So geht’s doch auch: „Wir ziehen unser Festival in jedem Fall durch“ lassen die Betreiber des Netlabels Aaahh Records wissen. Ende August veranstalten sie im brandenburgischen Bralitz ein Festival mit allem, was zu einem Festival halt irgendwie dazu gehört: Bands, Zelte, Essen, Trinken, Lagerfeuer und Tischtennis. Für 250 Leute. Die Tickets kosten „soviel du willst / kannst“. Je mehr Geld zusammenkommt, desto mehr wird zusätzlich zum eigentlichen Programm auf die Beine gestellt. Im Moment sind gut die Hälfte der Tickets geordert, das reicht immerhin schon für freies WLAN und die Compilation zum Festival. Irgendwie süß ist das natürlich und so konsequent „indie“, dass man dafür fast schon einen Preis für ganz besonders anmutige Selbstausbeutung vergeben möchte. Denn ganz ohne Fremdschamfaktor kommt man doch nicht aus: Gerade mal 13 Euro ist dem Aaahhwooo-Besucher im Durchschnitt zwei Tage Musik und die dahinter stehende Logistik wert. Sehr, sehr nett wird es selbstverständlich trotzdem. Und alle Beteiligten vor und hinter den Kulissen haben sich lieb. Was wiederum so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal ist.
Im richtigen Festival-Leben ist die Situation ganz anders, da knirscht und kracht es an allen Ecken und Enden und es braucht im Regelfall die ganz harten Bandagen. Sogar die Fusion – lange Jahre der Inbegriff des hippiesken Miteinanders im Reigen der großen deutschen Festivals – sieht sich gezwungen, andere Seiten aufzuziehen. Zu groß ist aus Sicht der Veranstalter das Problem mit „Trittbrettfahrern“ geworden, jenen, die sich einfach über die kaum bewachten Zäune aufs Festivalgelände schleichen. Eine Null-Toleranz-Politik hat man angekündigt, seitdem ist die Stimmung spürbar eingetrübt, der Tonfall der Diskussionen zwischen Gegnern und Befürwortern des Durchgreifens äußerst rau. Ein deutliches Zeichen, dass die goldenen Friede-Freude-Eierkuchen-Zeiten auch für die Fusion langsam aber sicher gezählt sind. Aber selbst das sind alles noch Phantomschmerzen, wenn man sich das Beispiel Rock am Ring vergegenwärtigt.
Deutschlands renommiertestes Groß-Festival läuft eigentlich ausgezeichnet, ist seit ein paar Jahren ungeachtet der wie üblich stetig steigenden Ticketpreise praktisch immer frühzeitig ausverkauft und hat sich als so etwas wie der Inbegriff für die um sich greifende Festival-Party-Kultur etabliert, bei der die Musik auf der Bühne nicht mehr so wirklich wichtig scheint gegenüber dem kollektiven Auschecken aus Alltag und Benimm-Konformitäten. Nächstes Jahr findet das Rock am Ring nun nicht mehr „am Ring“, also dem Nürburgring, statt und vielleicht darf es gar nicht mehr so heißen. Das wird dieser Tage entschieden. Vor Gericht. Unterdessen lassen die Nürburgring-Betreiber sich von der Veranstalterkonkurrenz mit Grüne Hölle – und das ist nun wirklich der dämlichste Name für ein Festival seit Krach am Bach – ein neues Mega-Open-Air hinklotzen. Es wäre nach Rock’n’Heim der zweite durchaus relevante Zuwachs der Open-Air-Industrie in zwei Jahren – eine ganze Reihe mittelprächtiger Provinzversuche sind da schon gar nicht mitgerechnet. Ob das der Markt überhaupt noch hergibt oder ob die bisher ständig noch steigenden Besucherzahlen und Preise für mehr oder weniger seelenlose Kommerzfestivals irgendwann ausgereizt sind, wird sich bald herausstellen. Offensichtlich ist der Anreiz einzusteigen immer noch groß genug. Vor allem, wenn einem sonst das Wasser geschäftlich bis zum Hals steht und jedes bisschen Mehreinnahmen händeringend herbeigebetet wird wie im Fall Nürburgring.
Das Livegeschäft gilt als der Teil der Popmusik-Kultur, mit dem sich noch ordentlich Geld machen lässt. Im Kleinen, weil Bands von dem Verkauf der Musik an sich nur noch im Ausnahmefall leben können. Ebenso im ganz Großen, wo es um Millionen-Einnahmen und immer noch enorme Gewinnspannen geht – wenn auch nicht für alle. Ganz oben auf der Sahnewelle reiten die größten Ticketing-Anbieter, also jene Firmen, die die flächendeckende Logistik zum überregionalen Ticketverkauf anbieten können. Hierzulande ist das CTS Eventim. 80 Prozent aller Eintrittskarten im erweiterten Pop/Rock-Bereich sollen über dessen System gehen, schätzt die Wirtschaftswoche. Sogar das Kartellamt sieht darin eine „mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehende marktbeherrschende Stellung“ – ohne allerdings irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. So kann Eventim seine Konditionen Veranstaltern und Kunden praktisch diktieren. Für beide Seiten bedeutet das außerordentlich hohe Gebühren. Das geht soweit, dass dem Käufer sogar noch Geld dafür abgeknöpft wird, dass er auf den klassischen Postversand verzichtet, sein Ticket online herunterlädt und zu Hause auf eigene Kosten ausdruckt. Besonders attraktiv ist das Geschäftsmodell, wenn Eventim am veranstalterischen Risiko nicht beteiligt ist. Bei Eigenveranstaltungen versucht man, soweit wie möglich an allen Bereichen der Wertschöpfung beteiligt zu sein oder die Konkurrenz nach Möglichkeit auszubooten. Das spürt, wer in einem „freien“ Shop versucht, Tickets für besonders attraktive Konzerte zu erhalten. Immer wieder stellt sich heraus, dass dessen Kontingente in Nullkommanix nach Verkaufsstart ausgeschöpft sind. Fairer Wettbewerb sieht anders aus.
Um sich neben Eventim am Markt zu behaupten, brauchen Ticketdienstleister heute mindestens eine gute Idee oder eine funktionierende Nische. Das können besondere Dienstleistungen für Festivalveranstalter vor Ort sein oder ein spezialisiertes Angebot außerhalb der ganz großen Events. Zum Beispiel für Clubs. Auch dieses schwierige, weil sehr kleinteilige Geschäft ist mittlerweile hart umkämpft. Obwohl die Gewinnmargen angesichts der vergleichsweisen moderaten Clubkonzert-Preise per se gering sind, kann sich das Geschäft doch lohnen. Clubbesucher sind in der Regel weniger betreuungsaufwendig als Festivalgänger. Haben die sich einmal auf ein System eingeschossen, läuft der Laden relativ störungsfrei, also vor allem ohne die geballten Rückfragen, die das Festivalticket-Geschäft zeit- und personalintensiv machen. Außerdem ist im Clubbereich noch etwas anderes als reine Businesslogistik wichtig: Die Chemie muss stimmen.
Viele Clubbetreiber sind immer noch Enthusiasten und Musikfans – ohne diese Begeisterung wäre der oft genug finanziell heikle und aufreibende Job kaum machbar. Wer zumindest im Ansatz eine ähnliche Geisteshaltung nachweisen kann, hat perspektivisch bessere Karten. Dafür kann man sogar mal auf einen Teil der eigenen Einnahmen verzichten. TixForGigs ist einer dieser kleinen Anbieter. Soeben hat er mit der LiveKomm, dem Dachverband der Clubbetreiber, den „ClubFuffie“ eingeführt. 50 Cent pro verkauftem Ticket der teilnehmenden Clubs gehen in einen Fördertopf der LiveKomm. Die Clubs selbst und die Ticketkäufer kostet das gar nichts, das Geld wird von der Gewinnspanne des Tickethändlers abgeknipst. Bewährt hat sich ein ähnliches Modell schon im letzten Jahr in Hamburg. Durch Online-Ticketverkäufe von Läden wie Knust, Docks oder Molotow kamen in neun Monaten immerhin 8500 Euro für die Hamburger Clubstiftung zusammen. So geht’s also auch.
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