Die „Independent Labels“ sind richtig sauer. Wie schlimm die Lage ist, lässt sich daran ablesen, dass ausgerechnet Spotify – wir erinnern uns: der Streamingdienst wird gerade von den Kleinen der Branche immer wieder wegen seiner grundsätzlich niedrigen Ausschüttungen angefeindet – als positives Beispiel herhalten muss. „Top rates“ bescheinigte ihnen kürzlich Charles Caldas, der Chef der großen Independents-Lizensierungsagentur Merlin, auf einer Konferenz in London; zumindest im Vergleich zu YouTube. Es erstaune ihn, dass ausgerechnet die größte und finanziell am besten aufgestellte aller Firmen, nämlich Google, die niedrigsten Tantiemen zahle.
Dass Caldas selbst durchaus ein Kind des fortgeschrittenen Kapitalismus ist, liegt auf der Hand. Nur jemand, der in seiner Kindheit keinen Staatsbürgerkundeunterricht erleben musste, kann ja überhaupt auf die Idee kommen, die größten Reichtümer entstünden nicht genau deshalb, weil der Gewinn eben nicht nach fairen Regeln und gleichberechtigt zwischen den Eigentümern der Produktionsmittel und allen Zulieferern von Arbeitsmaterial und -kraft aufgeteilt würde. Je größer die Firma, je lückenloser ihr Monopol und je kleiner konkurrierende Geschäftsmodelle, desto höher ist die Möglichkeit der rücksichtslosen Ungleichverteilung. Man nennt das „Ausbeutung“.
Google ist sehr, sehr groß und lässt das jeden spüren, der mit Google in einem wie auch immer gearteten, vor allem aber finanziellen Interessenkonflikt steht. Denn – so scheint die interne Businesslogik des Konzerns zu ticken – irgendwann müssen alle mitspielen, die im öffentlichen Bewusstsein überhaupt noch existieren wollen. Das gilt sowieso für Branchen, die von Öffentlichkeit ursächlich abhängig sind. Musik ist so eine Branche. Früh hat sie sich auf Gedeih und Verderb an YouTube gebunden – als enorm kostengünstige und effektive Plattform für die Präsentation ihrer Musikvideos. Die sind das Promotiontool Nummer eins, zumindest abseits des klassischen Airplay per Radio. (Radio, das sollte angemerkt werden, ist immer noch die wichtigste Plattform zum Kennenlernen von neuer Musik im umsatzträchtigen Mainstreambereich.) Inzwischen allerdings ist nicht nur der Promotion-Effekt im Blick sondern auch die konkrete Beteiligung an den Gewinnen, die mit Musik erzielt werden. Das Know-how darum und dessen konsequente Anwendung hat Google ja erst groß gemacht.
Wie stur sich Google im Zweifelsfall stellen kann, weiß man hierzulande am Allerbesten. Seit fünf Jahren schwelt der Streit zwischen GEMA und YouTube ohne den kleinsten erkennbaren Fortschritt vor sich hin, werden Videoclips mit GEMA-Rechten scheinbar willkürlich für deutsche Nutzer gesperrt. Das nervt nicht nur den Endverbraucher, sondern ebenso Künstler und Labels. Schließlich darf sich scheinbar niemand sicher sein, dass nicht das eigene Video auf schwarz gestellt wird. Dass YouTube allerdings im relevanten Einzelfall durchaus genau darauf achtet, eben nicht wahllos zu sperren, lässt sich an den relativ ungestörten deutschen Top-Sellern beobachten. Angeschmiert sind also – wen wundert’s? – immer zuerst die Kleinen, sprich: die Independents. Die rufen jetzt nach der Politik.
Ungefähr ein Drittel des Musikgeschäfts bestreiten die von den drei Majors unabhängigen Musiklabels, versammelt sind sie in Deutschland unter dem Dach des Lobbyverbandes VUT. Der will Schützenhilfe von deutschen Politikern, die übernationalen Verbände Impala und WIN wollen sich gar an die EU-Kommission wenden, um Google zur Fairness zu zwingen. Das meint die unterschiedlichen Konditionen, die in den neu zu unterschreibenden Verträgen stehen – schlechtere, als den Majors eingeräumt werden und zum Teil in Hinsicht auf die weltweiten Rechte-Freigaben für Indies nicht wirklich erfüllbare. Fällig sind die neuen Verträge im Zusammenhang mit dem vielberaunten neuen Streamingdienst von Google und YouTube, einem Bezahlmodell à la Spotify, das irgendwann in diesem Jahr starten soll und von dem an sonst schlicht und einfach noch gar nichts weiß. Außer den Vertragskonditionen für jene, die dort und im „freien“ YouTube präsent sein wollen. Wer denen nicht zustimmt, ist – theoretisch – raus. Das wäre ein herber Schlag, nicht nur wegen der doch deutlich wahrnehmbaren Einnahmen, die über YouTube-Klicks erzeugt werden, auch wegen der im Gegensatz zu Konkurrenten riesigen Reichweite und dem über die Jahre entwickelten Handling für Labels zum Ausstellen und Auswerten von Videos. Dass Google die Drohung der Sperrung wahr macht, daran zweifelt derzeit kaum jemand, schließlich hat man die Hardliner-Position im GEMA-Streit deutlich vor Augen.
Selbstredend wird dabei von Independent-Seite eine Drohkulisse abwandernder User aufgebaut, schließlich sind nicht nur „unbekannte“ Künstler bei ihnen unter Vertrag, sondern auch geschäftliche und Charts-Schwerkaliber wie Adele. In Deutschland zum Beispiel sind viele der wirklich großen Bands als eigenständige Plattenfirma, also „independent“, aufgestellt. Insgesamt wäre die Sperrung all der kleinen und großen Namen für YouTube ein bemerkenswerter Schnitt ins eigene Fleisch und eine noch drastischere Verletzung des eigenen Prinzips, alles zu präsentieren, was es gibt. Absehbar ist ein noch größerer Frustrationsfaktor bei den Usern. Und der ist – auch außerhalb der GEMA-Sperren in Deutschland – nicht zu unterschätzen. Denn während im Hintergrund in Sachen Usability und Abrechnungsmodalitäten laufend verbessert wurde, präsentiert sich die Plattform von der anderen Seite des Bildschirms chaotischer denn je.
Ausgerechnet die YouTube-interne Suchfunktion – immerhin Googles eigentliches Kerngeschäft – ist dramatisch unbrauchbar, spuckt ohne Differenzierung oft genug alle möglichen Schrottversionen von Gitarrenanfängern, reine Audiospuren oder mediokre Livemitschnitte aus – nur nicht das so genannte „offizielle Video“ eines Tracks in seiner offiziell eingestellten besten Version. Obendrein sind die Werbeformate so penetrant geworden, das man sich nach den geschlossenen Werbeblöcken des früheren Musikfernsehens geradezu zurücksehnt. Aber genau das ist natürlich der Trick: Die Werbefreiheit wird in Zukunft Geld kosten. Dafür wiederum braucht es eigentlich ein möglichst umfassendes Angebot. Mitsamt Independents. Und GEMA-Segen.
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