Es wird ja viel über Berliner Subkultur geredet dieser Tage, mehr noch als sonst eh schon in den letzten dreißig, vierzig Jahren Musikgeschichte. Auch ein David Bowie hat sein Weltcomeback anfangs des Jahres hier verortet, zeigt im Video zu „Where Are We Now?“ verblasste Bilder des scheinbar damals schon unendlich schwarz-weiß-grau wirkenden Mauer-Berlins, das mit seinen Junkie-Underground-Gestalten aus heutiger „Herr Lehmann“-Sicht immer mehr wie ein absurdes Theater der Popkultur wirkt, eine Sonderverzerrung wegen ganz spezieller lähmender Umstände. Man kann sich aber auch das Video zu „You Need The Drugs“ anschauen, das ein praktisch nur unwesentlich späteres Berlin zeigt, eines, dessen Protagonisten sogar immer noch zum Teil deckungsgleich sind. Dieses Berlin aber ist auf eine ungemein verführende Art dreckig glitzernd, rastlos, fiebrig, gierig nach Leben. Was erstmals in aller Konsequenz nur noch Nachtleben sein soll: „Don’t be so la-di-da!“
Techno ist im Moment im Begriff sich selbst zu historisieren, an allen Ecken und Enden ist der Drang zu spüren, das Fieber von damals noch schnell festzuhalten, bevor die Erinnerungen dieser letzten großen Vor-Handykamera-Ära endgültig entschwinden; mit Büchern, Dokumentationen – oder einem Videoclip zur neuen Single von Westbam. „We’ll never stop living this way“ verkündete der noch 1997, es war eine dieser eher selbstbesoffenen denn wahrlich rauschhaften Großkotz-Slogans der MayDay-Generation, für die Westbam wie kaum sonst jemand stand. Sein Label Low Spirit, Jürgen Laarmanns Szene-Ausverkaufs-Imperium rund um die Zeitschrift Frontpage und die Love Parade mit dem ganz offensichtlich wirren Dr. Motte als vorgeschobenem Guru waren das Dreigestirn des Techno-Aufstiegs von der Keller-Subkultur zum dominierenden Mainstream-Sound bis über die Jahrtausendwende hinweg. Ein Denkmal hat ihnen dafür niemand gesetzt, bis heute ist die Verbitterung bei jenen zeitgenössischen Protagonisten spürbar, die beim Techno-Monopolisierungsprozess entweder direkt ausgebootet wurden oder schlicht unter die Räder kamen; künstlerisch, geschäftlich oder auch nur in Sachen Ego.
Die Love Parade ist Geschichte, sie war langlebiger als der Techno-Aufbruch selbst, voll inkorporiert in das neue Rave-Modell der durchgestylten Spaß-Leistungsfähigkeit. Und es brauchte keinen Charles Manson mehr, keine Hells Angels, um den Traum zu beenden, diesmal war das Blutbad der kapitalistischen Logik der Gewinnmaximierung geschuldet. Die MayDay gibt es heute noch, schon lange vor der Loveparade abgewandert aus Berlin ins dankbare westdeutsche „Revier“, die Industriemuseumsprovinz mit ihrem schier unendlich großen Proll-Reservoir, das dank Westbam und Co schnell Gefallen am Großrave fand. Gerade hat sie wieder stattgefunden, in der Westfalenhalle, eine grauenhafte und hoffnungslos gestrige Veranstaltung, mit dem lachhaften Slogan „Never Stop Raving“ und einem Artwork, bei dem sich nicht nur ästhetische Hardliner zur Fremdscham gezwungen sehen. Westbam ist integraler Teil dieser Veranstaltung, versteht sich. Dessen eigene Tracks waren immer genau darauf zugeschnitten, waren zwar oft mit dem Gen der Massentauglichkeit versehen und taugten perfekt für diese ganz großen teutonischen Raves – musikalisch Geschichte geschrieben haben immer andere.
Sein Bio-Rhythmus lege ihm heute nahe, dass er eigentlich kein Nachtmensch sei, erzählt Westbam derzeit gern im Interview. Natürlich hat er eine Unmenge zu erzählen, er ist seit den frühen Achtzigern dabei, hat die wildesten Exzesse von Geld, Drogen und Businessgrößenwahn im inner circle erlebt. Am Hang zur Selbstverklärung, zum unverhohlenen Protzertum mangelt es ihm immer noch nicht. Unter „Götterstrasse“ geht es dann nicht, wenn er sich mit seinem neuen Album ganz augenscheinlich das eigene Denkmal setzen will, sich mit aller Macht ins Bewusstsein all derer peitscht, die ihm nie eines zugestehen würden. Kanye West. Iggy Pop. Inga Humpe, Bernard Sumner, Brian Molko. Bumm, bumm, bumm prasseln die „Featuring“-Namen auf einen herein, Widerstand ist zwecklos.
Man kann sich dem Sog dieses Albums, auch wenn man Westbam sonst nicht besonders schätzt, kaum entziehen, weil es nun mal objektiv – so objektiv, wie das in der Popmusik überhaupt möglich ist – gut ist. Auf eine perfide, effektive, schlichte, für Westbam-Verhältnisse fast schon meditative Art, mit dem immer selben stumpf-geraden Beat, einigen oldschoolhaften Synthieflächen und diesen nur zum Teil großen Namen am Mikrofon, die den eigentlichen Charakter der Tracks dominieren. Unschwer ist „Götterstrasse“ als eine Art gewolltes Komplementärwerk zu „Teufelswerk“ zu sehen, der großen Technohouse-Saga auf Doppelalbum-Länge, mit der DJ Hell vor drei Jahren den Reigen der Erinnerung eröffnete. Mit Hells überlegener Eleganz, die sich stets auch musikalisch durchsetzte, kann Westbam nicht konkurrieren, auch nicht mit dessen umfassender Deutungshoheit über „Electronic Germany“ und der damit verbundenen Vereinnahmung der prägenden Soundbausteine der Ära – bis hin zum umstrittenen synthetischen Fanfarensignal eines „Der Klang der Familie“.
Westbam aber hat seine Vorteile in der unverschämten Protzigkeit, der Dreistigkeit, mit der er einen Kanye West oder Iggy Pop auf sein Album holt. Aber eben auch einen Richard Butler, dessen vormalige Band Psychedelic Furs nur noch wenigen Postpunk-Zeitgenossen präsent ist und die sogar Westbams eigene Plattenfirma falsch schreibt. „You need the drug to make the stars come down, you need the drug to make you shine … don’t be so la-di-da“, singt er mit zerbrechlicher Stimme. Es ist eine tolle Hymne an die Nacht, ein großartiger Song. Von Westbam hätte man den und dieses ganze Album nicht erwartet und für diesen einen Moment ist man mit ihm versöhnt. Wahrscheinlich hat er es genau deshalb gemacht.
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