Es ist eine echte Hochkaräter-Versammlung. „That's what HipHop is,“ sagt Jay-Z irgendwann, "it’s the emotion“ und nickt zufrieden mit den Beats, die Timbaland gerade am Mischpult bearbeitet. Im Hintergrund ist Rapper Swizz Beats offensichtlich begeistert. Rick Rubin liegt derweil meist entspannt auf dem Sofa, mit Wallebart, klar, der ist sein Markenzeichen. „Great, beautiful“, lässt er hören. Pharrell Williams trommelt in einer Pause mit den Fingern mal eben schnell einen Drumloop auf den Tisch, alle nicken begeistert, den müsste man gleich so aufnehmen, meint Jay-Z begeistert. Er ist hier der Macher, der Musikphilosoph, der Visionär. Nebenbei telefoniert er oder wischt sich durch sein Tablet. So sieht also Studioarbeit in der Belle Etage aus. Authentisch ist davon vermutlich nichts. Denn es ist ein drei Minuten langer Werbespot. Eine Inszenierung für 20 Millionen Dollar.
Um die 2.000 Euro kosten sie immer noch in den üblichen Gebrauchtwagen-Foren: die Golf der Pink Floyd- oder Rolling Stones-Collection. 1994 ging der VW-Konzern neue Marketing-Wege und setzte für sein wichtigstes Produkt in bisher nicht gekanntem Umfang auf sogenanntes „Co-Branding“ mit Rockstars. Es war – die Anzahl der heute noch erhältlichen Altwagen spricht deutlich dafür – eine sehr erfolgreiche Marketing-Aktion, zumindest geschäftlich gesehen. In Sachen Image sah das hingegen deutlich anders aus. Denn schon vor zwanzig Jahren galten Pink Floyd, die Rolling Stones, Genesis oder Bon Jovi – von all diesen gab es VW-Editionen – als popkulturell kaum mehr satisfaktionsfähig, das offensive Fan-Bekenntnis in Form eines entsprechenden Wagens als deutlicher Ausweis von Alte-Säcke-tum. Auch für Gutmeinende überspannte VW den Bogen allerdings deutlich, indem man die europäischen Konzerte der Musiker mit Unmassen von VW-Flaggen förmlich zuballerte. Bei den Stones war es die enorm gut laufende „Voodoo Lounge Tour“. 30 Millionen Mark ließ VW allein dafür springen. In der Folge sattelte man um und setzte zur Imagebildung lieber auf – obendrein deutlich billigeres – Nachwuchssponsoring. Die VW Sound Foundation stellte Bands Tour-Vans zur Verfügung und ist in der Musikszene bis heute mit einem äußerst crediblen Namen in Erinnerung.
20 Millionen Dollar will der Smartphone-Hersteller Samsung jetzt für „Magna Carta Holy Grail“, das neue Album von Jay-Z, bezahlt haben, das offiziell am 7. Juli erscheinen soll. Drei Tage vorher schon sollen es sich eine Million Samsung-Besitzer herunter laden dürfen, ergänzt durch „exklusives“ Making-of-Material. Für den Megastar ist das augenscheinlich ein ziemlich einträglicher Deal.
Jay-Z, das muss man hierzulande immer noch vielen erklären, ist nicht erst seit jetzt der wahrscheinlich bestverdienende HipHop-Künstler der Welt, zählt zu den Groß-Mogulen des seit geraumer Zeit weltweit hegemonialen amerikanischen Mainstream-HipHops. Der Vergleich mit dem Status als Rolling Stones für eine neue Generation ist alles andere als abwegig. Künstlerisch umstritten ist er seit dem wirklich großen Erfolg vor einem guten Dutzend Jahren – man konnte das damals gut als die in der Musikszene generell übliche Diskussion um das Verhältnis von Erfolg und Massenkompatibilität werten, die von der eigentlichen Qualität der Musik eher unberührt bleibt. Bis heute ist der musikalische Output von Jay-Z auch unter Kritikern gern und heiß diskutiert, bestes Beispiel ist das schon im Titel ganz gewollt größenwahnsinnige „Watch The Throne“, sein 2011er Duo-Album mit dem nicht minder selbstbewussten Kanye West.
Wie „Magna Carta Holy Grail“ am Ende wirklich klingt, lässt sich dem Video kaum entnehmen, zu sporadisch kommt Musik dort wirklich zur Geltung. Aber man kann ein bisschen spekulieren; zeichnete doch das Team Jay-Z/Timbaland/Rick Rubin schon vor zehn Jahren für „The Black Album“. Es war die große Zeit von Timbaland, ohne dessen Mitwirkung sich kaum ein HipHop-Album eine Chance auf die Charts ausmalen durfte. Rick Rubin trat dort nach langer Zeit erstmals wieder im HipHop-Kontext in Erscheinung und lieferte mit „99 Problems“ einen Hit zu, der mit seinem (aus einem noch zehn Jahre älteren Ice-T-Gangsta-Rap-Track stammenden) „I got 99 problems but a bitch ain’t one“-Anthem bis heute in weißen Middleclass-„Black Music“-Discos prima als Anheizer funktioniert. Und „funktionieren“ wird auch dieses neue Album. Ob es allerdings „cool“ ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Die Zeiten des Großmanns-HipHop scheinen künstlerisch endgültig gezählt, nicht nur in Europa, wo sich der Publikums-Nachwuchs viel lieber auf die vergleichsweise lahmen Bedenkenträger- und Wohlfühl-Tracks der Caspers und Cros stürzt. Im HipHop-Kernland USA dominieren jüngere, inhaltlich und musikalisch deutlich eigenwilligere und oft auch weniger eindimensional deutbare Rapper wie Tyler The Creator, Kendrick Lamar oder Frank Ocean die Entwicklung. Ihr Erfolg lässt sich allerdings kaum mit dem der Altstars vergleichen. Es hat sich die schon aus dem Rockgeschäft der Vorjahrzehnte bekannte Zweiklassengesellschaft herausgebildet: Die Dinosaurier mit den Megadeals und dem saturierten Bessergestellten-Publikum, dass sich das alles auch leisten kann, sowie die zwangsläufig schmaler agierenden Club-Helden mit den spannenderen und zeitgemäßeren musikalischen Konzepten. Erstaunlich an der ganzen Sache scheint indes vor allem eins: Dass überhaupt noch jemand so viel Geld für Musik bezahlt wie Samsung. Ein Anachronismus, scheint es, jedenfalls für ein Unternehmen, dessen Produkte in diesem Maße von technologischem Standard und Zeitgeist abhängig sind, wie ein Tablet-Computer. Den trägt jedenfalls in 20 Jahren niemand mehr durch die Straßen.
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