo sie am besten funktioniert: beim Vorwissen der Empfänger. Schließlich ist gerade in der politischen Kommunikation die wirksamste Botschaft, meist diejenige, die Menschen bei ihrem Vorwissen und am besten noch ihren Gefühlen abholt. Bilder werden daher bewusst eingesetzt, aufgegriffen, weitergeführt, verzerrt und verändert, um eine bestimmte Botschaft zu transportieren.

Sie sind nie nur bloße Abbilder, sondern ein kommunikatives Medium, das quellenkritisch betrachtet werden sollte, wie etwa das im Rahmen des Aufstandes kurzzeitig kursierende Fake-Video, welches einen Mann in der Robe des Batman zeigt. Zweifellos eine passende Kostümierung, denn schließlich ist Batman eine Figur, die das Weltbild der Neuen Rechten treffend beschreibt. Wie kein zweiter Superheld steht die Figur des dunklen Ritters für den Zwist zwischen Legitimität und Legalität. Die Geschichte ist bekannt: Der einflussreiche philanthropische Milliardär Bruce Wayne erkennt, dass kriminelle und verschwörerische Kräfte die Stadt Gotham unterwandert haben. Er sieht die Macht von Polizei und Justiz geschwächt, denn auch sie scheinen in großen Teilen bereits unterwandert. Einen ähnlichen Blick auf den Staat haben zweifellos auch in der Realität Trumps Anhänger.

Nachfahre der 68er

Tatsächlich stammt das Video wohl jedoch von einer Black-Lives-Matter-Demo aus dem Juni 2020. Dennoch wurde es in den sozialen Medien im Kontext des Washingtoner Aufstandes geteilt und so zum viralen Phänomen. Die Netzcommunity fand für den Protest auf diese Weise jene Bilder, die die bloßen Abbilder nicht hergaben und fügte sie zu einem Gesamtkunstwerk zusammen. In der Sozialwissenschaft wird auch aus diesen Gründen bereits die These diskutiert, inwiefern politische Diskurse immer stärker memeifizieren.

Auch die Neue Rechte ist sich der Bedeutung visuell erzählerischer Medien bewusst und setzt diese immer bewusster und zielsicherer ein. Das Medium wird zur Message: Die Politologin Angela Nagle beschreibt in ihrem Buch Kill All Normies wie die Neue Rechte sich über die vergangenen Jahrzehnte verstärkt Techniken einer einst als links (oder in den USA „liberal“) geltenden Protestkultur angeeignet hat. Sie beschreibt eine Haltung, die sie „Transgression“ nennt, was man im Deutschen am ehesten mit „Überschreitung“ übersetzen kann. Darunter beschreibt sie ein tabubrechendes, störendes Verhalten im Sinne der Sache. Einst hätten linke fortschrittliche Proteste versucht, die hegemoniale Kultur zu stören. Diese Protestkultur war und ist vor allem eine mediale. Insbesondere die Friedens- und Umweltbewegung, die Hippiekultur und die Neuen Sozialen Bewegungen prägten eine bunte Protestkultur aus störenden Inszenierungen, wie den Happenings. Auch Kunst, Kultur und Kleidung umfassten die politische Ebene. Wenn die Inszenierung von Jake Angeli daher heute als störend oder dem Ereignis gar nicht angemessen erscheint, so ist dies auch eine historische Parallele in die Zeit, als die Kleidung der Jugendkultur der 1968er auf die Elterngeneration besonders schockierend wirkte. Die politischen Zielsetzungen mögen gänzlich andere sein, aber die dahinterliegende Protestkultur ist ein direkter Nachfahre eben der 68er.

Auch wenn diese Protestkultur infantil und der Sache nicht angemessen zu sein scheint: genau diese Wirkung ist beabsichtig. Die Störung selbst ist eine Form von Wirksamkeit, die Erregung öffentlichen Ärgernisses ein kleiner Triumph. Im Kontext der Neurechten wird dieser wirksame Protest meist „Trollen“ genannt. Im Fall des Washingtoner Protests hat zumindest die Trump-Bewegung nicht zum ersten und vermutlich auch nicht zum letzten Mal auf dieses Stilmittel politischer Inszenierung zurückgegriffen. Gerade weil mit Joe Biden ein Präsident folgt, der für derartige Späße nicht zu haben sein und damit für solche dann doch umso empfänglicher wird. Der Washingtoner Aufstand hat auf diese Weise noch einmal deutlich vor Augen geführt, wie die Neue Rechte immer stärker die Rolle des Provokateurs im politischen System einnimmt und für sich kultiviert. Und diese Entwicklung ist nicht allein eine US-amerikanische.

Jöran Klatt ist Politik- und Kommunikationswissenschaftler. Er war Redaktionsmitglied bei INDES – Zeitschrift für Politik und Gesellschaft und Mitarbeiter am Institut für Demokratieforschung. Klatt arbeitet im Deutschen Bundestag für einen Abgeordneten

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Schreibt über Politik und Populäre Kultur.

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