Im Rausch der Leistung

Gehirndoping Früher sollten Drogen von gesellschaftlichen Zwängen befreien, dagegen machen die Neuro-Enhancer von heute süchtig nach Arbeit

Heute schon gedopt? Wahrscheinlich ja. Auf jeden Fall dann, wenn Sie zu den Kaffeetrinkern gehören. Koffein ist noch immer der Deutschen liebster Wachmacher und das populärste Fördermittel für die Konzentration. Seit einiger Zeit rücken jedoch neue Mittel ins Licht der Öffentlichkeit – Medikamente, die in dem Ruf stehen, Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit zu erhöhen. Die Rede ist vom „Neuro-“ oder „Cognitive Enhancement“, der Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit über das Normalmaß hinaus. Arzneimitteln wie Modafinil oder Ritalin wird nachgesagt, sie könnten den Geist auf Trab bringen. Äußerst wenig davon wurde bislang im wissenschaftlichen Versuch oder der Praxis bestätigt. Die Antwort auf die Frage, warum die pharmakologischen Helfer gleichwohl in der Diskussion stehen, ist kurz: Sie sind Zeichen einer veränderten Kultur des Drogenkonsums, die statt auf Ekstase und Entspannung auf Leistung und Durchhalten setzt.

Noch haftet den Hirnmedikamenten das Image klinischer Reinheit und Sicherheit an. Gefördert wird diese Wahrnehmung auch durch Initiativen von Wissenschaftlern, die eine Diskussion über die Möglichkeiten und für die Akzeptanz des Hirndopings anzustoßen versuchen (siehe Kasten). Doch diese Sichtweise könnte schnell kippen, sollten die eingesetzten Wirkstoffe in den Schwarzmarkt abgedrängt werden, mitsamt den hinlänglich bekannten Begleiterscheinungen. Es wären nicht die ersten Substanzen, die den Weg vom Medikament über den psychedelischen Geheimtipp bis in die Schmuddel­ecke genommen hätten. Es sind eben primär die Konsummuster, die jede Substanz, jedes Medikament zum Suchtmittel werden lassen können. Und in einer leistungsorientierten und zugleich pharma-affinen Gesellschaft liegt es nahe, zu vermuten, dass sich jene Mittel schnell durchsetzen, die versprechen, für den Arbeitsalltag fit zu halten.

In der Diskussion über „Neuro-Enhancern“ geht es also in erster Linie um Substanzen, die Menschen stromlinienförmig agieren lassen. Damit sind die Rahmenbedingungen andere als zu Zeiten, in denen psychoaktiven Substanzen ein persönliches wie gesellschaftliches Veränderungspotenzial zugesprochen wurde. LSD und Psilocybin beispielsweise können tief in die Seelenlage eingreifen und tatsächlich die seelische Verfasstheit eines Menschen grundlegend ändern. Genau aus diesem Grund werden sie nach langen Querelen zurzeit wieder in psychologischen Pilotstudien in der Schweiz getestet. Cannabis, das klassische Entspannungsmittel der Alternativkultur, dient den Konsumenten heute immer noch dazu, ihre Gedanken aus allzu engen Alltagsverhaftungen zu lösen.

Amphetamine liegen vorn

Anfang und Mitte der neunziger Jahre erfuhren die Halluzinogene der sechziger ein Revival, inzwischen sind diese Drogen auf der Beliebtheitsskala nach unten gerückt. Im Gegenzug trat die einstige Schicki-Droge Kokain einen Siegeszug an, der bis heute anhält. Die Zahl der Kokain-Konsumenten in Europa hat sich nach UN-Angaben zwischen 1998 und 2008 von etwa zwei Millionen auf 4,1 Millionen mehr als verdoppelt. Zugleich kündigt sich laut UN ein neuer Trend weg von den Opiaten an. Weltweit nehmen mittlerweile mehr Menschen synthetische Stimulanzien wie Amphetamin („Speed“) als Opiate, die lange Zeit präferiert wurden.

Die Entwicklung hin zu leistungsfördernden Drogen spiegelt sich im legalen Raum in den „Neuro-Enhancern“ wie Ritalin und Modafinil. Das nun ausgerechnet diese und andere primär leistungssteigernde Medikamente dazu beitragen sollen, einen kreativen Umgang mit sich selbst und seinen Mitmenschen zu fördern, wie das von einigen Autoren gewünscht wird, verwundert allerdings. Wer die Mittel schon einmal probiert hat, wird bestätigen, dass einem da nicht das Herz aufgeht, sondern man eher die Pobacken zusammen kneift. Funktion und Wille des Einzelnen werden in den Vordergrund des Denken und Fühlens gerückt. Genau deshalb wurde beispielsweise Modafinil bei den britischen Truppen in Afghanistan und Irak eingesetzt. „Neuro-Enhancer“ sind also Teil einer affirmativen, technisch-kulturellen Praxis, die inzwischen selbst die Art der Bewusstseinsveränderung durch psychoaktive Substanzen erfasst hat.

Jede kleine Macke ein Syndrom

Wie aber soll eine Gesellschaft mit solchen Mitteln umgehen? Die Autoren des Hirndoping-Memorandums sehen zunächst den Einzelnen am Zug. Er solle sich in jedem Einzelfall fragen, weshalb er Konzentrationspillen einnehme. In einem liberal orientierten Gemeinschaftsgefüge ist es nur folgerichtig, auf individuelle Redlichkeit zu setzen. Doch natürlich ist der Einzelne in seinen Entscheidungen beeinflusst durch die Rahmenbedingungen, in denen er lebt. Und in einer Gesellschaft, die im Schneller, Höher, Weiter ihr Heil sucht, funktioniert die Methode, Grenzziehungen dem Individuum zu überlassen, nur bedingt. Denn Eigenverantwortung setzt zum einen den mündigen Konsumenten voraus und vernachlässigt zum anderen dessen Einbettung in das moderne Leistungssystem. Schon Marx sprach vom „stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse“. Heute, so scheint es manchmal, wird mit erhöhter Subtilität eine Wahlfreiheit vorgegaukelt, die letztlich doch nur wieder das Funktionieren in der Arbeitswelt garantieren soll.

Und geht es nicht um Arbeit, so geht es um die Eliminierung unerwünschter Persönlichkeitseigenschaften; ein seltsames Phänomen einer Zeit, die droht, aus jeder kleinen Macke ein Syndrom zu machen. Selbst Schüchternheit gilt heute als behandlungswürdige Sozialphobie. Psychologen, Wissenschaftler, Ärzte und Pharma-Unternehmen spielen hier eine zentrale Rolle. Sie alle tragen dazu bei, dass der Katalog psychischer Krankheiten seit Jahren immer länger wird. In einem solchen Klima erscheint es vielen kaum noch als paradox, sich eher Gedanken darüber zu machen, wie man den immer höheren Anforderungen der Leistungsgesellschaft durch Medikamenteneinnahme gewachsen ist, als sich darum zu kümmern, wie eine möglichst humane Gesellschaft aussehen könnte. Die Frage die „Neuro-Enhancement“ stellt, geht also weit über die pharmakologische Beeinflussung des Geistes hinaus: Wie kann künftig die Grenze zwischen Selbstgestaltung und Selbstausbeutung gezogen werden?

Verbotsreflexe helfen nicht

Sicher steht es im Rechtsstaat jedem grundsätzlich frei, „über sein persönliches Wohlergehen, seinen Körper und seine Psyche selbst zu bestimmen“. Nur hat diese Freiheit eben ihre Schranken, wo die Freiheiten und Rechte Anderer betroffen sind. Es ist diese rechtliche Konstruktion, die spezifische psychoaktive Substanzen auf der Verbotsliste landen lässt, weil ihr potenzieller Nutzen im Vergleich zu ihrem potenziellen gesamtgesellschaftlichen Schaden als gering beurteilt wird. Provokativ gesagt: Der von manchen Intellektuellen als „Neuro-Enhancer“ genutzte Wirkstoff Kokain steht deshalb im Betäubungsmittelgesetz, weil eine Ausbreitung seines Konsums als sozial zersetzend gilt. An der Reglementierung des Konsums psychoaktiver Substanzen beißt sich die akzeptierende wie die konservative Drogenpolitik seit Jahrzehnten die Zähne aus. So entstehen einerseits viele Probleme erst durch die Kriminalisierung der Konsumenten – auf der anderen Seite beendet der freie Zugang zu reinem Stoff nicht die Verelendungsprozesse der Süchtigen.

Es ist kein Zufall, dass die nun diskutierten Substanzen keine kreativen oder gar spirituellen „Helfer“ sind, sondern pure Antriebsdrogen. Entsprechend gering ist ihr transformierendes Potenzial, und Kritiker vermuten wahrscheinlich nicht zu Unrecht, dass sie auch deshalb noch nicht in die Schusslinie der drogenpolitischen Wächter geraten sind. Ändern wird sich das wohl erst, wenn der erste Klassenausflug statt auf Wodka-Red Bull auf Modafinil gesetzt hat. Und dann, so viel lässt sich vorhersagen, greifen nicht die wissenschaftliche Diskurse, sondern die klassischen Mechanismen von Schuldzuweisung, Sündenbocksuche und Verteufelung. Spätestens dann wird auch das Stichwort der „Einstiegsdroge“ fallen. Die Frage ist also, wie man die Fehler und Verbotsreflexe der herkömmlichen Drogenpolitik verhindert. Gefragt sind Regulierungsinstrumente jenseits eines an die Person adressierten Verbots.

Sieben Experten haben sich im vergangenen November mit einem Memorandum in der Zeitschrift Gehirn & Geist an die Öffentlichkeit gewandt. Die Schrift erörtert potenzielle Möglichkeiten und Probleme eines künftigen Gebrauchs von Neuro-Enhancern.

Die negative Suggestion des Begriffs Hirndoping wollen die Autoren nicht unterstützen. Ihre Ausgangsposition ist das Recht des Menschen über seinen Körper, sein Wohlergehen und seine Psyche selbst zu bestimmen. Der Eingriff in die Natur des Menschen dürfe aber nur mit größter Sorgfalt erfolgen.

So könnten Persönlichkeitsveränderungen durch Neuroenhancer im Sinne eines gestützten Selbstbewusstseins zum Beispiel positiv sein. Andererseits führte allein die Möglichkeit der Einflussnahme eventuell zu einer Abwertung von Persönlichkeitsmerkmalen.

Die Autoren des Memorandums sprechen sich weder für noch gegen Neuroenhancer aus. Ihr Ziel ist, die Debatte frühzeitig in die Öffentlichkeit zu tragen. Das vollständige Memorandum im Internet: gehirn-und-geist.de/memorandum

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