Der Kunde ist König

Ton & Text Fehlende Aura, Reproduzierbarkeit, Warencharakter – mit dem Anspruch von Kunst hatte Popmusik noch nie viel zu schaffen. Wer den will, zielt mehr denn je ins Leere

Es ist wirklich kein besonders schöner Anblick: Der ziemlich berühmte DJ Ricardo Villalobos tänzelt ein bisschen verpeilt über die Bühne, nippt an seinem Drink, quatscht mit seinen Kumpels, sucht ab und an mal eine Platte raus und ist sowieso ganz augenscheinlich ordentlich zugedröhnt. Er macht also, was ein DJ im Club so macht. Das hier ist aber kein Club sondern ein EDM-Open-Air. Das Publikum ist spürbar angepisst, das Wetter ist schlecht und der Typ da vorn scheint sich nicht die geringste Mühe zu geben, dreht an keinen Knöpfchen, macht keine Herzchen-Gesten und die Musik ist nicht gerade, was man Hits nennen würde. Der Unmut schwappt ins Netz und wird zum veritablen Shitstorm, worauf hin sich etliche Verteidiger finden, die darauf bestehen, dass – und hier verkürzen wir etwas – Ricardo Villalobos eben ein ernst zu nehmender Künstler sei, die Kritik vor allem also ein Zeichen mangelnden Respekts vor der Kunst.

Das kann man so sehen. Man kann aber auch darüber nachdenken, ob das Publikum nicht einfach Recht hat. Tatsächlich steht jeder Musiker, der sich auf eine Bühne stellt, unter einem hohen Erwartungsdruck, der mit Bühnengröße und Ticketpreis steigt. Der zahlende Besucher ist am persönlichen künstlerischen und sonstigen Befinden des Protagonisten weniger interessiert als daran, seine Vorstellung von ihm befriedigt zu sehen. Der Musiker wird als Dienstleister für die Umsetzung der Projektion gesehen, die man mit ihm verbindet. Das ist nicht neu. Aber in Zeiten, in denen gerade das Konzert als hochwertiges, einzig noch „authentisches“ Musik-Erlebnis propagiert wird, muss geliefert werden. Gute Ware für gutes Geld, der Kunde ist König. Entspricht die Ware nicht seinen Vorstellungen, gibt es böse Kundenrezensionen, da ist es bei Open Airs wie bei Amazon. Nur, dass man das mangelhafte Erlebnis nicht zurückschicken kann.

Popmusik als Ware – das ist grundlegendes Wesensmerkmal von Popmusik, die eben – und da liegt ein entscheidender Unterschied zur abendländischen „Hochkultur“ – vor der eigentlichen Veröffentlichung schon immer einer Einnahmen-Überschuss-Rechnung unterzogen wurde. Und zwar in einem strengen betriebswirtschaftlichen Sinn. (Dass man nebenher auch auf einen emotionalen Mehrwert hoffte, steht dem nicht entgegen.) Popmusik, von der sich niemand Profit versprach, wurde schlicht nicht hergestellt, hat also nie außerhalb von Wohnzimmern stattgefunden. Schon deshalb, weil die Produktions- und Vertriebskosten enorm waren. Das hat sich jetzt geändert. Mit den vergleichsweise neuen Produktionsmitteln Computer und Internet lassen sich diese Kosten drastisch verringern. (Genau genommen werden sie natürlich nur privatisiert oder schlicht und einfach nicht mehr durchgerechnet, weil die eigene Arbeitszeit ja nicht zählt und man nicht mehr darauf setzt, dass sich Hardware und laufende Betriebskosten irgendwann amortisieren müssen.)

Das erscheint auf den ersten Blick als eine Befreiung hin zur Möglichkeit wahrer Kunst, also losgelöst von Kundenerwartungen und ausschließlich dem eigenen künstlerischen Potenzial verpflichtet. Faktisch aber hat diese materielle Entwertung, das Wegfallen des Profitversprechens, die Popmusik mehr oder weniger ruiniert, ihre Innovationskraft entscheidend geschwächt. Trotzdem soll ein im Wortsinn „wertloses“, überall kostenfrei zu erstehendes Produkt weiter verkauft werden. Das funktioniert, indem es mit Metabedeutung aufgeladen wird. Bezahlt wird eine Vorstellung, ein Image von Musik. Jene Attribute also, die im System Popmusik ursprünglich gerade mal als verkaufsfördernde Maßnahme gedacht waren. Versprochen wird eine „Aura des Kunstwerks“, von der Benjamin-Leser wissen, dass sie nur vorgespiegelt sein kann. Und jetzt dreht die Kulturindustrie richtig auf: Sie unterwirft diese behauptete Aura auch gleich noch den Regeln der technischen Reproduzierbarkeit, da sie sonst eben nicht den bezahlten Erwartungen des Publikums gerecht wird. Konzerte und in noch größerem Maßstab Festivals folgen also dem Prinzip der Cover- oder Revivalbands, die genau abgesteckte Erwartungen befriedigen. Je perfekter die Annäherung an die Vorstellung, umso größer der Erfolg, desto höher die Bereitschaft zum Kauf.

Die Musiker spielen dieses Spiel größtenteils gern mit, schließlich geht es um ihren Lebensunterhalt. Wirklich schwierig ist das nicht unbedingt. Gerade im in voller Blüte stehenden EDM-Hype ist der Widerspruch zwischen Kunst- und Warencharakter einerseits eh schon obsolet. Schließlich wird Tanzmusik per se als Dienstleistung kreiert. Einen künstlerischen Anspruch zu formulieren fällt deutlich schwerer, zumindest, wenn die grundlegende Funktionalität nicht gefährdet werden soll. Andererseits gibt DJing an sich beim besten Willen keine Performance her, die irgendjemanden dazu verleiten könnte, dafür Geld auszugeben. Schon gar nicht, wenn die Basis bloß noch ein USB-Stick mit vorgeplanter Playlist ist. Also wurden Ersatz-Performances geschaffen: das anfeuernde Hände in die Luft werfen, das bis ins Absurde übersteigerte Schaustellen von „Vorhören, Mixen, Effekte ansteuern“, das Anstecken der Crowd mit der exzessiv vorgeführten eigenen Begeisterung. Overacting ist für das Geschäftsmodell eines Festivals zwingend, schon, weil die Entfernung zur Bühne für Feinheiten viel zu groß ist. Wer sich dem verweigert – und da sind wir beim „authentisch“ agierenden Ricardo Villalobos –, muss sich in der Tat fragen lassen, wofür er sich bezahlen lässt. Es ist Betrug am Publikum. Wer Kunst machen will, hat auf solch einer Veranstaltung nichts verloren. Wer Kunst sehen und hören will, selbstverständlich auch nicht.

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