„Feuer“ bedeutet Feuer. Jedes Mal, wenn auf der riesigen Bühne das Wort herausgebrüllt wird, drückt jemand im Hintergrund auf einen Knopf, und die Stichflammen lodern empor. So ist das bei Bands mit ein paar zehntausend Zuschauern. Pyro auf Stichwort gibt es bei den Toten Hosen, bei Rammstein und natürlich bei den Böhsen Onkelz, die gerade live als besonders eindimensional gelten.
Nun ist gnadenlos einfach zu sein ein bewährtes Mittel in der Popmusik, zu deren Mythen die Beschränkung auf einprägsame drei Akkorde und einen sofort mitsingbaren Refrain gehört. „Stumpf ist Trumpf“ ist gemeinhin ein eher anerkennendes Urteil unter Musikkritikern. Es kann da um ein enervierend eingängiges Gitarrenriff gehen, um eine stoische 4/4-Bass-Drum oder darum, dass ein ganzes Bandkonzept so offensichtlich nach grundlegenden Gefälligkeitskriterien ausgerichtet ist, dass die Dreistigkeit schon wieder Respekt verdient.
Man kann das Simple allerdings auch bierernst nehmen. Als ehrlich, bodenständig, rebellisch, als echten Punk oder wahren Rock. Als Eins-zu-eins-Vertonung des eigenen Lebensgefühls oder zumindest dessen, was man sich als eigenes Lebensgefühl gern ausmalt. Eine Musik, die ohne Meta-Ebene auskommt. Die Böhsen Onkelz sind darin Meister.
Nun haben sie ein Comeback gestartet, das man wohl triumphal nennt. Dabei gibt es nichts Neues zu vermelden: kein neues Personal, keine neue Musik, keine neuen Fans, keine neuen Weltsichten. Geändert haben sich jedoch die Verhältnisse im Land. Oder vielmehr: nicht die Verhältnisse, nur die jetzt überall spürbare Stimmung jener, die sich gern unten verorten und gegen die da oben sind. Jene, die mitten im sozialen Mainstream stehen und sich doch als Außenseiter und Benachteiligte sehen – und sich zu 200.000 am Hockenheimring treffen, um ihre Idole und damit natürlich sich selbst zu feiern.
Songzeilen zum Tätowieren
Vor neun Jahren haben die Böhsen Onkelz ihr Abschiedskonzert gegeben. Niemals wieder würde man gemeinsam auf der Bühne stehen. Klar, so was ist gut fürs Pathos. Klar auch, dass derlei in der Popmusik kein Mensch ernst nehmen kann. Selbst in beinharten Fankreisen wurde als Naivling bezeichnet, wer das tatsächlich schluckte. Neun Jahre sind nicht einmal in der schnelllebigen Popkultur eine Ewigkeit, aber normalerweise doch genügend Zeit, um die Fronten zu beruhigen. Um aus Teenagern Erwachsene zu machen und die schon Erwachsenen wenigstens ein bisschen weiser und versöhnlicher. Aber das sonst übliche Verblassen der Verbissenheit bleibt bis heute aus.
Normalität wäre nicht im Interesse einer Band, die sich als Hüter des wahren Glaubens – an sich selbst, versteht sich – verkauft und ihre Rückkehr mit messianischem Grundton und reichlich Blitz und Donner verkündet. Warum es das Comeback überhaupt gibt, ist fast schon egal. Natürlich mag man der schon immer außerordentlich geschäftstüchtigen Band-Firma unterstellen, dass sie einfach mal wieder Präsenz braucht, um den Rubel weiter rollen zu lassen, zum Beispiel für die eher medium laufenden Solokarrieren. Oder – und das ist ganz sicher kein unwahrscheinlicher Grund – weil es kein vergleichbares Gefühl dazu gibt, auf einer Bühne zu stehen und von 100.000 Leuten angebetet zu werden. „Gehasst, verdammt, vergöttert“, das ist der Klassiker unter den Unmengen tätowiertauglicher Songzeilen im Werk der Onkelz. Heilige Lieder heißt gar das zugehörige Album von 1992, zwölf Jahre war die Band da schon alt.
Sich dem Phänomen Böhse Onkelz zu nähern, gelingt vielleicht am Besten über ihre Gefolgschaft. Man muss die unzähligen Anmerkungen ihrer erklärten Fans lesen. Kaum ein Artikel über die Band, der online kommentiert werden kann, bleibt verschont. Onkelz-Fans sind die Mutter aller Shitstorms. In den einschlägigen Foren werden die Links herumgereicht, meist im Brustton der Empörung und Enttäuschung – Enttäuschung gepaart mit Stolz, wohlgemerkt. Stolz, dass diese Mainstreampresse die Onkelz immer noch hasse. Weil diese Journaille böswillig und unwissend sei. Man solle sich doch mal die Texte anhören! Wer Textzitate liefert, solle sich den Kontext vergegenwärtigen. Wer den Kontext darstellt, solle doch mal die Biografie lesen. Und wer das Wissen um ihre Ursprünge in der Oi-Punk-Skinhead-Bewegung im Frankfurt der 80er nachweisen kann, ist eben neidisch oder gleich ein Gesinnungstäter. Im Onkelz-Fan-Jargon traditionell gern Linksfaschist genannt. Heute oft auch Gutmensch.
Man darf die Böhsen Onkelz eine „berüchtigte rechtsradikale Band“ nennen, das hatte sich die taz 2001 vor Gericht erstritten. Bis heute hängt den Onkelz ihr frühes Image als Türkenhasser und rechte Skinheads an. Die Distanzierung davon gibt es seit über 20 Jahren, ob von Herzen oder aus Geschäftssinn, spielt fast keine Rolle mehr. Die Onkelz sind keine Nazis, das ist offensichtlich. Schon gar nicht im Vergleich zu ihren Epigonen Frei.Wild. Die stramm volkstreuen Südtiroler galten am Anfang ihrer Karriere als Onkelz für Arme, inzwischen haben sie sich im rasant wachsenden Geschäft mit Deutschrock nicht nur eine goldene Nase verdient, sondern auch die Maßstäbe für die öffentliche Akzeptanz klar demokratiefeindlicher Positionen weit nach rechts verschoben. Mit der von den Onkelz und ihren Fans in Deutschland salonfähig gemachten Terminologie.
„Legt euch nicht mit uns an. Denn wir führen wahren Krieg. Gegen Lügen und Dummheit. Und das macht uns nicht beliebt“, heißt es 1996 in „Ihr sollt den Tag nicht vor dem Abend loben“. Viele der bestürzend schlichten Onkelz-Texte lassen sich heute als Blaupause der Querfront-Bewegung lesen. Das betrifft den Glauben an eine Verschwörung der Politiker mit den Medien und an ein angeblich fremdgesteuertes System ebenso wie einen bedenkenlosen Patriotismus und Populismus, die Zweifel an der Demokratie und das Beharren auf vorgeblichem Unpolitischsein, jene permanent vorgeschobene Distanzierung nach rechts und links.
Egal, wie nah man damit in Sprachgebrauch und Positionen bei NPD, Rechtsesoterikern oder im weiten rechtsoffenen Bereich des „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ agiert. Wer das analysiert, wird als parteilich oder wenigstens ignorant gegeißelt. Wird Kritik dann mit Fakten untermauert, sind das mutwillig herausgepickte Einzelfälle. Diese Wagenburgmentalität kennt man seit eh und je von den Onkelz und ihren Fans.
Der Wert von Jugendsünden
Über die erklärte Fangemeinschaft hinaus werden die Onkelz in temporären Milieus geschätzt, die ideologisch diffus und alkoholgeschwängert sind. Wo der proletarische Gestus hoch im Kurs steht und die geballte Faust immer gut aussieht. Beim Fußball, zwischen zwei Schlägereien auf Dorffesten, in den 23-Stunden-Absturzkneipen der großstädtischen Szeneviertel mit Billigbier früh halb sechs. Das strahlt eine Faszination des Authentischen aus, der sich auch popkulturell und kulturtheoretisch Gestählte kaum entziehen können. So kann es passieren, dass einem beim gediegenen Essen der schwule Bekannte erzählt, er höre immer mal wieder gern Kneipenterroristen, eines der äußerst rüden Haudraufwerke der Frühzeit.
Die Onkelz der Gegenwart – was bedeutet: die Onkelz von vor einem Jahrzehnt – haben mit dem Gestus der Kneipenterroristen musikalisch kaum noch etwas gemein. In den 90ern vollzogen sie eine Wende zum stadiontauglichen Breitwandstumpfrock. Der größten inhaltlichen Aufreger hatten sie sich sogar schon weit vorher entledigt. Als Jugendsünde passen sie aber immer noch perfekt in das Image der Unbeugsamen und Stolzen, das noch viel mehr als die eigentliche Musik die Geschäftsgrundlage bildet.
Dazu gehört die Mär des Geächtetseins, ungeachtet der Tatsache, dass die Onkelz vor allem natürlich in der Metal-Presse schon lange coverbildtauglich sind – Metal Hammer fungiert als bedingungslos hörige Haus-und-Hof-Postille. Aber auch in den Tageszeitungen werden sie gern als breitenrelevantes Thema und Klickzahlentreiber genutzt. Grundsätzliche Kritik findet außerhalb des allfälligen Verweises auf die problematische Vergangenheit kaum statt, jedenfalls kaum undifferenziert oder nicht penibel belegt. Die Onkelz kümmert’s nicht, ihre Fans sowieso nicht. Zu schön hat man sich eingerichtet im gefühlten Underdog-Status, in der Gemeinschaft der lustvoll Beleidigten, die sich ihren Frust endlich wieder beim Original aus der Seele schreien dürfen. Feuer inklusive.
Jörg Augsburg teilt seine Gedanken zur Kultur auch regelmäßig auf freitag.de
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.