Brot und Spielen

Ton & Text Mit dem Guten, Wahren, Schönen kann man sich kaum noch über Wasser halten. Wer von Popmusik leben will, sollte lieber gleich eine Coverband gründen

Es gilt als Gemeinplatz: Die Zeiten sind schlecht für Musiker. Dass man das nicht einfach als Jammern der Ewiggestrigen abtun kann, lässt sich inzwischen gut verdeutlichen. Denn dazu sind in letzter Zeit einige interessante Rechenexempel öffentlich gemacht worden. Wie zum Beispiel im Fall der Berliner Band Bodi Bill. Bodi Bill ist eine Band, die alles andere als gestrig wirkt, sie hat ein vom Hipster bis zum Gelegenheits-Indiehörer breit aufgestelltes Publikum, spielt gutgehende Konzerte und wird medial recht ordentlich ausgeleuchtet und empfohlen. Soll heißen: Sie ist eine der beliebtesten und am wenigsten angefeindeten Bands des Landes und – insofern man das so prognostizieren kann – an einem Peak von Erfolg und Bekanntheit angelangt, der im Rahmen des Indie-Kontextes innerhalb des Landes kaum noch zu steigern ist.

Dem bayerischen Jugendfunk On3 erzählten sie unlängst, wieviel sie 2011 von ihrem aktuellen Album „What?“ verkauft haben: knapp 5.000 „physische Einheiten“, also CDs und Vinyle und nochmal die Hälfte davon als Album-Download. Dass ein „Indiehit“ heutzutage mit 5.000 Alben zu bemessen ist, weiß man in der Branche, mit gewissem Erstaunen nimmt man denn aber doch zur Kenntnis, dass diese Größenordnung inzwischen auch für gerade wirklich angesagte Künstler gilt. Nach Abzug aller Unkosten blieben Bodi Bill von ihren Musikverkäufen im Jahr 2011 7.400 Euro, knapp 2.500 für jeden der drei Musiker. Davon leben: unmöglich. Also wird unermüdlich getourt.

„Man muss jedes Jugendzentrum und jede verpisste Matratze gesehen haben.“ So beschrieb es Lars Lewerenz vor zwei Jahren schon Spiegel Online. Lewerenz ist Gründer und Chef des seit einigen Jahren ziemlich angesagten Labels Audiolith, dessen Electropunk-Bands einen Nerv im Zahn der Zeit treffen und tatsächlich gern gesehene Gäste in jedem noch so abgeranzten AJZ der Republik sind. Audiolith gilt in der Labellandschaft als „starke Marke“, funktioniert nicht nur über die gesignten Bands, sondern auch mit eigenem Image als Ausdruck von Spaßrebellion und Politrabaukentum. Angefeuert wird das von einer kompromisslos durchgezogenen „Wir leben-Party“-Attitude, die – man muss Lars Lewerenz da nur mal früh um acht aus einem Club kommen sehen – ein echter Knochenjob ist. Die vorwiegend eher jüngere Zielgruppe von Audiolith weiß das zu schätzen, die Dichte an Shirts des Labels bei einschlägigen Festivals ist beeindruckend hoch. Auch nach objektiven Kriterien ist Audiolith eines der derzeit am stärksten aufgestellten Labels des Landes, seine Künstler sind überdurchschnittlich aktiv und es hat einen Output von mehreren Dutzend Veröffentlichungen im Jahr. Lewerenz zahlte sich 2010 1.200 Euro im Monat aus.

Nie hatten die Eltern mehr recht

Es sind zwei Momentaufnahmen aus dem oberen Bereich des Independent-Musikgeschäfts, wo gemeinhin nicht die böse Contentmafia sitzt, sondern jene, die auch nach den durchaus streitbaren Kriterien beinharter Verwerter-Verächter Fairplay gegenüber dem Musikhörer spielen. Es gibt noch andere nachlesbare Beispiele, vom Sänger der legendären Kultpunker Kassierer etwa oder vom gediegen wirtschaftenden Hamburger Tapete-Label. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie in mitunter bestürzend prekären Verhältnissen agieren. Neu daran ist, dass es auch denjenigen vergleichsweise schlecht geht, die einen renommierten Namen haben, eine beachtliche Fanbase, eine vernünftige Buchführung und keine Schulden beim Finanzamt. Nie hatten Eltern mit ihrem „Mach was Anständiges, Kind!“ mehr recht als heute, wo Popmusik doch fast schon anerkanntes Kulturgut ist, die „Szene“ angeblich allseits heftig umworbener „Kreativwirtschafts“-Standortfaktor oder wenigstens Wegbereiter der Besserverdienenden in nach und nach durchzugentrifizierenden In-Vierteln, in denen in der Folge dann auch gleich die angestammten Clubs dichtmachen müssen.

Vor gut zehn Jahren herrschte gerade in der Independent-Szene eine Hochstimmung, wie zuletzt wohl zu Postpunk-Zeiten. Man sah ja, dass die Majors mit all ihrer sturen Fortschrittverweigerung und generellen Teuflischkeit mit den neuen Zeiten nicht zurecht kamen, die „Krise der Musikindustrie“ wurde als Chance für die Kleinen begriffen – zumindest, bis sich nach und nach herausstellte, dass sich eben diese Kleinen nicht gesund- sondern nur totschrumpfen konnten. Dass der Musikhörer im Zweifelsfall auch „korrekte“ Bands lieber kostenlos hört. Dass die erhöhte Schnelllebigkeit der Trends und die somit verkürzten Erfolgszyklen dem Projekt einer längerfristigen Sicherung des Lebensunterhalts nicht zu Gute kommen. Dass man nicht einfach „im Internet“ groß wird, dass Musikblogs und Webradios kein wirklicher Ersatz für kritischen und kompetenten Musikjournalismus sind. Dass ohne Marketingbudget nicht wirklich was zu reißen ist auf dem immer enger werdenden Musikmarkt – wofür man wiederum jemanden benötigt, der nicht nur an eine Band glaubt, sondern auch bereit und in der Lage ist, das mit der Bereitstellung von Vorab-Kapital auszudrücken. Und das liegt immer noch bei den komplett neu aufgestellten Majors, die inzwischen wieder die Nase oben tragen und ihre Lana Del Reys jetzt zyklisch beschleunigt durch die diversifizierten Kanäle drücken.

Von Saal zu Saal

Angeschissen sind unter diesen veränderten Rahmenbedingungen – und das ist alles andere als neu – vor allem jene Künstler, die nicht offensichtlich mehrheitsfähig agieren, deren „Longtail“-Potenz noch lange nicht die Miete und Krankenversicherung zahlen kann. Die lieber Musik machen, als T-Shirts zu designen oder deren Musik sich schlicht nicht eignet für die Aufführung beim Konzert. Die jetzt anfangen, Musik zu machen, während die Altstars sich in Legion wiedervereinigen und den Platz für einen Neueintritt in den „Markt“ spürbar weiter verengen. Echte musikalische Kreativität ist unter diesen Umständen eher hinderlich. Benötigt wird statt dessen ein jetzt schon muffig anmutendes Mugger-Wesen, ein Denken von Saal zu Saal und in T-Shirt-Einheiten.

Wie Musikbusiness heute am Besten funktioniert, sieht man an einem der florierendsten Felder der Branche: Coverbands gehen besser als je zuvor. Und sie bekommen Gagen, von denen – sagen wir mal – Bodi Bill nur träumen können. Nach froher Zukunft sieht das natürlich nicht gerade aus.

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