Das Internet hat den Pop nicht befreit

Musikindustrie Das Web macht für die Bands alles billiger und einfacher, meint Steve Albini. Unser Kolumnist widerspricht: Kapitalismus bleibt Kapitalismus
Ausgabe 48/2014

Als Produzent von Nirvana, Fugazi, den Pixies und vielen, vielen anderen Bands sowie als Musiker der Band Shellac gilt er zu Recht als eine Art Gottgenie der Independentszene. Kürzlich hielt Steve Albini bei der australischen Konferenz „Face The Music“ eine Rede über die Lage der Musikindustrie, die natürlich schon deshalb bemerkenswert ist, weil da jemand spricht, der auch schon unter den Bedingungen der Prä-Internet-Ära aktiv war, die in diesem Business heute gern als goldenes Zeitalter dargestellt wird.

Albini hält das für Unsinn, er hat schon vor 20 Jahren das System der Musikindustrie in dem viel beachteten Essay The Problem with Music gegeißelt. Heute jedoch, erklärte er, sei das Problem mit der Majorindustrie vom Tisch, hätten Musiker bessere Chancen, ginge es trotz des Gejammers allerorten gerechter zu.

Im Wesentlichen bringt er drei Argumente vor: Es sei viel einfacher, Kontakte zu knüpfen, um Konzerte zu spielen und damit Geld zu verdienen. Musik sei heute zu einem Bruchteil der früheren Kosten zu produzieren und zu verbreiten. Außerdem mache das Internet die Majorlabels überflüssig, die ja noch nie ihre Künstler anständig an den Gewinnen beteiligten und ihnen letztendlich alle Kosten aufbürdeten. Dazu nimmt er genüsslich die in der Tat allgegenwärtige Floskel „Wir müssen herausfinden, wie sich der digitale Vertrieb für alle lohnen kann“ auseinander. „Wir“ kritisiert Albini, meine mit Sicherheit nicht die Hörer.

Was aber ist dran an der These, das Internet habe die Deformationen der Branche beseitigt? Albini gehört zu den Privilegierten: Er ist bestens in der Szene vernetzt, und Konzerte seiner Noiserockband (die wichtigste Monetarisierungsquelle für jede Band heute) lassen sich vergleichsweise einfach umsetzen. Das geht mitnichten allen Musikern so. Hinzu kommt: Vor 20 Jahren war moderne Technik – Sampling, Elektronik, Drummachines, DAT-Recording – für Albini vor allem eins: „shit“. Nun deutet er die Verbilligung des Musikmachens als positiv, als hätten die immergleichen Standardkonfigurationen eines immergleichen Equipments die Musik nicht noch austauschbarer gemacht.

Entscheidend ist ein dritter Punkt: „Für alle“ sieht der Kapitalismus schlicht nicht vor. Wer die Produktionsmittel besitzt, streicht den Profit ein und bestimmt den Wert der Arbeitskraft. Das sind nicht mehr die großen Labels und immer noch nicht die Musiker.

Die Produktionsmittel sind heute die Infrastruktur der Kommunikation, die Schnittstellen, die die großen Konzerne der Informationstechnologie kontrollieren. Die brauchen „Content“, dafür ist auch Musik geeignet. Also haben sie sich willfährige Zulieferer – die Majors – herangezüchtet und beuten den Rest rücksichtslos aus; all die Musiker, die einen Computer mitbringen, Musikproduktionssoftware, einen Internetanschluss, ungezählte Accounts bei Bandcamp, Youtube, Soundcloud, Facebook, Twitter, Instagram.

Diese Form der Veröffentlichung von Musik ist kein freierer, mehr selbstbestimmter Akt als früher. Um Albinis Essay von 1993 zu zitieren: Den „Graben voller Scheiße“, durch den die Bands bei geringer Erfolgsaussicht um die Wette schwimmen, gibt es noch immer, auch wenn kein Majorlabelvertrag mehr auf der anderen Seite lockt. Was hat sich also geändert?

Nichts Grundlegendes. Konzerne legen immer noch nach Belieben die Bedingungen fest, unter denen man für sie arbeiten darf, und alle machen mit. Die Systemfrage wird nicht gestellt.

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