Eine Band im Studio, man diskutiert über den Einsatz des Bass bei Bob Marley und darüber, wie sich mit dem bandeigenen Sousaphon ein ähnlicher Effekt erzeugen ließe; damit man „endlich mal wieder einen echten Hit hätte“ oder wenigstens eine handfeste „Radionummer“. „Obwohl“, so sagt Bandleader Doc Wenz später und schaut dabei etwas resigniert in die Kamera, „das noch nie funktioniert hat.“
Seine Band heißt Mardi Gras.BB, es gibt sie seit gut zwanzig Jahren. Wirklich berühmt ist sie nie geworden aber einen gewissen Kultstatus hat sie erreicht, vor allem, weil sie live tatsächlich spektakulär ist. Wer zu einem Mardi Gras.BB-Konzert geht, bekommt neben dem – zumindest hierzulande – einzigartigen New Orleans-infizierten Blechbläsersound die volle Kanne Schweiß und Herzblut und kauft sich oft genug dann wirklich gleich die CD am Merchandising-Stand. Es ist so etwas wie die Idealverkörperung des heutzutage gern leichthin gepredigten Prinzips, dass eine Band im Konzert ein Erlebnis schafft, das man sich nicht downloaden und womit man als Band auch unter neuen Bedingungen überleben kann. Nur: Es funktioniert schon jetzt nicht mehr. Oder zumindest immer schlechter. Auch für Mardi Gras.BB.
„A Silent Rockumentary“ heißt der schon formal bemerkenswerte, knapp einstündige Dokumentarfilm über Mardi Gras.BB, der dieser Tage in einigen Kinos zu sehen ist. Nur die Musik soll für die Band sprechen, das eigentlich gesprochene Wort reduziert sich auf Texttafeln. Ein Stummfilm mit Musik ist das also und dieser simple Kniff verleiht dem Gesagten eine Eindringlichkeit und einen Zwang zur Aufmerksamkeit, die man im Musikdoku-Genre sonst nur selten antrifft. Gebraucht wird diese Aufmerksamkeit vor allem für eine Botschaft: „In Zeiten illegaler Downloads und schwindendem Interesse am Schutz des Urheberrechts muss sich auch eine Kult-Band wie Mardi Gras.BB mit einem Mal die Existenzfrage stellen.“ So fasst es die Synopsis zusammen und es geht dann auch schnell um das Gleichnis vom „Freibier für alle! Lebenslang, flächendeckend, immer und überall.“ Ein Modell, das selbstverständlich nur für die gut ist, die das Bier nicht herstellen, abfüllen oder ausschenken.
Man kann das als Jammern abtun, es wäre nicht mal komplett unangemessen, schon weil ja auch die Musik der Marching-Band in einer jederzeit nachfühlbaren Tradition der Trauerzüge steht. Dass Popmusik seit jeher zyklisch agiert, dass Erfolgszyklen enden, ist ein Grundprinzip, das nur von ganz wenigen Ausnahmen bestätigt wird. Und irgendwann hat, trotz aller immer wieder propagierten Selbst-Neuerfindung, ein künstlerisches Konzept vielleicht auch einfach ausgedient, taugt es eben nicht mehr für den Geschmack der Zeit. Es gibt aber auch eine objektive Sichtweise: Die Musik von Mardi Gras.BB kann nur funktionieren, wenn ein Aufwand betrieben wird, der in krassem Gegensatz zur Entwicklung der sich immer weiter nach unten pegelnden Rahmenbedingungen des Musikmachens steht. Das fängt schon bei der Anzahl der beteiligten Musiker an, ohne die sich das musikalische Konzept auf der Bühne nicht umsetzen lässt. Es gehen nicht umsonst immer mehr Musiker solo auf Tour, geschuldet ist das nicht irgendeinem musikalischen Trend oder künstlerischer Selbstbesinnung, sondern blanker Kosten-Nutzen-Rechnung. Verschärft wird die Lage durch den deutlich wachsenden Konkurrenzdruck im täglichen Live-Angebot, es ist das einzige Gebiet, in dem ein normaler Musiker noch seinen Lebensunterhalt erwirtschaften kann.
Auch der Aufwand im Studio ist bei einer Band wie Mardi Gras.BB vergleichsweise enorm. Klassische Studioarbeit wird immer mehr von der Regel zur Ausnahme. Auch das liegt am Zirkelschluss der neuen technologischen Möglichkeiten: Es lässt sich heute am Rechner im eigenen Wohnzimmer sehr viel selbst machen. Das bringt einen Zuwachs an Unabhängigkeit für den einzelnen Musiker und senkt die Kosten des Musikproduzierens drastisch. Allerdings auch die Standards. Musik wird austauschbarer, selbstreferenzieller, soundtechnisch flacher und immer weniger „handgemacht“ (was hier nicht als Kampfbegriff für Musik-Revisionisten missverstanden werden sollte). Das schlägt in der Breite natürlich auch auf die ebenfalls austauschbareren Bühnen-Konzepte durch.
Mardi Gras.BB pflegen hingegen ein Modell des Musikmachens, das in der Jetztzeit so alt, abgeschrammt und ausgebeult anmutet wie die Instrumente, denen man ihr stolzes langes Bühnenleben ansieht. Weiterzumachen sei ein Kampf gegen Windmühlen, heißt es schon im Intro des Films. Das Hazelwood-Studio, in dem der Film entstand und das mit der Band innig verknüpft ist, existiert inzwischen nicht mehr, Mardi Gras.BB war die letzte Band, die dort aufgenommen hat. Das ganze Prinzip der aufwendigen Bandarbeit liegt im Sterben, wird allenfalls als Vintage-Nische für Liebhaber überleben, ohne Aussicht auf ein halbwegs tragbares Einkommensmodell. „A Silent Rockumentary“ ist der große melancholische und wundervoll klingende Abgesang darauf. Denn am Ende gewinnt natürlich immer die Windmühle.
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