Anti alles. Für immer. Ganz schmerzfrei

Ton & Text Gerade-noch-Twentysomething Casper gibt den politisch korrekten Anti-Star für Teenager, die mit deutschem HipHop sonst nichts anzufangen wissen

„Der Druck steigt“ heißt der lärmende und zugleich angemessen pathetische Opener auf XOXO, dem neuen Album von Casper, und er ist alles andere als willkürlich gesetzt – wird der Gerade-noch-Twentysomething aus Bielefeld doch als das Vorzeigemodell für deutschen HipHop gehandelt. Die Erwartungen sind nach vielen Vorschusslorbeeren enorm.

Nun ist es Teil der HipHop-Folklore, dass sich die Protagonisten gern als Außenseiter inszenieren, als Outlaws, die nach eigenen Regeln spielen müssen, weil die Regeln der anderen nicht passen für die Straßen und die Bühnen, auf denen sie sich beweisen müssen, um zu überleben – im übertragenen, manchmal auch wörtlichen Sinn. Der deutsche HipHop hatte diesbezüglich schon immer ein Themen-Problem, weil es mit den echten Ghettos in diesem Land eher schlecht bestellt ist und Neukölln oder Marzahn auch nach böswilligen Kriterien nicht als Bronx oder Brooklyn durchgehen. Vielleicht deshalb ist der Rap der Aggro-Generation oft so einspurig auf simpelsten Machismo reduziert.

Gegen den Szene-Strich

„Wir sind schwule Mädchen“ entgegneten die oft als Weicheier und Intelligenzia-Rapper gescholtenen Fettes Brot vor Jahren lustvoll. Es ist Caspers Kunstgriff, die Stigmatisierung als „Studentenrapper“ oder „Emo-Schwuchtel“ gleich selbst ins Spiel zu bringen, sich als einen darzustellen, dessen Anderssein gegen den Szene-Strich gebürstet ist. Es ist die immer wieder neu interpretierte Geschichte von einem, der allein gegen viele steht, der durch die Scheiße waten muss und niemals aufgibt. Caspers Lohn sind der Status als „Zukunft des deutschen HipHop“ oder gleich als „Retter“, die ganz großen Bühnen und ein Publikum, das über die schwer angeschlagene und auch für den Umsatz immer unwichtiger werdende HipHop-Zielgruppe weit hinausreicht.

Laut ist XOXO gehalten, sehr laut, mit ständig brandenden Gitarrenriffs, druckvoll getaktet durch Live-Schlagzeug-Atmosphäre, nicht durch die sonst üblichen Sequenzerbeats und in cleveren dramatischen Schüben strukturiert. Dominiert und zusammengehalten wird das allerdings durch die rauhe Stimme, die nicht umsonst als Caspers Markenzeichen gilt. „Mal bist du der Jäger, mal der Bär. Nur wenn du ein Bär sein musst, dann kämpf“ und „Echte Männer stehen auf, nur die Feiglinge nicht“, heißt es in „Das Grizzly Lied“, einem der Schlüsseltracks auf XOXO. Es ist sein zweites Album und trotzdem eine Art Debüt, denn drei Jahre nach Hin zur Sonne erfindet sich Casper praktisch neu als leidensgestählter Durchhaltetyp.

Absolut spaßfrei wird diese Katharsis betrieben, das unterscheidet Casper von den anderen, als Retter gehandelten K.I.Z., die die Messlatte für pubertäre HipHop-Fantasien konsequent unterlaufen. XOXO ist eine allgemeingültige Verzweiflung an der Welt, die letztendlich keinen vor den Kopf stößt und die ohne Obszönitäten, Tabubrüche und Dämlichkeiten auskommt.Da sich der Sound eher aus der Hardcore-Vergangenheit und Postrock-Gegenwart, denn aus der Sample-Kultur bedient, und nicht zuletzt, weil das Integritäts-Rolemodel Thees Uhlmann eingebaut wurde, ist das Potenzial ungleich größer. Das ist Musik, auf die sich Teenager aller Schichten einigen können, die niemandem weh tut, auch wenn sie das ständig vorgibt, die ein „Das schaffen wir, wenn wir standhaft und wir selbst bleiben“-Gefühl bedient, das seit jeher zur „Wir sind dagegen!“-Rebellions-Musik gehört. Auch dafür gibt es im Casper-Kosmos eine Eins-zu-eins-Übersetzung: „Anti alles. Für immer.“ Oder wenigstens bis zum nächsten Album.

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