Die künstliche Aura

Ton & Text Verknappung, Individualisierung, extraordinäre Preise: Die in Wert-Maßstäben dahinsiechende Popmusik sucht die Rettung in den noch irreren Mechanismen des Kunstmarkts

Wenn der Wu-Tang Clan wie eben erst angekündigt nach einiger Zeit wieder einmal auf deutschen Bühnen auftritt (ob das dann so eingehalten wird, steht beim Clan immer auf einem anderen Blatt), werden die Konzerte nach menschlichem Ermessen ausverkauft sein. Was die legendären Ostküsten-Rapper heute musikalisch so treiben, dürfte indes nur ein paar Handvoll der Besucher interessieren. Hören wollen die meisten eigentlich nur die alten Hits von vor 20 Jahren. Allerdings liegt das nicht nur daran, dass HipHop inzwischen im Revival-fähigen Alter ist. Sondern ganz konkret auch daran, dass der Clan sich in Sachen eigener Musik für ein Massenpublikum gar nicht mehr so richtig interessiert.

Massenkultur und Kulturindustrie: Popmusik ist zweifelsfrei jene Kulturform, die am innigsten mit dem Kapitalismus verbunden ist, mit der Entwicklung der Produktionsmittel, die – soviel Walter Benjamin muss sein – die „technische Reproduzierbarkeit“ des Kunstwerks, also der Musik, ermöglichen. Nicht loslösen lässt sich das von der Vorreiterrolle der Popmusik für den Ausbau globalisierter Vertriebswege und ästhetischer Normierung. Dass auch diese Revolution ihre Kinder frisst – nun ja, man hätte es wissen können.

Die Kulturindustrie an sich juckt das nur kurz, sie sucht sich neuen „Content“. Popmusik jedoch, ein in kulturökonomischen Maßstäben per se vergleichsweise wenig wertiges Gut, das nur mit Masse Kasse machen kann, ist nach dem Umbruch ins Digitale faktisch wertlos geworden und in dieser Logik selbstverständlich problemlos kostenlos zugänglich.

Das ist das größte Problem jener, die von ihrer Kunst – der Popmusik – leben wollen. Mehr Konzerte, mehr Sponsoring, mehr Wirtschaftskooperationen sind die üblicherweise gepredigten Wege zu einer neuen „Monetarisierung“ (einer der meistgebrauchten Begriffe bei allen Branchentreffen der letzten zehn Jahre). All das zielt jedoch immer noch auf die Masse, auf möglichst viele „Nutzer“. Gerade Streaming-Dienste à la Spotify oder Napster erheben das immer noch zum ultimativen Geschäftsprinzip. Von „Gewinn“ sind sie allesamt noch sehr weit entfernt. Was sich unter diesen Bedingungen jedoch immer unverhüllter offenbart, ist der Warencharakter der Popmusik. Oder, und da sind wir wieder bei Benjamin in den dreißiger Jahren, der immer noch zunehmende „Verfall der Aura“ des Kunstwerks.

Wer das alles etwas Thesen-reduziert nachlesen will, wird beim Wu-Tang Clan fündig: „Industrial production and digital reproduction have failed. The intrinsic value of music has been reduced to zero.“ Nun war der Clan schon immer äußerst geschäftstüchtig – ihr Wu-Wear-Label war der Imprint für das seitdem bei den Big Playern der Szene äußerst beliebte Modell „HipHop-Star bietet Klamottenmarke an“. Für l’art pour l’art, für blanke Kulturtheorie, steht er selbstverständlich nicht zur Verfügung. Für „Aura“ allerdings schon.

„The Wu – Once Upon A Time In Shaolin“ heißt das Doppelalbum, das in diesem Jahr noch verkauft werden soll. Einmal und in einer einzigen „Inkarnation“. Kein anderes Format, keine digitale Verbreitung, niemand sonst wird das Werk vorher oder nachher hören, so das Versprechen des Clans. Ein „Kunstwerk“ im klassischen Sinne soll es sein, mit „Aura“, weil eben die technische Reproduktion ausbleibt. Der Preis soll dann auch – so wünscht man sich das beim Clan zumindest – das Niveau gar nicht mal so billiger zeitgenössischer Kunst erreichen: mehrere Millionen Dollar. Ob das so klappt, wird man sehen. Und weil man bei all dem „Kunst“-Bohei keineswegs das Geschäft vergisst – das zeichnet immerhin den zeitgenössischen Kunstmarkt mehr denn jeden anderen Kulturmarkt aus – redet man zu diesem Thema ganz bevorzugt und exklusiv vor allem mit einem Medium: dem Wirtschaftsmagazin Forbes.

Der Versuch der Kreation einer unkopierbaren „Aura“, die das eigentliche Kunstwerk, die Popmusik, nicht zu bieten hat, gehörte schon immer zum Werkzeugkasten der Popkultur. Dafür gibt es 10-Inches, farbiges Vinyl, Picture Discs, mehr oder weniger wild geformte Shape Discs, limitierte Editionen, handnummerierte Kleinauflagen, in Handarbeit gestaltete individuelle Cover und Hüllen. Oder strikt anachronistisch anmutende Kassetten-Editionen, die sich derzeit in Indie-Kreisen außerordentlicher Beliebtheit erfreuen. Auch der aktuelle Vinyl-Hype lässt sich mit dem Streben nach „Aura“, nach einem ideellen, für den eigentlichen Gebrauch des Musikhörens prinzipiell nutzlosen oder gar hinderlichen, Mehrwert zur eigentlich industriell geprägten Kunst ganz gut erklären.

„Once Upon A Time In Shaolin“ ist dabei in seiner Konsequenz einzigartig. (Falls, das muss man anmerken, das Konzept am Ende tatsächlich so heiß gegessen wird, wie es präsentiert wurde.) Dass der Clan dem Braten nicht so recht über den Weg traut, zeigt, dass er ansonsten einfach so weitermacht, wie an das als Band halt so macht: noch ein Album rausbringen, nochmal auf Tour gehen und vermutlich Unmengen an T-Shirts und Hoodies verkaufen. Das Konzept des „besonderen Albums“ allerdings hat schon Nachahmer gefunden. Jüngstes Beispiel: der Los-Angeles Rapper Nipsey Hussle will schon 60 von verfügbaren 100 Kopien seines Albums „Mailbox Money“ verkauft haben – zu 1.000 Dollar das Stück. Mit dem Verlangen, seine (nebenbei angemerkt: nicht schlechte) Musik zu hören, hat das nichts zu tun, die gibt es frei im Netz. Wer hier zahlt, tut das als Sammler. Oder, um es anders zu formulieren: entweder als Spekulant oder als Mäzen. Willkommen im Kunstmarkt, der einzigen Kultursparte, die moralisch noch verrotteter anmutet als die Musikindustrie.

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